Freitag, 29. März 2024


Gorleben liegt immer auf der Reiseroute

Im Starbucks an der Shibuya Crossing in Tokio ist alles wie immer: Die Kunden stehen ordentlich in einer Schlange vor der Theke und warten darauf, ihre Bestellung abgeben zu können. Sobald dann der Capuccino oder Latte Macchiato fertig ist, wird der Becher dem Kunden mit beiden Händen und einer Andeutung einer kleinen Verbeugung überreicht. Dass rund 300 Kilometer weiter nördlich Arbeiter im Atomkraftwerk Fukushima gegen einen drohenden GAU kämpfen, davon ist zumindest hier nichts zu merken.

Von Silke Ballweg | 31.03.2011
    Aber nicht alle in Tokio lässt die drohende Nukleargefahr so kalt. Einige U-Bahn-Stationen weiter, beim Citizen's Nuclear Information Center stehen einige Mitarbeiter um einen Computerbildschirm. Auf Youtube schauen sie sich Bilder der Anti-Atomkraft-Demonstration an, die vergangenes Wochenende in der japanischen Hauptstadt stattgefunden hatte. Die Atomkraftgegner hier sind mehr als zufrieden. Denn während früher nur 30 Leute bei den Demos mitmachten, kamen vergangenes Wochenende 1200 Japaner zusammen.

    Die 59 Jahre alte Masako Sawai arbeitet schon seit 1991 für die Tokioter Nichtregierungsorganisation. Vor gut 30 Jahren hat sie Deutsch studiert, und sie war auch schon mehrmals in Deutschland. Normalerweise schwärmen Japaner von Heidelberg oder München, wenn sie an Deutschland denken, aber nicht so Masako Sawai: Wackersdorf und Gorleben, das sind die Orte, die sie bei jedem Aufenthalt besucht.

    "1989 bin ich zum ersten Mal nach Deutschland geflogen, eigentlich wollte der Gründer der Organisation hier damals zu einer Veranstaltung, aber dann musste er absagen. Naja, und weil ich ein bisschen Deutsch konnte, hat er gefragt, ob ich Lust habe, nach Deutschland zu fliegen. Also bin ich nach Wackersdorf gefahren und dann nach Gorleben. Und dann bin ich noch weiter nach Berlin. Im Zug nach Berlin wurde ich von DDR-Soldaten kontrolliert, die haben mir damals eine Karte ausgestellt und diese Karte, die habe ich heute noch, als Souvenir."

    Die Mitglieder des Citizen's Nuclear Information Center haben während der vergangenen Jahre einen einsamen Kampf gekämpft. Denn in Japan gab es bislang keine große Anti-AKW-Bewegung. Ein Grund dafür sei, so Masako Sawai, dass Japan kaum eigene Öl- und Gasvorkommen hat. Die Energieunternehmen und die Regierung hätten den Japanern jahrelang erzählt, dass die Atomkraft eine verantwortungsvolle Form der Energiegewinnung sei, denn sie sei sauber und produziere kein CO2. Deswegen habe sich auch niemand gegen Atomkraftwerke gewehrt.

    "Aber jetzt haben die Japaner gemerkt, dass das nicht stimmt. Tepco hat immer gesagt, ohne Atomkraftwerke hat Japan keine Energie. Jetzt mussten sie den Strom ausgerechnet wegen des Atomkraftwerks abschalten."

    Seit dem Unfall vor mehr als zwei Wochen bimmelt bei den Mitarbeitern hier pausenlos das Telefon. Viele Japaner erkundigen sich nach den Gefahren der Strahlung und nach den Gefahren der Atomkraft insgesamt. Japans Anti-AKW-Bewegung findet nun ein wenig Gehör.

    "In Japan fließt fast alles Geld in die Atomkraft, andere Formen der Energie, also Erneuerbare Energien, die hat man in Japan kaum ausprobiert und einfach vernachlässigt. Ein Problem ist wahrscheinlich, dass man mit erneuerbaren Energien nicht so viel Geld verdienen kann wie mit Atomkraftwerken, und deswegen hat die Regierung den Unternehmen auch keinen Druck gemacht. In Japan steht das Wohl der Unternehmen immer an erster Stelle, das ist sehr schlecht, und das rächt sich jetzt."

    Masako Sawai ist eine quirlige kleine Japanerin. Ihr langes schwarzes Haar fällt ihr leicht gewellt bis auf die Schulter. Nur vereinzelt ist es von einer grauen Strähne durchdrungen. Als Chaoten habe man hier in Japan sie und ihre Mitarbeiter während der vergangenen Jahre betrachtet, erzählt die Aktivistin. Aber endlich habe die polierte und geschönte Oberfläche der Atomlobby einen Riss bekommen. Sawai klagt während des Gesprächs immer wieder über die enge Verbindung zwischen Industrie und Politik in Japan. Sogar das deutsche Ökoinstitut habe mehrmals vor dieser Verflechtung gewarnt, sagt sie stolz:

    "In Japan ist es so, dass zum Beispiel ein Unternehmen wie Toshiba den Auftrag bekommt, ein AKW zu bauen. Aber dann erhält Toshiba auch noch den Auftrag, die Sicherheit des Atomkraftwerks zu überwachen. Das heißt, sie kontrollieren sich eigentlich selbst. Das ist natürlich ein Problem, weil es keine unabhängige Kontrolle gibt. Und wenn man mal einen Fehler oder eine Sicherheitslücke entdeckt, dann verschließen sie einfach die Augen."

    Seit dem Unfall in Fukushima messen die Mitarbeiter vom Citizen's Nuclear Information Center die Radioaktivität in Tokio. Die Werte werden anschließend auf der Homepage der Organisation veröffentlicht. Auch jetzt wieder verlässt Sawai mit dem Geigerzähler, der ein wenig an ein Batterieaufladegerät erinnert, das Büro. Mit jedem Schritt nach draußen wird das Piepsen des Geigerzählers schneller. Die Radioaktivität von Fukushima ist hier in Tokio.

    Sendereihe "Die verwundete Nation"

    Deutsche Welle: "Die verwundete Nation"
    Derzeit immer dabei: der Geigerzähler
    Derzeit immer dabei: der Geigerzähler. (Silke Ballweg)