Donnerstag, 18. April 2024

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Gradlinig und stringent

Wer von anderen moralische Stringenz verlange und hohe Maßstäbe anlege, müsse damit leben, dass eben diese Maßstäbe auch an einen selbst angelegt würden, sagt die Kirchenbeauftragte der Union, Maria Flachsbarth. Den Schritt von Margot Käßmann zum Amtsverzicht bezeichnete sie als gradlinig.

Maria Flachsbarth im Gespräch mit Stefan Heinlein | 25.02.2010
    Stefan Heinlein: Rücktritt nach nur vier Monaten. Alkohol am Steuer, Margot Käßmann hat die Konsequenzen gezogen. Wasser predigen und Wein trinken, diesen Vorwurf wollte Margot Käßmann nicht dauerhaft ertragen. Der Evangelischen Kirche bleibt somit eine quälende Diskussion über Moral und Autorität der Ratsvorsitzenden erspart. Dennoch Bedauern über ihren Verzicht auf alle kirchlichen Spitzenämter. Mit ihrer Arbeit und ihrem öffentlichen Auftreten hatte sich Margot Käßmann über die Jahre Respekt und Anerkennung verdient.

    Am Telefon ist nun die Kirchenbeauftragte der Union, Maria Flachsbarth. Guten Morgen!

    Maria Flachsbarth: Guten Morgen, Herr Heinlein.

    Heinlein: Frau Flachsbarth, war dieser Rücktritt ohne Alternative?

    Flachsbarth: Ich hätte mir vorstellen können, dass Frau Käßmann auch in ihrem Amt verblieben wäre, obwohl das sicherlich sehr, sehr schwierig gewesen wäre, denn sie wäre sicherlich immer wieder mit diesem Fehlverhalten, was nicht zu bagatellisieren ist, konfrontiert worden.

    Herr Heinlein, wenn man auf die ganz anfänglichen Anfänge des Christentums guckt, so ist der Mensch, auf den Christus seine Kirche gebaut hat, der Fels, auf den er seine Kirche gebaut hat, jemand, der ganz, ganz tief gefallen ist in einem Moment, als es wirklich ernst wurde. Als Jesus Christus verraten wurde und festgenommen wurde, hat er ihn dreimal verleugnet. Ob dieser Mensch die moralische Autorität nach heutigen Maßstäben gehabt hat, darauf eine Kirche zu bauen, das hinterlässt mich im Moment mit einem Fragezeichen.

    Heinlein: Hat es Sie also überrascht, dass Margot Käßmann nicht um ihr Amt gekämpft hat?

    Flachsbarth: Letztendlich war es für sie selber sehr gradlinig. Sie hat sich wohl am allermeisten über dieses Fehlverhalten geärgert. Ich glaube ja, dass sie sich wirklich selber gewundert hat, weil sie in anderen Interviews auch sich ganz ausdrücklich dazu geäußert hat, wie gefährlich es ist, unter Drogen- oder Alkoholeinfluss zu fahren, und damit eben sich selbst und vor allen Dingen andere in Gefahr zu bringen, und von daher war dieser Schritt für sie selbst stringent.

    Heinlein: Ist die Fallhöhe von Geistlichen besonders hoch? Einem Schauspieler, vielleicht auch Politiker hätte man wohl noch eine Chance gegeben. Kann das sein?

    Flachsbarth: Ich glaube, Menschen in der Öffentlichkeit – das sind auch Politiker, das sind möglicherweise auch Journalisten, aber insbesondere natürlich auch Vertreter der beiden großen Kirchen – stehen unter einer besonderen öffentlichen Beobachtung und da sie selber von anderen moralische Stringenz verlangen und hohe Maßstäbe anlegen, so muss man damit leben, dass eben diese Maßstäbe auch an einen selbst angelegt werden.

    Heinlein: Also ist sie an ihren eigenen hohen Maßstäben gescheitert?

    Flachsbarth: Es sind die hohen Maßstäbe, ja, der Kirchen und auch die Maßstäbe, die sie an sich selber gesetzt hat, denn sonst wäre sie jetzt ja auch nicht zurückgetreten.

    Heinlein: Glauben Sie nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung durchaus Verständnis gehabt hätte für die menschliche Fehlbarkeit auch einer Geistlichen?

    Flachsbarth: Das kann schon sein. Das kann schon sein und der Rat der Evangelischen Kirche hat ihr ja das Vertrauen ausgesprochen und hat gesagt, dass er bereit ist, verschiedene Wege mit ihr zu gehen, also den, den sie gegangen ist, aber auch einen anderen, also den Verbleib im Amt. So verstehe ich das, so hat sich Nikolaus Schneider auch gestern Abend geäußert. Von daher meine ich tatsächlich, dass es zwei Wege für sie gegeben hätte. Sie hat sich für den entschieden, der für sie selbst der stringente war.

    Heinlein: Wie ehrlich war denn die Rückendeckung der EKD für Margot Käßmann?

