Donnerstag, 18. April 2024

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Golf-Staaten und Flüchtlinge
"Gefahr des Extremismus vorhanden"

Die Unterstützung aus der Golfstaaten-Bevölkerung für die syrischen Flüchtlinge sei von Anfang an groß gewesen, schilderte Christian Koch, der Direktor des Dubaier Forschungszentrums "Gulf Research Center" im Deutschlandfunk. Was die Aufnahme weiterer Menschen betreffe, würden die Golf-Staaten aber nicht dem Druck der Bevölkerung nachgeben - auch aus Angst vor Extremismus.

Christian Koch im Gespräch mit Jaspar Barenberg | 10.09.2015
    Mehrere schwarze Autos fahren auf den Königspalast in Riad zu.
    Königspalast in Riad: In Saudi-Arabien hat es bereits mehrere Anschläge gegeben. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    In Ländern wie Katar und den Emiraten habe man bereits Strukturen, die zu 80 bis 90 Prozent aus ausländischen Arbeiten bestehen würden, erklärte Koch. Die Machthaber dort befürchteten, die Kontrolle zu verlieren. Die Gefahr des Extremismus sei dabei ganz deutlich vorhanden für die Golf-Staaten. In Saudi-Arabien habe es in diesem Jahr schon mehrere Anschläge gegeben.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jasper Barenberg: Die syrischen Flüchtlinge und die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien. Darüber können wir in den nächsten Minuten mit Christian Koch sprechen. Er ist Direktor am Gulf Research Center in Genf, das sich mit der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in der Region beschäftigt. Schönen guten Morgen.
    Christian Koch: Ja, einen schönen guten Morgen.
    Barenberg: Herr Koch, Saudi-Arabien und die anderen Golf-Staaten heizen die Konflikte in Syrien und anderswo in der Region selbst mit an und weigern sich gleichzeitig, die Verantwortung für die Folgen zu übernehmen. Kann man das auf diese Formel bringen?
    Koch: Nein, ganz so leicht lässt sich das nicht machen. Saudi-Arabien hat natürlich auch Interessen in Syrien und versucht, dort auch einen Machtwechsel und einen Sturz des Assad-Regimes herbeizubringen. Saudi-Arabien hat von Anfang an der Proteste in Syrien mit dem syrischen Regime plädiert, sich auf eine friedliche Lösung einzulassen und Reformen einzuführen auch in dem Land. Dazu hat sich dann die Assad-Regierung geweigert und wird jetzt tatkräftig von Staaten wie dem Iran mit der Hisbollah-Miliz und Russland unterstützt. Und daraus hat sich natürlich dann dieser Konflikt herausentwickelt. Ich finde, da muss man schon ein bisschen differenzierter sehen, was dann genau die Rolle der Golf-Staaten auch im Syrien-Konflikt ist.
    Barenberg: Nun haben wir gerade im Bericht auch gehört, dass es viele Gastarbeiter aus Syrien beispielsweise in Saudi-Arabien gegeben hat, dass es aber jetzt schwierig ist, diese Aufenthaltsgenehmigungen verlängert zu bekommen - das wird eigentlich nicht mehr gemacht -, und dass es auch immer schwieriger und teurer wird, ein Visum zu bekommen, wenn man aus Syrien nach Saudi-Arabien reisen will. Warum ist das so?
    Koch: Es ist natürlich ganz sicher klar, dass die Golf-Staaten sich ein bisschen schwertun im Moment mit der Flüchtlingsdramatik, die sich jetzt auch entwickelt hat in Syrien. Man unterstützt natürlich schon von Anfang an die Nachbarstaaten Libanon, Jordanien, auch die Türkei, die ja den großen Teil der Flüchtlinge auch aufgenommen hat. Selbst in den Ländern hat sich jetzt natürlich eine größere Diskussion ausgebreitet über die Verpflichtung der Golf-Staaten, um mehr Personen mit aufzunehmen. Aber da ist man noch sehr, sehr vorsichtig, weil man befürchtet, die Anzahl, die könnte ziemlich hoch werden. In Ländern wie zum Beispiel Katar und den Emiraten hat man ja bereits schon Bevölkerungsstrukturen, die zu 80, 90 Prozent nur aus ausländischen Arbeitern, Staatsbürgern bestehen. Und da befürchtet man, dass das noch mehr in die Richtung kippen würde und die einheimische Bevölkerung zu so einer kleinen Minderheit würde, dass man schnell die Kontrolle verlieren könnte über das Ganze.
    Barenberg: Ist es auch richtig, was wir auch im Beitrag gehört haben, dass es vor allem die Sorge vor Extremisten im eigenen Land ist, die die Golf-Staaten abhält, mehr Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen?
    Koch: Die Gefahr des Extremismus ist natürlich ganz deutlich auch für die Golf-Staaten. In Saudi-Arabien hat man in diesem Jahr schon mehrere Anschläge nicht nur gegen schiitische Moscheen, aber auch gegen sunnitische Moscheen gehabt, die auch vom Islamischen Staat ausgeübt worden sind. Und so sieht man schon eine direkte Gefahr auch dieser Gruppen, die sich in den Ländern selbst ausweiten könnte. Ob das jetzt genau mit dem Flüchtlingsproblem zusammenhängt, bin ich mir nicht so ganz sicher. Das ist vielleicht eine zweitrangige Überlegung in der ganzen Sache. Aber man macht sich schon jetzt Gedanken, wie man in der ganzen Sache fortfährt.
