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Gotthard-Pass
Eine Nacht im Felshotel

Für ein Hotel ist das "La Claustra" am Gotthard-Pass wohl der unwirtlichste Ort, den man sich vorstellen kann. 22 Zimmer ohne Fenster, Bad und Fernseher - einfach in den Stein gehauen. Ob beim Essen oder Baden: Das Zeitgefühl geht den Gästen schnell verloren.

Von Katja Lückert | 15.02.2015
    Das Hotel "La Claustra" auf dem Gotthardpass.
    Der Eingang des Hotels. (Katja Lückert)
    Schmal und krumm, teilweise mit Kopfsteinpflaster bedeckt, windet sich die alte Passtrasse durch das Hochgebirgsmassiv. Es schüttet heute wie aufs Kübeln, schon weiter unten an der Teufelsbrücke schäumen die Wassermassen der Reuss hoch über die Felsen. Jetzt hängt der Nebel tief, wie aus dem Nichts taucht eine altertümliche schwarze Postkutsche auf. Eine unwirkliche Szenerie. Dann, etwas erhöht auf einem Plateau, sieht man den Eingang zum Bunker mitten im Fels. Die Festung ist ein Teil des sogenannten Schweizers Reduits, dem Ort, an dem sich die Eidgenossen im zweiten Weltkrieg auf dem Gotthard zurückziehen wollten. Die Erde ist matschig aufgeweicht vor dem Eingang, Rainer Geissmann wartet mit dem Regenschirm und sperrt das schwere eiserne Tor auf.
    Nach einem langen Gang, der tief in den Berg hinein führt und weiteren armdicken Stahltüren, erreicht man endlich das Innere von "Claustra" – Kerzenlicht, die Felswände sind nass, in ein Bassin stürzt von oben ein Wasserschwall, einziger Indikator für die Wetterlage draußen.
    Heute Nacht macht der Gotthard als Wasserschloss seinem Namen alle Ehre. In der Felsenkaverne steht ein anheimelnd beleuchtetes Gebäude, es beherbergt das Restaurant dieses unterirdischen Hotels. Unser Gastgeber sucht mit dem einzigen Angestellten das Nötigste zusammen:
    "Man kommt sich hier vor wie ein Zirkusdirektor, ich kann nicht Hotelier sein, ich kann auch nicht Investor sein, ich muss hier immer wie ein Zirkusdirektor immer mit einem Schraubenzieher durch die Gegend laufen, weil hier immer irgendetwas auf dieser circa 5.000 Quadratmeter Hotelfläche, die wir hier haben, fehlt."
    22 Zimmer ohne Fenster, ohne Bad, ohne Fernseher – nur Betten auf den Holzdielen – die Einrichtung ist spartanisch: Ein Tisch, ein Stuhl, ein Spiegelschrank mit Waschbecken. Der für ein Hotel auf den ersten Blick unwirtlichste Ort – nämlich eine ehemalige militärische Festungsanlage - ist ausgerechnet zu einer Nobelherberge, in der die Übernachtung rund 300 Euro kostet, umgebaut worden. Heute Nacht sind wir die einzigen Gäste.
    "Die haben natürlich hier oben eingemauert, eingebunkert. Dieses Haus hier hat zwei Kanonen oben. Die haben sie übrigens in Deutschland gekauft, irgendwann 1938 sind die geliefert worden von Krupp und diese zwei Kanonen haben dazu geführt, dass man diesen Bunker gebaut hat und die sind dann mit bis zu 200 Personen besetzt gewesen."
    "Hier haben wir den Notausgang, da geht's dann hier hoch ins Freie durch den Fels."
    Gut zu wissen. Wir machen trotzdem zur Beruhigung einen Abstecher in den kleinen, in hellen Farben freundlich eingerichteten Wellnessbereich, baden in tief in den Boden eingelassenen Wannen, und versuchen, auf den Liegen zu entspannen. Es fällt schwer, die Vorstellung, diesen tonnenschweren Fels über sich zu haben, das Wasser rauscht, kann der Stollen volllaufen?
    "Man verliert hier die Zeit. Das stellen Sie dann schon beim Essen fest, man trinkt einen Wein, die Zeit vergeht, es ist zeitlos hier. Das mag inspirierend sein. Ferien macht bei uns keiner, bei uns bleiben die Leute ja nur eine Nacht. Hier kann man nicht drei Wochen Urlaub machen, das macht keinen Spaß, da will man irgendwann mal die Berge sehen."
    Die Berge und besonders das Gotthard-Massiv, als mythischer Urort der Schweiz, haben den Künstler Jean Odermatt immer fasziniert. Er war es, der vor zehn Jahren den Umbau dieser ehemaligen Festung in ein Hotel betrieben hat. An manchen Stellen wirkt die Anlage, als seien die Soldaten gerade erst ausgezogen: Hier das Dienstbüchlein, ein Paar ausgetretene Pantoffeln stehen unter einem der Stockbetten, die Listen mit den Ersatzteilen, jede Schraube gab es mehrfach für den Fall, dass man wirklich zwei, drei Jahre hätte hier ausharren müssen.
