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Gotteslästerliche Jungfernzeugung männlicher Bienen

Johann Dzierzon erforschte das Leben der Bienen und die Imkerei. Eine bahnbrechende Entdeckung brachte ihm den Ruf des "Bienenpfarrers" ein. 16. Januar 1811 wurde er geboren.

Von Irene Meichsner | 16.01.2011
    Johann Dzierzon: "Mein Herz frohlockt, erblicke ich ein in den schönsten gelben Farben erstrahlendes Stückchen Feld, geradezu als ob es über und über mit reinen Golddukaten bedeckt wäre. Wie viel an güldenen Schätzen könnte man dieser Blütenpracht entlocken. Erstehe alsbaldigst so viele Bienen, dass sie den Überfluss an Honig und Wachs, verborgen in den gelben Blüten, nicht nur auf Deinen, sondern auch auf den Feldern Deiner Nachbarn aussaugen und zentnerweise in ihren Stöcken sammeln mögen!"

    Johann Dzierzon war seit 1835 Pfarrverweser und seit 1838 katholischer Gemeindepfarrer im oberschlesischen Karlsmarkt, heute das polnische Karlowice. Schon als Kind hatte der Bauernsohn, der am 16. Januar 1811 in Lowkowitz im Regierungsbezirk Oppeln zur Welt kam, eine Vorliebe für Bienen.

    "In der Beobachtung der Bienen und der Erforschung ihres wunderbaren Haushaltes fand ich das größte Vergnügen und wählte daher einen Beruf, in welchem mir dieses möglich war."

    schrieb er in seiner Autobiografie. In Karlsmarkt und den umliegenden Orten platzierte Dzierzon binnen weniger Jahre rund 400 Bienenstöcke. Seine erste revolutionäre Tat war der Einbau von beweglichen Holzleisten, die es möglich machten, den Honig zu ernten, ohne den Stock dabei zu zerstören. So ließen sich die Erträge noch deutlich steigern.

    "In besseren Jahren erntete ich eine solche Menge Honig, dass ich wegen Unterbringung und Verwertung desselben in Verlegenheit kam."

    Außerdem erlaubten die "beweglichen Leisten" erstmals einen Blick ins Innere des Bienenstocks. Eines Tages beobachtete Dzierzon, dass eine Bienenkönigin Drohnen-Eier legte, ohne zuvor einen Hochzeitsflug absolviert zu haben. Offenbar schlüpften männliche Bienen aus unbefruchteten Eizellen – ein Fall von sogenannter "Jungfernzeugung" oder "Parthenogenese". 1845 veröffentlichte Dzierzon seine Entdeckung in der "Bienen-Zeitung".

    "Meine neue Theorie, welche in dem Satze gipfelt, dass die Königin das Geschlecht der Eier dadurch bestimmen könne, dass sie die in die Drohnenzellen zu legenden Eier der Befruchtung entziehe, fand den heftigsten Widerspruch."

    Für viele, vor allem natürlich für die katholische Kirche, hatte die Theorie von der Jungfernzeugung männlicher Bienen gotteslästerliche Züge. Zehn Jahre lang dauerte der Streit. Schließlich bat August Freiherr von Berlepsch, einer der größten Imker seiner Zeit, der Dzierzon einen "eminenten Scharfsinn" und eine "höchst seltene Beobachtungsgabe" attestierte, die führenden Naturforscher um ihre "wissenschaftliche Hilfe". Zwei Professoren aus Gießen und München reisten eigens zu ihm nach Seebach bei Langensalza, wo 1855 der mikroskopische Nachweis der Jungfernzeugung männlicher Bienen gelang.

    "Meine Theorie hat die wissenschaftliche Feuerprobe bestanden."

    Dzierzons Autorität als "Bienenpfarrer" war fortan unangefochten. Er importierte eine besonders fleißige und friedliche Bienensorte aus Italien, gab mehrere Fachzeitschriften heraus, schrieb Bücher, wurde vielfach geehrt – und erklärte sich ausschließlich der Wahrheit verpflichtet.

    "Licht und Erleuchtung sind meine Devise, und jegliches Fehlen an Erleuchtung ist die Erbschaft Hunderter von dunklen Jahren. Lüge und Täuschung gehen vorüber, aber die Wahrheit bleibt."

    Als echter bäuerlicher Dickschädel legte sich Dzierzon immer wieder mit der Obrigkeit an, zog mehrfach vor Gericht. Im Übrigen konnte er über seiner Beschäftigung mit den Bienen auch mal eine Messe oder sogar eine Beerdigung vergessen. Wegen Vernachlässigung seiner Pflichten wurde er 1869 seines Pfarramts enthoben.

    1872 wurde dem "Gründer der rationellen Bienenzucht", der die Imkerei auf eine ganz neue Grundlage stellte, die philosophische Ehrendoktorwürde der Universität München verliehen. 1884 kehrte er wieder in seinen Geburtsort Lowkowitz zurück. Eineinhalb Jahre vor seinem Tod versöhnte er sich dort noch mit der römisch-katholischen Kirche. Im Oktober 1906 starb Johann Dzierzon im Alter von 95 Jahren, nachdem er in Lowkowitz ein zwar relativ einsames, aber nach eigenem Bekunden doch zufriedenes Leben geführt hatte.

    "Ich befinde mich ja stets in der Nähe meiner lieben Bienen. Diese aber verwandeln für denjenigen, der für die Wunder der Natur ein empfängliches Gemüt hat, selbst eine Wüste in ein Paradies."