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Gräfin Batthyány-Thyssen und die Waffen-SS
Und auf einmal ist die "Gastgeberin der Hölle" die eigene Großtante

Kurz vor Kriegsende feierte Gräfin Margit von Batthyány-Thyssen im Burgenland ein Fest mit der örtlichen Waffen-SS. In derselben Nacht wurden 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Sacha Batthyany, Schweizer Journalist und Enkel von Margits Schwester, geht seinem Erbe schonungslos nach.

Von Matthias Bertsch | 07.03.2016
    Ein Plakat der Waffen-SS in der Ausstellung des neuen NS-Dokumentationszentrums "Topographie des Terrors".
    Ein Plakat der Waffen-SS in der Ausstellung des neuen NS-Dokumentationszentrums "Topographie des Terrors". (dpa / Rainer Jessen)
    "Ein schreckliches Geheimnis." Unter diesem Titel hat der Schweizer Journalist Sacha Batthyany vor sechs Jahren in der Wochenendbeilage des Züricher Tages-Anzeiger einen Artikel über ein Massaker an jüdischen Zwangsarbeitern im März 1945 veröffentlicht. Auslöser für seine umfangreichen Recherchen war der Hinweis einer Kollegin:
    "Ich war damals Journalist bei der Neuen Zürcher Zeitung, ich war ganz frühmorgens im Büro und musste noch was fertig schreiben, und da hat mir auf einmal eine ältere Kollegin von hinten einen Zeitungsartikel auf den Tisch geworfen. Ich habe dann diese Frau auf dem Foto erkannt, der Titel dieses Zeitungsberichts lautete "Gastgeberin der Hölle", und ich habe die Frau erkannt, es war meine Großtante, Tante Margit, so fing das an."
    Margit Thyssen-Batthyany war eine Tochter des Industriellen und Kunstsammlers Heinrich Thyssen und mit dem aus einer ungarischen Adelsfamilie stammenden Ivan von Batthyany, einem Großonkel des Journalisten, verheiratet. In seinem Artikel, der später auch im Magazin der Süddeutschen Zeitung publiziert wurde, beschreibt Batthyany, wie auf dem Schloss seiner Großtante im Burgenland ein rauschendes Fest veranstaltet wurde, während einige der Gäste abgeholt, das heißt zur Ermordung der Juden abkommandiert wurden – in der Familie herrschte Schweigen über die Tat.
    Aufarbeitung der eigenen Familiengeschichte
    "Immer mehr drängte sich die Frage dann eben auf, was hat denn das eben mit mir zu tun, also quasi es war dann die Suche nicht im Außen, sondern es war die Suche dann bei mir, im Innern, also was ist davon übrig geblieben. Ist das noch was, womit ich irgendwie eine Verbindung habe?"
    Es gibt eine Verbindung, das wird Batthyany im Laufe der mehrjährigen Arbeit an seinem Buch immer deutlicher – nicht zuletzt mit Hilfe einer Psychoanalyse, die ihn auf seiner Reise nach Innen unterstützt. Die Verbindung besteht allerdings nicht zu seiner Großtante Margit, zu der Batthyany keine emotionale Bindung hat, sondern zu seiner Großmutter Maritta. Auch sie stammt aus einer aristokratischen Familie und wächst wohl behütet auf einem schlossartigen Gutshof in einem kleinen Dorf südwestlich von Budapest auf. Im Dorf leben auch die Mandls, eine jüdische Familie, in deren Laden die Batthyanys öfter einkaufen. Der Krieg scheint weit weg, doch im März 1944 wird alles anders. Die Deutschen marschieren in Ungarn ein, im Schloss der Batthyanys werden Soldaten der Wehrmacht einquartiert, für die Arbeit auf den Feldern und im Garten werden die Juden des Dorfes herangezogen, auch die Mandls. In ihrem Tagebuch schildert Maritta Batthyany, wie sich Herr Mandl eines Tages im Hof des Schlosses erregt an ihren Vater wendet.
    "Sie sind auf dem Weg ins Konzentrationslager, sie werden sterben", sagt Herr Mandl. Es geht um Agnes und Sandor, die Mandl-Kinder. Sie befänden sich bereits in einem der Züge. Frau Mandl hält sich an der Harke fest und schreit meinen Vater an, wie ich ihn noch nie angeschrien habe: "Helfen Sie uns! Helfen Sie uns, tun Sie was!" Doch mein Vater tut nichts. Dann höre ich zwei Schüsse."
