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Grandioses Schauspieltheater

Am Münchener Residenztheater hat Thomas Langhoff das Stück "Am Ziel" von Thomas Bernhard inszeniert. Zentrale Figur des 1981 uraufgeführten Dramas ist "Die Mutter", in deren Redeschwall die Lebenslüge zur Kunstform wird. Virtuos dargestellt wird sie von Cornelia Froboess.

Von Cornelie Ueding | 30.06.2008
    Die einzige Handlung: Kofferpacken. Wahre Berge von Klamotten. Einpacken im 1. Teil, auspacken im zweiten, "am Ziel". Das besorgt die zur Dienstmagd dressierte Tochter - fast stumm. Reden tut die Mutter. Ach was reden: Alles, alles begräbt sie unter ihrem ausufernden, zunehmend Cognac-gestützten Redeschwall. Schnörkellos, rücksichtslos, unsentimental - und hemmungslos selbstbezogen. Mit ihrer gnadenlosen Dominanz hat sie ihre Tochter mundtot gemacht, bringt sie redend dann auch den Zufallsgast im Sommerhaus, einen dramatischen Schriftsteller auf Erfolgskurs, zum Verstummen. Ganz freundlich, damenhaft interessiert, zugewandt, ja zuweilen liebevoll. Ein Kunst-Stück übers Theater, das Publikum - und das Leben.

    Cornelia Froboess macht aus diesem dialogischen Schiffbruch ein virtuos komisches Überlebensspiel der Mutter: Sie hat Gusseisen und eine Villa am Meer geheiratet und gehasst und sich geekelt.

    Da hat sie die Lebenslüge als Kunstform entwickelt; und das Gespräch als Entmündigung trainiert. Lebenslänglich. Ist eine Meisterin ihres Faches geworden. Egal, ob im schwarz möblierten Stadtdomizil oder der siegelbildlich weißen Sommerausstattung. Am Meer und in der dramatischen Kunst sucht sie Bestätigung ihrer Lebens- und Kunstauffassung - und auch schon mal Variationen der ritualisierten Daseinsform. Das gehöre sowieso zusammen, wie sie ihre Tochter belehrt anlässlich der eigentlich nicht erfolgten aber überraschenderweise doch irgendwie ausgesprochenen Einladung des dramatischen Schriftstellers ins Haus am Meer.

    Thomas Bernhards "Am Ziel" in München, das ist in der Regie von Thomas Langhoff grandioses Schauspieltheater. Stephanie Leue ist wie ein Stück bewegte Wand, wenn sie sich, auch wenn sie mault, aufmuckt, ja sogar mal wütet, als stummer Vorwurf durch die bühnenhohe Endlosschrankwand hangelt und klettert. Verstockt und kleingemacht. Auf den als Bitte verkleideten Befehl der Mutter kniet sie sogar - widerwillig - vor ihr nieder - und wird rabiat (aber mit wohlgesetzten Worten) zurückgestoßen, als sie, Nähe, Wärme suchend, den Kopf auf den Schoß der Mutter zu legen wagt.

    In dem grausamen Spiel hat sie schon verloren, auch wenn ihre Augen beim bloßen Gedanken an den dramatischen Schriftstellers zu leuchten anfangen. Denn der sieht auch nur sich, gefällt sich in einem aufgesetzten Kompetenz-Gestus - und wird von der tückisch philosophierenden Mutter mühelos in das hermetische System eines heiteren Sadismus eingegliedert.

    Ein Melodram, abgründig launig und en passant serviert. Und ganz nebenher wird auch noch das Geheimnis aller großen Literatur gelüftet: Die Revolution im und aus dem Kopf ausbrechen zu lassen. Das gibt dem banalen Dauersatz des verstorbenen Gusseisenwerksbesitzers eine unerwartet anarchistische Wendung: Ende gut, alles gut. Dafür gab's in München minutenlang standing ovations.