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Gravitationsgesetz
Newton im Neutronen-Check

Newtons Gravitationsgesetz zählt zu den Grundformeln der Physik. Doch überraschenderweise ist bis heute nicht klar, ob es auch im Mikrokosmos gilt, also für Abstände im Bereich von tausendstel Millimetern. Um dies herauszufinden, lassen Physiker am Europäischen Forschungsreaktor in Grenoble Neutronen - das sind winzige Bausteine des Atomkerns - wie Tischtennisbälle auf einer Platte hüpfen.

Von Frank Grotelüschen | 19.01.2015
    Der Physiker und Philosoph Sir Isaac Newton auf einem Gemälde der Royal Society, London
    Zehn mal, vielleicht sogar Hundert mal genauer sollen die neuen Messwerte sein, hoffen Physiker in Grenoble. (dpa/picture alliance)
    Peter Geltenbort hat die Sicherheitsschleuse passiert. Nun betritt der Physiker den leistungsfähigsten Forschungsreaktor der Welt: das ILL, das Institut Laue-Langevin in Grenoble.
    "Wir sind jetzt in der Reaktorhalle des ILL. Das ist der Hochfluss-Reaktor. Der hat den höchsten Neutronen-Fluss auf der Welt für Forschungszwecke."
    Seit seinem Bau in den Siebzigerjahren wurde der Reaktor mehrmals modernisiert – zuletzt als Reaktion auf das Desaster von Fukushima.
    "Wir haben hier Maßnahmen unternommen, um den Reaktor erdbebensicherer zu machen als er vorher war."
    Leistungsfähigster Forschungsreaktor der Welt
    Grenoble liegt in den Alpen, in der Region gibt es mehrere Staudämme. Das Schreckensszenario: Ein massives Beben könnte alle diese Dämme brechen lassen.
    "Was zur Folge hätte, dass 30 Minuten danach in Grenoble etwa sechs Meter hoch das Wasser stehen würde. Deswegen muss man sicher sein, dass die Notstromaggregate höher stehen als das zu erwartende Hochwasser."
    Jetzt steht neben der Reaktorkuppel ein neues Gebäude, oben auf dem Dach die Dieselgeneratoren für die Notstromversorgung. Und neben den Generatoren liegt der neue Reserve-Kontrollraum. Mit ihm soll sich der Meiler im Notfall sicher herunterfahren lassen. Bei einer Überschwemmung allerdings müsste sich das Personal vom Dach der Reaktorkuppel aus in den Kontrollraum abseilen – eine Szene, die an einen James-Bond-Streifen denken lässt.
    Da ist das Experiment von Peter Geltenbort weit weniger spektakulär. Es steckt in einem mehrstöckigen Metallgerüst in der Reaktorhalle und misst nach, welchen Einfluss die Schwerkraft auf winzige Atomkern-Teilchen hat – auf Neutronen. Diese kommen aus dem Reaktorkern, sind jedoch mit einer Geschwindigkeit von 2.000 Metern pro Sekunde viel zu schnell für das Experiment.
    "Die werden verlangsamt. Hier werden sie in einer mechanischen Turbine so langsam gemacht, dass ich fast noch schneller rennen kann als so ein Neutron. Das heißt Geschwindigkeiten in der Größenordnung von 7 bis 8 Metern pro Sekunde."
    Hoppelnde Neutronen
    Durch das Abbremsen werden die Neutronen quasi tiefgekühlt. Dann treffen sie auf das Herzstück des Experiments: Ein Spezialspiegel, 30 Zentimeter lang, er liegt erschütterungsfrei auf einer massiven Granitplatte.
    "Auf diesen Spiegel lassen wir die ultrakalten Neutronen auftreffen. Die bewegen sich dann wie Tischtennisbälle vorwärts."
    Am Ende des Spiegels steht ein Detektor. Auf ihm landen die hoppelnden Neutronen und lösen ein Messsignal aus. Dabei macht sich die Quantenphysik bemerkbar. Bildlich gesprochen zwingt sie die Neutronen dazu, Quantensprünge im Schwerefeld der Erde zu vollführen. Diese Quantensprünge können die Forscher mit ihrer Apparatur gezielt beeinflussen und nachmessen.
    "Und damit können wir nachprüfen, ob das Gesetz von Newton in seiner einfachen Form gültig ist oder ob es Abweichungen gibt."
    Die dunkle Energie
    Diese Abweichungen würden sich bei kurzen Abständen bemerkbar machen, im Bereich von Mikrometern. Genau davon gehen manche Experten aus – Fachleute etwa, die eines der merkwürdigsten Phänomene der Physik enträtseln wollen: die dunkle Energie.
    "Die dunkle Energie ist verantwortlich, dass sich unser Universum immer schneller und schneller ausdehnt."
    Dahinter könnte ein ominöses, allgegenwärtiges Feld stecken, Quintessenz genannt. Sie könnte Newtons Gravitationsformel auf der Mikrometer-Skala ins Handwerk pfuschen. Erste Messwerte haben Geltenbort und seine Kollegen von der TU Wien bereits veröffentlicht. Das Resultat:
    "Bisher stimmt's eigentlich mit dem Newton immer noch überein."
    Ist damit die Idee von der Quintessenz vom Tisch? Nein, meint Peter Geltenbort. Um das zu beantworten, waren die ersten Messungen noch nicht präzise genug. Deshalb haben die Forscher ihre Apparatur deutlich verbessert und auch schon neue Messreihen aufgenommen.
    "Die Messungen sind abgeschlossen, aber die Datenauswertung läuft jetzt."
    Zehn mal, vielleicht sogar Hundert mal genauer sollen die neuen Messwerte sein, hofft Geltenbort. Ende des Jahres wollen die Forscher ihre neuen Ergebnisse präsentieren. Dann dürfte die Fachwelt genauer wissen, was von der Idee der Quintessenz zu halten ist – jenes ominösen Feldes, das den Kosmos auseinandertreibt wie einen überdimensionalen Hefekloß.