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"Gott allein"

Am Staatsschauspiel Dresden kam es nun zur Uraufführung des Stückes "Gott allein" von Jan Neumann. Dazu gibt es auch einen Untertitel: "Geschichten von Menschen unter den Lichtern und hinter den dunklen Fassaden." Dabei handelt es sich meist um Geschichten unaufregender Menschen - die aber mit Lebenswendungen konfrontiert sind.

Von Hartmut Krug | 24.04.2010
    Fünf Personen springen auf ein kleines Podest und drängen sich an ein Mikrofon. Diese Theaterfiguren tragen alle zur Trainingshose ein rotes Sweatshirt, graue Wollmütze, Brille und dünnen Oberlippenbart. Sie gleichen sich wie Klone und reden mit einer Stimme:

    "Ich bin der Harald Zwilling. Meine Mutter war eine geborene Zwilling. Ich heiß auch so weil mein Vater ist einfach früh weg und deswegen. Ja. Und weißt du was noch Zwilling ist an mir? Na guck genau hin. Genau. Ich bin Sternzeichen Zwilling. Das heißt: Ich bin Zwilling. Ich heiße Zwilling und jetzt, das glaubst du nicht! Ist aber wirklich wahr! Jetzt kommt der Clou: Aszendent auch Zwilling! Also eigentlich bin ich Drilling! Und wir Zwillinge, wir waren immer Kämpfer, ja."

    Jan Neumann beginnt sein Stück "Gott allein" nicht nur mit Sprach- und Bedeutungswitzeleien, die sein Stück durchziehen, sondern auch mit einem Theatereffekt von tieferer Bedeutung: denn Harald Zwilling, der in einer Kneipe an seinem 40. Geburtstag eine Runde schmeißt und gerade mit einem Elvis-Imitator-Auftritt mal wieder gescheitert ist, erinnert sich als einer von fünf Arbeitern, die der Automatisierung zum Opfer fielen und nicht mehr weiter wussten.

    Gezeigt wird der Rückblick auf ein Scheitern. Einst arbeiteten die fünf an einer Verpackungsmaschine, dann suchten sie nach der Entlassung nach einem neuen Inhalt für ihr Leben. Jeder auf seine Weise. Einer als weinerlich Depressiver, ein anderer als schaurig schön hessisch babbelnder Optimist, der zwar keine klaren Vorstellungen besitzt, aber so energisch wie vergeblich in eine Kollegin verliebt ist, und ein dritter schwört alle auf Selbstmotivation ein. Sehnsüchte sollen bekannt, Hoffnungen benannt werden. Erzählt wird vom alltäglichen Leben, wobei die vielen kleinen Situationen auch aus dem Leben nur einer Figur stammen könnten, aus dem des Harald Zwilling.

    Gesprochen und gespielt wird nie mit trapsiger Ernsthaftigkeit, sondern es wird, ohne die Figuren zu verraten, vor allem auf Komik gesetzt. Was Neumann bietet, ist kein fein gezeichnetes psychologisches Theater, sondern ein spielerisch ausgestelltes Wirkungstheater. Man merkt, dass Regisseur und Stückebastler Jan Neuman als Schauspieler begann und sein Stück wie immer erst während der Proben entwickelt hat, gemeinsam mit den Schauspielern. Was bedeutet, dass vieles, das in der Ankündigung des Stückes vorkommt, ob ein Cowboy, eine Katze namens Amadeus und fünf ukrainische Zehnkämpfer, in der Aufführung keine Rolle mehr spielt, - auch der im Programmheft abgedruckte Stücktext entspricht nicht immer der Spielfassung.

    Wenn die Schauspieler vom Podest auf eine leere, von Stellwänden begrenzte Spielfläche wechseln, wechseln sie zugleich zwischen Erzähl- und Spielrollen, zwischen Szenen, in denen sie Hauptfigur sind, und solchen, in denen sie Beiträger in Lebenssituationen anderer sind. Männer spielen parodistisch Frauen, und die einzige Frau im fünfköpfigen Ensemble bindet sich natürlich einen Rauschebart vor. Der Regisseur entwickelt weder größere szenische Bilder noch liefert er Videos, sondern er inszeniert monologisch-dialogisches Schauspielertheater. Dessen Texte sind zwar verdichtet und zuweilen arg witzelnd, aber kaum von literarischer Qualität:

    "Nimm die Kreativität die in dir schlummert und los! Schau nach vorn! Konzentrier dich auf das Positive. Jetzt ist der Neuanfang!"

    Ich brauch Geld Harry.

    Ja. Gut. Aber mach doch die Arbeit die du gerne machst. Oder du die oder du die!"

    "Dudi?"

    "Was?"

    "Hast du jetzt Dudi zu mir gesagt?"

    "Nicht Dudi! Mach du die Arbeit die du machen willst und du die die du willst."

    Jeder soll an sich selbst glauben, wie im wahren Leben, und der Titel-Gott spielt keine Rolle. Doch alle scheitern, mal in schrecklich komischen Bewerbungsgesprächen, mal wie Harry als Elvis-Imitator auf der Bühne mit einem Helfer, der in einer unendlich ausgewalzten Szene die Nebelmaschine nicht abzuschalten vermag, einem Veranstalter, der ihn Gott-ähnlich von der Bühne schickt, und einem Osteuropäischen Elvis-Imitator, der ihm wohl auch diesen letzten Job wegschnappt. Am Schluss dieser Harry-Zwilling-Erinnerungstour sind alle wieder beieinander, - als Einreder in Harrys Kopf.

    Poetische Kraft und tiefer gehende Fragen, wer bin ich, wer seid ihr, wie viele ist ein jeder, besitzt Stück und Inszenierung nicht. Es ist eine angestrengt witzelnde und an der Oberfläche heutiger gesellschaftlicher Erfahrungen herumkratzende Arbeit, der leider auch ein inszenatorischer Rhythmus fehlt. Auch Stückentwicklungen können einmal scheitern.