    Die Mandls werden von einem Wehrmachtssoldaten erschossen, doch die offizielle Version wird später Selbstmord heißen. Die Tagebucheintragungen der Großmutter machen das deutlich. Sie spielen eine zentrale Rolle in "Und was hat das mit mir zu tun?" Batthyany stellt ihnen immer wieder die Erinnerungen von Agnes Mandl zur Seite. Mandl hat den Holocaust überlebt und ist nach dem Krieg nach Argentinien ausgewandert, wo sie der Autor schließlich trifft. Die ausführlichen Zitate aus den Tagebüchern zeigen, wie unterschiedlich und doch miteinander verwobenen die Lebensgeschichten der beiden Frauen sind. Daneben lässt Batthyany immer wieder seine eigenen Gedanken und Fragen einfließen.
    Kritik aus der Perspektive eines Nachkommen
    "Wieso habt ihr nichts unternommen? Ihr hättet sie doch verstecken können, hat euch nicht das ganze Scheißland gehört? Die Wälder, die Ställe, ein Wort hätte genügt, und der Pfarrer hätte geholfen, der Bauer, der Kutscher – warum nur seid ihr still geblieben?"
    Batthyany fragt und kritisiert aus der Perspektive eines Nachkommen der Täter- oder Mitläufergeneration, der sich durch das Handeln oder Nichthandeln seiner Vorfahren belastet fühlt. Das ist politisch korrekt – aber für die Nachgeborenen manchmal auch sehr einfach, wie er in seinen Kommentaren zum Dauerengagement von Journalisten und Intellektuellen auf Facebook und Twitter deutlich macht.
    "Wie würden wir handeln, wenn sich das Geschehen von unseren Computern auf die Straße verschöbe? Wenn wir plötzlich als Menschen gefordert würden, nicht als User, wenn alles physisch würde, nicht mehr virtuell. Wenn es stinken, schmerzen, lärmen würde und wir die Welt nicht mehr durch das zurückhaltende Design unserer Apple-Laptops wahrnehmen könnten. Wäre Krieg wie vor 70 Jahren, liefen wir nicht alle mit?"
    Das "wir alle" kommt in Batthyanys Buch immer wieder vor, aber spannender ist es dort, wo er beim "ich" bleibt: "Und was hat das mit mir zu tun?" Hier kommt schließlich auch sein Vater ins Spiel, jener ihm fremde Mann, der nach dem Krieg ohne Vater aufgewachsen ist, weil dieser zehn Jahre in sowjetischen Lagern saß. Batthyany reist mit seinem Vater nach Russland, um Spuren dieser Leidensgeschichte zu suchen. Es ist keine harmonische Reise, aber zum ersten Mal bekommt der Sohn eine Ahnung, warum der Vater so ist wie er ist: ein überzeugter Antikommunist, aber auch ein gebrochener Mensch, so wie seine Großmutter Maritta. "Wenigstens die Mandls hätte ich retten können", dieser Satz findet sich in ihrem Tagebuch gleich mehrfach: das Gefühl, versagt zu haben. Es hat sie Zeit ihres Lebens nicht mehr losgelassen – und wirkt bis heute weiter.
    "Ich glaube, diese leicht, wie soll ich sagen, misanthropische Haltung hat sich sicher irgendwo auch immer auf meinen Vater ein bisschen übertragen, dieses ein bisschen resignierte, dieses vielleicht eher weggucken und letztlich habe ich gemerkt, dass das bei mir auch ein bisschen so ist. Jedenfalls kannte ich diese Art, vielleicht eher mal wegzugucken als hin zu stehen."
    "Welchen Einfluss haben Ereignisse auf uns, die vor siebzig Jahren stattgefunden haben?" heißt es auf der Rückseite des Buches. Batthyany gibt darauf keine abschließende Antwort und das ist gut so. Das Spannende ist der Suchprozess, und obwohl Batthyanys Selbstinszenierung manchmal etwas Narzisstisches hat, fesselt das Buch. Es ist gut geschrieben. Und daneben ist es eine Einladung, sich der eigenen Familiengeschichte zu stellen und zu fragen: "Und was hat das mit mir zu tun?"
    Sacha Batthyany: Und was hat das mit mir zu tun?
    Ein Verbrechen im März 1945. Die Geschichte meiner Familie
    Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016
    256 Seiten, 19,99 Euro