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Grausamer Analphabet mit großem Kunstverständnis

Mir ist heut so nach Tamerlan, nach Tamerlan zu Mut,

Von Irene Meichsner | 18.02.2005
    ein kleines bißchen Tamerlan, ja Tamerlan wär gut.
    Es wäre ja, geniert mich das,
    geniert mich das, gelacht.
    Ich glaube, es passiert noch was,
    passiert noch was, heut Nacht.

    So ganz ernst hat das Kurt Tucholsky natürlich nicht gemeint mit seinem Tamerlan, für den immerhin einer der grausamsten Eroberer aller Zeiten Pate stand. Als "Timur Lenk" kennt man ihn auch oder: "Timur den Lahmen" oder den "Eisernen Krüppel" - eine Anspielung darauf, dass sein rechter Arm gelähmt war und er von klein auf hinkte. Im legendären Samarkand hat er residiert; sein Mausoleum ist noch heute eines der bedeutendsten Baudenkmäler der Stadt. Von Staatspräsident Islam Karimow wurde er nach dem Zerfall der Sowjetunion zum Symbol des modernen Usbekistan deklariert – in Anerkennung seiner angeblichen Grundsätze:

    Strenge, Stärke, Weisheit, Gerechtigkeit.

    Timur Lenk, Sohn eines türkisierten, in die Region des heutigen Usbekistan eingewanderten Mongolenstamms, schuf eines der größten und kurzlebigsten Reiche, die je in Mittelasien existierten. Dass der selbsternannte Nachfolger von Dschingis Khan dieses riesige Reich durch absolute Skrupellosigkeit eroberte, nachdem er diverse Rivalen ausgeschaltet hatte, kümmert viele Usbeken nicht. Der Schriftsteller Hans Werner Richter besuchte in den 60er Jahren Samarkand, wo ihn Nimnoschka, seine einheimische Begleiterin, deutlich spüren ließ, wie fest der eiserne Timur in usbekischen Herzen verwurzelt ist. Richter:

    Und wann immer ich bei ihren Erklärungen etwas über seine Grausamkeit äußere - er ließ bekanntlich in Delhi hunderttausend Gefangenen den Kopf abschlagen, nur weil er mit ihnen nichts anzufangen wusste -, wird sie leicht unwillig und holpert mit einer neuen Legende über diese Nebensächlichkeiten der Geschichte hinweg.

    Timur fühlte sich wie ein Gott. Ende des 14. Jahrhunderts kontrollierte er schon ein Gebiet, das sich von Teilen des heutigen Irak über den Iran bis nach Armenien und Georgien erstreckte. Er besiegte die Mongolen, eroberte 1401 Damaskus und Bagdad, schlug ein Jahr später den osmanischen Sultan bei Ankara. In Europa setzte man sich mit ihm auf unterschiedlichste Weise auseinander. Egon Erwin Kisch bemühte, ironisch distanziert, die Psychoanalyse:

    Sollten die Freudianer noch erfahren, dass ihm an der linken Hand zwei Finger fehlten, so wird ihnen vollends klar werden, dass er diese Minderwertigkeit nicht anders kompensieren konnte, als indem er die Bewohner widersetzlicher Ortschaften - auch Greise, Frauen und Kinder - blutig auszupeitschen befahl und Zehntausende gefangene Soldaten als Baumaterial für Festungswerke benutzte.

    Doch es gab auch den anderen Timur: einen Mann, den, so Kisch, die Tatsache, dass er nicht lesen und schreiben konnte,

    nicht hinderte, mehr Kunstgeschmack zu verraten als mancher, der in Potsdam von Hofmeistern unterrichtet wurde.

    Er habe die schönen Künste mit derselben Hingabe gefördert, mit der er Menschen abschlachten ließ, merkte der polnische Schriftsteller und Journalist Ryszard Kapuscinski dazu an:

    Die Schere Timurs besitzt zwei Messer, ein schöpferisches und ein zerstörerisches. Diese Messer prägen das Handeln jedes Menschen. Nur dass sie für gewöhnlich nicht so weit auseinanderklaffen. Bei Timur war die Schere bis zum Anschlag geöffnet.

    1405 brach er mitten im Winter zum Feldzug nach China auf. Doch weit kam er nicht mehr. Auch darüber sprach Hans Werner Richter mit seiner Nimnoschka:

    Woran starb er denn?‘, frage ich. ‚An einer Erkältung‘, antwortet sie, und will schon wieder beginnen, die Legende von Tamerlans Erkältung zu erzählen, aber da reicht es mir mit den Legenden und ich sage: ‚Nein, das ist nicht wahr, er starb im Suff; er fiel bei Taschkent besoffen vom Pferd und brach sich den Hals. Er war nicht nur ein großer Feldherr, sondern auch ein großer Säufer.‘ Da errötete Nimnoschka, und ich spüre, dass ich zu weit gegangen bin.

    Ob er sich wirklich das Genick gebrochen hat, ist ungewiss. Fest steht, dass mit Timur Tamerlan am 18. Februar 1405 im Alter von 69 Jahren der grausamste Despot starb, an dessen Beispiel jemals die Erotik der Macht besungen worden ist.

    Mir ist heut so nach Tamerlan zu Mut
    ein kleines bisschen Tamerlan, ja Tamerlan wär‘ gut.
    Die sind ja nichts für dich und mich,
    die haben alle einen Stich!
    Ach weine nicht sehr, den gibt’s ja
    nicht mehr,
    solchen Tamerlan.