    Dann wieder Möbel aus Indonesien, eine Bibliothek und ein wohl gefüllter Weinkeller. Die Gegensätze jener Kriegszeiten und moderner Sinnsuchanreize prallen hier pausenlos aufeinander. Odermatt ist schließlich mit seinem Projekt finanziell gescheitert, nach jahrelangem Gezänk und Leerstand hat der Liechtensteiner Rainer Geissmann, der eigentlich aus der Skibranche kommt, das Hotel übernommen. Er ist den Kampf gegen die Schneemassen gewohnt, und versucht nun, sein unterirdisches Haus, so früh wie möglich im Jahr zu öffnen. Kaum zu glauben, wie er das macht: Er füllt das Flussbett mit Schnee auf und bekommt so einen Zugang zu seinem Hotel.
    "Der Pass wird am 1. April geöffnet von unten her, das heißt wir haben mit einem Schlüssel Zutritt zum Pass, auch zu la Claustra und dann muss ich bis zur Unterführung einen Weg planen. Wir müssen dann circa 100 bis 150 Kubikmeter Schnee in die Reuss reinschieben , um dann auf der Reuss, kommen dann unter der Brücke durch, kommen mit Ach und Krach durch, können dann hochfahren, mit dem Schneeflug den Eingang freimachen und kommen dann irgendwann mal ins Haus rein. Und kann dann vielleicht sechs Wochen früher aufmachen, damit der Winter länger wird."
    Ständig das Wasserrauschen im Ohr
    Die großen Autoströme rauschen seit knapp 35 Jahren durch den Gotthardtunnel, mit dem Bau des neuen Eisenbahntunnels werden sich die Reisezeiten noch verkürzen. Immer weniger Menschen werden sich dann noch auf dem Pass verirren, und wenn meist nur aus touristischen Gründen, etwa, weil sie mit dem Oldtimer feststellen wollen, dass sie die 35 engen Serpentinen der Tremola, die auf den Pass hoch führt, immer mit der gleichen Lenkbewegung fahren können. Andere suchen einen sehr abgeschiedenen Ort zur Einkehr und Besinnung. Seit einigen Jahren werden touristischen Unternehmungen, die die Region des Gotthardpasses beleben helfen, gefördert, doch Geissman, vermutet, dass den meisten hier oben der lange Winter gerade recht ist.
    "Diese Gegenden, die schlafen, die freuen sich über den frühen Schnee und freuen sich, dass der Schnee möglichst lange liegt, so lange hat man keine Verantwortung und muss man nichts machen. Das ist aber ein wirtschaftliches Problem, das wir allgemein in diesen Tälern oben haben. Wenn Sie darüber berichten, dass der Basistunnel geöffnet ist, dann ist von Faido bis Altdorf bis Erstfeld tote Hose, dann läuft nichts mehr. Da gibt es keine Busverbindung, keine Bahnverbindung, da gibt es Geisterstädte. Es gibt ja ein sogenanntes Progetto San Gottardo, die sitzen auf ihren 80 Millionen Schweizer Franken, die hätten eigentlich die Aufgabe, dieses Debakel, das jetzt mit dieser Neat-Lösung, diesem Basistunnel auf uns zukommt, das aufzufangen. Dafür haben der Bund, die Kantone und die Gemeinden Geld gesprochen, aber es passiert einfach nichts."
    Nach einer zugegebenermaßen sehr unruhigen Nacht, ständig das Wasserrauschen im Ohr, treibt es einen wieder aus dem Zimmer über den rotbeteppichten Felsengang zu den Waschräumen. Wir beschließen auch der zweiten, viel größeren Festung auf dem Gotthardplateau einen Besuch abzustatten. Im Sasso gibt es eine Ausstellung zu dem Themen, Luft, Energie und natürlich Wasser zu sehen, einige sehr imposante Kristalle, werden auch gezeigt. Ursprünglich sollten die ehemaligen Festungen des Reduits zu einer gemeinsamen Freizeitanlage verbunden werden, Geissmann macht sich da allerdings keine Illusionen mehr.
    "Wenn Sie noch ins Sasso gehen, dann werden Sie feststellen, dass das immer noch so ist. Da ist eine ganze Truppe von Exbrigadiers, da hat man mit Stiftungsgeldern und irgendwelchen öffentlichen Geldern hat man da 14 Millionen zusammengetragen mit irgendeiner Idee. Und natürlich nicht in dem Zeitraum, wie es hätte sein sollen. In der Zwischenzeit ist dieses hier zwei Mal Konkurs gegangen, es fehlte eigentlich eine Verbindungsbahn, damit es zu einem Event wird, sodass es zu einem Europapark wird, sodass man hier den Gotthard beleben könnte."
    Im Herzen der Schweiz auf dem Gotthard-Pass will Rainer Geissmann auf Suisseness setzen. Er öffnet sein Haus für außergewöhnliche Firmenevents, für Oldtimerfans, aber auch für Privatreisende, die Abgeschiedenheit und ein leicht klaustrophobisches Gefühl beim Übernachten suchen. La Claustra ist sicher das einzige Luxushotel der Welt, bei dem eine nie gekannte Erleichterung beim Verlassen desselben im Preis inbegriffen ist. Aber zugleich ist man sehr stolz, dass man es so tief im Berg ausgehalten hat.