    Barenberg: Und was glauben Sie, wohin entwickelt sich das?
    Koch: Die Golf-Staaten werden sich auch weiterhin mit anderen Möglichkeiten in der Flüchtlingsproblematik engagieren. Das heißt, sie werden auch ihre finanzielle Unterstützung ausbreiten. Sie werden die Anrainerstaaten, wie schon gesagt, Jordanien, Libanon, Türkei, weiter unterstützen. Sie werden sehen, wie man auch eine politische Lösung für das Problem Syrien weiter voranbringen kann. Es bleibt weiterhin bei einer breiten privaten Unterstützung. Aber es wird auch intern eine weitere Diskussion geben. Und ich nehme an, dass es von dem einen oder anderen Land durchaus eine Nachricht, vielleicht auch eine Bereitschaft geben wird, hier doch ein bisschen in der Sache umzudenken und möglicherweise wieder mehrere Visa für syrische Flüchtlinge auszustellen.
    Barenberg: Nun haben wir gerade gehört, dass es ja auch in der arabischen Öffentlichkeit viel Lob für die Aufnahmebereitschaft in Europa, vor allem auch in Deutschland gibt, auf sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Und dort auch viel Häme für den Widerwillen in den Golf-Staaten. Ist das ein Hinweis darauf, dass viele Menschen in den Golf-Staaten selber anders denken als ihre autoritären politischen Führungen?
    Koch: Nicht ganz unbedingt. Es ist bloß ein Zeichen dafür, dass es auch in der Bevölkerung immer wieder Stimmungen gibt, wo die Regierung vielleicht nicht unbedingt sich mit auseinandersetzen will, aber das dann doch machen muss. Die Unterstützung in der Bevölkerung, aber auch von den Regierungen, um das Leiden der syrischen Bevölkerung zu vermindern, besteht schon von Anfang an. Ich habe ja schon darauf hingewiesen. Saudi-Arabien insbesondere, die anderen Golf-Staaten auch, waren von Anfang an bemüht, zu versuchen, das Assad-Regime zu friedlichen Reformen zu bewegen, damit es nicht zu dieser Krise kommt, die wir heute haben. Dort ist schon eine breite Unterstützung. Das unterscheidet sich nicht zwischen allgemeiner Bevölkerung und Regierung. Dennoch: Die Regierungen sind ein bisschen überrascht jetzt natürlich von dieser breiten Zustimmung. Und das zeugt davon, dass es besonders über die sozialen Netze Möglichkeiten gibt, wo solche Meinungen an die Öffentlichkeit herangetragen werden, die sich dann dazu entwickeln, worauf dann auch die Regierung reagieren muss.
    Barenberg: Sie haben jetzt mehrfach betont, dass Saudi-Arabien und andere Golf-Staaten sich versuchen, an einer politischen Lösung mitzuwirken. Im Moment hat man den Eindruck, dass das nicht sehr erfolgreich ist, ganz im Gegenteil, dass der Krieg immer weiter eskaliert, es immer schlimmer geworden ist und dass auch eine Rivalität zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran dahinter steckt. Glauben Sie, dass es wirklich eine Art konstruktive Rolle der Golf-Staaten geben kann, um diesen Konflikt zu lösen?
    Koch: Ja, natürlich glaube ich das schon. Und ich glaube, der Versuch muss auch weiter gemacht werden, weil nur über eine konstruktive politische Lösung lässt sich das Syrien-Problem irgendwann mal lösen. Richtig ist natürlich, dass es diesen Konflikt jetzt auch mit dem Iran gibt. Und der ganze Syrien-Konflikt ist natürlich so komplex, mit so vielen verschiedenen Gruppierungen auf der nationalen, der regionalen und der internationalen Ebene. Die versuchen alle, ihre Interessen in Syrien durchzusetzen. Ziel muss es sein, sich auf eine Übergangsregierung in Syrien zu einigen, weil man von den arabischen Golf-Staaten insbesondere überzeugt ist, dass ohne den Abgang von Baschar al-Assad in Syrien eine weitreichende Lösung in Syrien nicht möglich sein wird.
    Barenberg: Aber insgesamt habe ich Sie richtig verstanden, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht, da werden sich die Golf-Staaten weiter hartleibig zeigen?
    Koch: Da werden sie sich nicht unbedingt jetzt sofort dem öffentlichen Druck beugen. Sie werden das vorsichtig abwägen, was vielleicht von ihrer Seite aus aus herrschaftspolitischem Sinne innenpolitisch verkraftbar ist und vertretbar ist. Und werden da nicht jetzt sofort große Lösungen heranbringen.
    Barenberg: Christian Koch, der Direktor des Gulf Research Center, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für dieses Interview.
    Koch: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.