Freitag, 29. März 2024

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Grau-Töne: Religionskolumne
Karfreitag - das Kreuz in der Wellness-Oase

Bevor an Ostern auferstanden werden kann, muss gelitten werden - am Karfreitag, dem sperrigsten aller Feiertage. Keine Geschenke, kein Tanz, kein Braten; nur quälende Fragen hält der Karfreitag bereit. Der Auftakt unserer neuen Religionskolumne "Grau-Töne".

Von Alexander Grau | 23.03.2018
    Ein Steinkreuz mit einer Christusfigur steht am 30.10.2016 in Düsseldorf auf dem Nordfriedhof. Foto: Horst Ossinger/dpa
    Unbequemes Symbol: der gekreuzigte Christus (dpa / Horst Ossinger)
    Karfreitag ist der unbequemste aller christlichen Feiertage und der mit Abstand ödeste: Es gibt keine Geschenke. Es gibt keinen Festbraten. Nicht einmal ein paar trockene Karfreitagsplätzchen. Auch fröhliche Karfreitagslieder gibt es nicht. Von seinem Eventcharakter her ist der Karfreitag einfach der totale Flop. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, ist sogar das Tanzen an diesem Tag verboten. Und Stille, das ist genau das, was der moderne Mensch am wenigsten ertragen kann.
    Doch nicht nur für die überdrehte Spaßgesellschaft unserer Tage ist der Karfreitag eine Zumutung. Auch Theologen, Pastoren und Pfarrer haben ihre liebe Not mit ihm. Schließlich widerspricht er dem flauschigen und süßlichen Bild von Religion und Christentum, das seit Jahrzehnten hingebungsvoll gepflegt wird. Denn mit Lichterketten, Händchenhalten und infantilem Ringelrein hat die Bildersprache des Karfreitags wenig zu tun. Schließlich steht in seinem Zentrum das Kreuz. Also ein Hinrichtungs- und Folterinstrument. Und dessen Botschaft hat mit moderner Wellnessreligiosität schrecklich wenig zu tun, im Gegenteil.
    Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen
    Denn die knallharte Botschaft des Kreuzes lautet: Der Mensch kann sich nicht selbst erlösen. Das ist in unserem von hysterischer Selbstsuche geprägten Zeitalter natürlich denkbar unpopulär. Schließlich gehört es zu den Zwangsvorstellungen der Moderne, dass der Mensch sich selbst sein Heil bringen kann: mittels Selbstverwirklichung, Emanzipation, Extremsport oder Sabbatical.
    Doch da ein Mensch, der verzweifelt er selbst werden möchte, alles Mögliche wird, ganz sicher aber nicht er selbst, mündet dieser Selbsterlösungswahn in den alltäglichen Irrsinn der Selbstoptimierung mittels Personal Trainer, Coach und Psychotherapeut.
    Gerade weil das Kreuz so radikal unzeitgemäß ist und im Grunde eine Zumutung, gerade deshalb ist es so hoch aktuell. Es macht uns mittels eines drastischen Bildes deutlich, dass ein gelingendes Leben nicht von uns abhängt, nicht von unserer Lebens- oder Karriereplanung und schon gar nicht von den Einflüsterungen irgendwelcher Psychoheinis.
    Zur Freiheit befreit
    Seine zentrale Botschaft lautet: Mache Dich frei von Heilslehren aller Art. Führe dir vor Augen, dass keine Ideologie der Welt dich erlösen wird.
    Zugespitzt wird diese Einsicht noch dadurch, dass das Symbol des Kreuzes Gott selbst in all seiner Ohnmacht zeigt, gefoltert und erniedrigt. Anders als andere Religionen sieht das Christentum in seinem Gott keinen triumphalen Weltenherrscher. Es ist keine Religion, die Gewissheit verteilt wie Smarties auf einem Kindergeburtstag. Denn Gott selbst ist ohnmächtig und ratlos. Am Ende steht nur eine Frage: "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?"
    In diesem Schrei steckt die eigentliche Sensation des Christentums. Der, den Christen als Gottessohn bezeichnen, fragt in höchster Not: "Warum?" Und die Stille, die darauffolgt, ist die ganze Antwort. Das ist keine leichte Kost. Das passt weder zum zeitgenössischen Kompetenzwahn noch zur aktuellen Work-Life-Balance-Ideologie. Doch genau von diesen dumpfen Schimären kann das Karfreitagsgeschehen freimachen. So gesehen wohnt dem Karfreitag dieser zentrale Gedanke inne: zur Freiheit befreit zu sein.