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Gravitationswellen
Detektor Virgo entdeckt Neutronensternkollision

Der kilometerlange Lasersensor Virgo in Italien registriert zusammen mit LIGO in den USA erstmals eine Gravitationswelle von der Kollision zweier Neutronensterne in einer fernen Galaxie. So gibt es nun auch Hinweise darauf, wie Gold und Platin gebacken werden.

Frank Grotelüschen im Gespräch mit Arndt Reuning | 16.10.2017
    Virgo Keller
    Sieht für Laien aus wie ein Heizofen, ist aber eigentlich ein hochtechnisches Gerät, um tief ins Universum hineinzulauschen: der Lasersensor Virgo für Gravitationswellen (Frank Grotelüschen)
    Arndt Reuning: Die Forscher, die sich mit Gravitationswellen beschäftigen, sind derzeit in der Erfolgsspur: Anfang August ging mit Virgo der erste europäische Gravitationswellen-Detektor in Betrieb – und registrierte gemeinsam mit den beiden LIGO-Detektoren sein erstes Signal. Und vorletzte Woche wurde bekannt gegeben, dass der diesjährige Physik-Nobelpreis an drei Urväter der Gravitationswellen-Forschung gehen wird. Und nun, vor einer guten halben Stunde, stellten die Forscher auf einer Pressekonferenz in den USA den nächsten Clou vor:
    Erneut haben die Detektoren LIGO in den USA und Virgo in Italien eine Gravitationswelle aufgeschnappt. Frank Grotelüschen verfolgt die gerade laufende Pressekonferenz für uns im Internet. Was ist den Detektoren diesmal ins Netz gegangen?
    Frank Grotelüschen: LIGO und Virgo sind kilometerlange Lasersensoren, die empfindlichsten Messinstrumente der Welt. Am 17. August um 14.41 Uhr mitteleuropäischer Zeit haben sie ein extrem schwaches Zittern der Raumzeit registriert – eine Gravitationswelle. Das Zittern dauerte etwa anderthalb Minuten. Genaue Analyse zeigte: Es war das Signal eines gewaltigen kosmischen Ereignisses: In einer anderen Galaxie 130 Millionen Lichtjahren von uns entfernt waren zwei Neutronensterne zusammengedonnert. Genauer gesagt: Sie hatten sich zunächst immer schneller umkreist, um dann quasi explosionsartig miteinander zu verschmelzen. Dadurch hatten sie Raum und Zeit derart zum Erbeben gebracht, dass man die Spuren davon nun als Gravitationswelle hat aufspüren können.
    Reuning: Was sind Neutronensterne?
    Grotelüschen: Sternleichen. Überbleibsel von Riesensternen, die irgendwann mal explodiert sind und ein merkwürdiges Relikt hinterließen: einen Himmelskörper nur etwa 20 km groß, aber doppelt so schwer wie die Sonne – also ein unfassbar kompaktes Gebilde. Es besteht zum Großteil aus sog. Neutronen, Bausteine von Atomkernen. Ein Teelöffel voll davon würde 1 Mrd. Tonnen wiegen – 150mal die Cheops-Pyramide. Bislang kannten Astronomen nur Indizien für solche Neutronenstern-Kollisionen. Nun der erste Beweis durch die GW-Detektoren.
    Alle Himmelsaugen in dieselbe Richtung
    Reuning: Wurde dieser fulminante Crash nur von den Gravitationswellen-Detektoren bemerkt, oder auch von anderen Teleskopen?
    Grotelüschen: Ja. Zeitgleich konnte ein Weltraumteleskop namens "FERMI" einen sog. Gammastrahlen-Ausbruch registrieren – ein sehr heller, hochenergetischer kurzer Röntgenblitz. Solche Blitze waren schon einige beobachtet worden. Und es war schon lange vermutet worden, dass sie etwas mit Neutronenstern-Kollisionen zu tun haben. Und dass man jetzt gleichzeitig einen Blitz und ein Gravitationswellen-Signal beobachtet hat, dürfte als Beweis gelten. Und damit nicht genug: Auch zahlreiche andere Teleskope haben die Auswirkungen dieser gewaltigen Kollision 130 Millionen Lichtjahren Entfernung aufgespürt.
    Reuning: Was waren das für Teleskope – und vorher wussten sie, wo am Himmel sie suchen sollten?
    Grotelüschen: Das waren rund 70 Teleskope rund um den Globus, die auf allen möglichen Kanälen den Weltraum beobachten – Licht, Radiowellen, Röntgenstrahlung. Den Ort des Geschehens haben bereits die Gravitationswellen-Detektoren verraten: Es gibt seit kurzem drei dieser Lasersensoren (zweimal LIGO in den USA, seit August auch Virgo in Italien). Und mit den drei Anlagen ließ sich – ein bisschen so wie bei der GPS-Navigation – der Laufweg des Signals recht genau rekonstruieren, und damit seine Position am Himmel. Diese Position haben die Gravitationswellenforscher am 17. August dann innerhalb von fünf Stunden den anderen Teleskopen verraten. Die konnten ihre Schüsseln in die entsprechende Richtung schwenken und dann quasi das Nachglühen der Kollision beobachten. Eine beeindruckende weltweite konzertierte Aktion der Astronomen.
    Hinweise, wie und wo Gold und Platin "gebacken" werden
    Reuning: Hat diese gemeinsame Aktion schon erste wissenschaftliche Früchte getragen?
    Grotelüschen: Ja. Überraschendes Beispiel: die Bildung schwerer chemischer Elemente wie Gold und Platin. Was man schon länger weiß: Die meisten Elemente werden bei der Kernfusion im Inneren von Sternen regelrecht gebacken. Das aber klappt nur für Elemente leichter als Eisen. Wie schwerere Elemente entstehen, da gibt es zwar fundierte Theorien, aber nur bedingt experimentelle Beweise. Und durch die aktuellen Messdaten ist klar, dass Stoffe wie Gold und Platin während der ungeheuren Turbulenzen gebildet werden können, die so eine Neutronenstern-Kollision auslöst. Ich denke, dieses Ereignis vom 17. August war nur der Auftakt für diese enge Zusammenarbeit zwischen den Gravitationswellen-Leuten und dem Rest der Astronomen-Gemeinschaft. Da wird noch einiges kommen.