    Flachsbarth: Das kann ich von außen überhaupt nicht beurteilen. Ich gehe davon aus, dass sie ehrlich war. Wenn sich 14 Menschen hinter sie stellen, so gehe ich davon aus, dass diese 14 Menschen auch hinter ihr stehen.

    Heinlein: Glauben Sie, dass man ihr aber vielleicht hinter den Kulissen den Rücktritt durchaus nahegelegt hat?

    Flachsbarth: Das kann ich Ihnen einfach nicht sagen, weil ich mich nicht hinter den Kulissen befunden habe. Ich gehe davon aus, dass die Kirche auch im internen Umgang die Maßstäbe an das zwischenmenschliche Handeln anlegt, die sie predigt, die also geprägt sind davon, dass man sich in Nächstenliebe begegnet.

    Heinlein: Frau Flachsbarth, Unruhe nicht nur in der Evangelischen Kirche; auch die katholischen Bischöfe haben mit der Missbrauchsaffäre derzeit schwer zu kämpfen. Ist derzeit die Glaubwürdigkeit der christlichen Kirchen insgesamt in Gefahr in unserer Gesellschaft?

    Flachsbarth: In der Öffentlichkeit tauchen Fragezeichen auf. Das ist schon so. Auf der anderen Seite: Kirchen sind oder werden von Menschen gebildet. Menschen sind fehlbar. Das Christentum weiß das seit seinen ersten Anfängen. Ich habe eben darauf hingewiesen. Christen wissen mit Fehlverhalten umzugehen, geben Chancen, geben die Möglichkeit zu bekennen. Das ist ganz wichtig und das geschieht jetzt auch in der Katholischen Kirche. Kirchen geben die Möglichkeit zu bereuen und geben Hoffnung auf Vergebung.

    Heinlein: Wie schwer, Frau Flachsbarth, wiegen denn in diesem Zusammenhang die Vorwürfe der Bundesjustizministerin an die Adresse der katholischen Bischöfe? Es geht ja auch um die juristische Aufarbeitung dieser Affären.

    Flachsbarth: Das ist richtig. Ich muss sagen, dass ich froh war, dass Bischof Zollitsch sich am 22. – das war jetzt vor zwei, drei Tagen – sehr, sehr klar geäußert hat im Rahmen der Deutschen Bischofskonferenz zu diesen Missbrauchsfällen, dass er sich klar zu ihnen bekannt hat, dass er sich entschuldigt hat, dass er von schweren Vergehen gesprochen hat, und auch, dass er gesagt hat, dass man sich wünscht, dass die staatlichen Behörden so schnell wie möglich eingeschaltet werden und die Staatsanwaltschaften alle möglichen Einblicke erhalten. Das hat er so wörtlich gesagt. Von daher hat mich dieser Disput mit der Bundesjustizministerin etwas gewundert und ich bin nun sehr froh, dass man auf eine Gesprächsebene zurückkehrt, denn das Allerwichtigste an diesem Sachverhalt ist ja jetzt, dass man den Opfern gerecht wird, dass ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt.

    Heinlein: Sie sind verwundert über Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sind diese Vorwürfe der Bundesjustizministerin also nicht berechtigt?

    Flachsbarth: Ich glaube, die führen auf ein Abstellgleis, weil Erzbischof Zollitsch ganz, ganz klar gesagt hat, dass er sich wünscht, dass die staatlichen Behörden nun so schnell wie möglich eingeschaltet werden und die Staatsanwaltschaften alle möglichen Einblicke erhalten. Von daher, denke ich, sind jetzt die Voraussetzungen gegeben, dass auch der Rechtsstaat das tut, was er tun muss, nämlich seine Bürgerinnen und Bürger schützen. Es ist überhaupt gar keine Frage, dass auch in diesen Zusammenhängen der Rechtsstaat handeln muss.

    Heinlein: Gibt es also auch in kirchenpolitischen Fragen, in der Haltung zu den christlichen Kirchen und auch in der Ansprache Differenzen innerhalb der Koalition? Sie sind in der CDU, Leutheusser-Schnarrenberger in der FDP.

    Flachsbarth: Wir sind ja keine, nicht eine Partei sozusagen, die also in allen Punkten die absolut selben Meinungen hat. Das tritt im Moment ganz besonders zu Tage in verschiedenen Politikfeldern. Ich freue mich einfach, dass sowohl Frau Leutheusser-Schnarrenberger, als auch der Erzbischof Zollitsch jetzt bekundet haben, dass sie miteinander das Gespräch suchen wollen, nicht über die Medien, sondern miteinander, und dass es vor allen Dingen darum geht, nicht verschiedene Positionen zu bekunden, sondern dass es darum geht, den Opfern gerecht zu werden und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, und ich glaube, dass das tatsächlich im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion auch stehen sollte und des Handelns aller Beteiligten.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen die Kirchenbeauftragte der Union, Maria Flachsbarth. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Flachsbarth: Danke schön.