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Grcic-Schau in München
Dinge können besser werden

Konstantin Grcic gehört zu den erfolgreichsten Industriedesignern der Gegenwart. Sein Sitzmöbel "Chair 1" ist weltberühmt. In der Ausstellung "The good, the bad and the ugly" in der Münchner Pinakothek der Moderne zeigt er jetzt, welcher kreative Prozess hinter der Entwicklung von Dingen wirklich steckt.

Von Christian Gampert | 15.11.2015
    Eine Treppe der Pinakothek der Moderne in München
    Pinakothek der Moderne in München (picture alliance / dpa / Krystof Kriz)
    Ein UFO ist in der Pinakothek der Moderne gelandet. Seltsamerweise ist es aus Holz, und seine in gleichmäßigen Abständen um den runden Körper verteilten silbernen Einstiegstüren sind den Heckklappen eines Audi nachempfunden; die Fenster wiederum nehmen die Form eines Kühlergrills auf.
    Das seltsame Ding hat der Designer Konstantin Grcic als Stand für eine Automobilmesse entworfen, eine Kreuzung aus begehbarem Möbel, Flugobjekt und Haus. Dahinter prangt auf einer lang gezogenen Leinwand, die den Saal durchschneidet, eine Mischung aus Stadtlandschaft und Wüste, bezogen auf Sergio Leones Western "The good, the bad and the ugly".
    Zwischen Kunst und Kommerz
    Der merkwürdige Titel soll uns nun nicht signalisieren, dass Konstantin Grcic seine Entwürfe schlecht und hässlich findet. Für ihn seien sie ganz okay, für andere möglicherweise furchtbar – aber er sei nicht die Instanz, das objektiv zu entscheiden, sagt er. Dass Grcic, einer der erfolgreichsten Designer der Gegenwart, mit einer großen Schau geehrt wird, zeigt natürlich, wie verschwistert die Museen mittlerweile mit dem Kommerz sind – Grcic bekommt hier seinen eigenen Showroom.
    Andererseits ist fast jede Kunstausstellung heute nebenbei auch eine Verkaufs- oder Wertvermehrungs-Show. Und, das muss man den Pinakotheken zugutehalten: Sie zeigen tatsächlich etwas über den Entstehungsprozess von Designobjekten.
    Der Entwicklungsprozess eines Stuhls
    Denn es gibt da zwar die Mayday-Leuchte neben dem UFO, und in dem berühmten Schau-Paternoster fahren diverse Grcic-Klassiker hoch und runter. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht aber der Entwurfsprozess für den "Chair 1", einen vor allem unter Freiluftbedingungen verwendbaren, vielseitig einsetzbaren Stuhl, dessen Sitzfläche aus einem formschönen Netz von Verstrebungen besteht.
    "Der Chair 1 ist ein gutes Beispiel, weil viele Menschen heute denken, naja, der hat da ein tolles Bild im Kopf gehabt und daraus einen Stuhl gemacht. Die Modelle hier belegen, dass wir am Anfang überhaupt kein Bild davon hatten, wie der Stuhl am Schluss aussehen würde."
    Mehr als eine formalistische Idee
    Der Designer hat den Stuhl quasi "aufgebaut". Und das heißt: Man entwirft in der Skizze Sitzfläche, Rückenlehne, Untergestell und untersucht das Zusammenspiel, bevor man ins Dreidimensionale geht. Fünf Jahre hat Grcic an dem Stuhl getüftelt; die Ausstellung präsentiert 27 Modelle, die der Restaurator Tim Bechthold aus dem Keller geholt und hergerichtet hat. Anfangs ist der Stuhl nur ein Schemen seiner selbst, ein merkwürdiges Gebilde aus Pappe, Draht und Krepp. Dann verdichtet sich das Konzept immer mehr, es geht jahrelang in sehr kleinen Schritten weiter – bis zum perfekten (oder zufriedenstellenden) Design.
    "Man arbeitet natürlich schon mit der Idee, mit welchem Material, mit welcher Technologie wird das Ding gebaut. All das spielt mit hinein in den Prozess, und daraus entsteht die Form. Deswegen würde ich mich immer vehement dagegen wehren, dass man sagt, das ist jetzt so ne formalistische Idee gewesen von nem Stuhl."
    Der Chair 1 wird in München – im Entwurf - als Barhocker und Gartenstuhl, als Büro- und Caféstuhl, auf Betonsockel und Plastikbeinen, für Innen- und Außenraum, aus Pappe, Aluminium und Stahlblech präsentiert. Im Zentrum steht immer der Entwurf der gitterartigen, formvollendeten Sitzfläche, die nicht wirklich bequem aussieht – Grcic sagt, er habe den Stuhl eigentlich für den öffentlichen Raum entworfen, ganz urban - als kurzzeitig nutzbare Ruhe-Insel.
    Aber natürlich ist er auch im Haus zu gebrauchen, mit Sitzkissen – ein Klassiker wie der federnde Stahlrohr-Freischwinger von Mies van der Rohe und Marcel Breuer.
    Eine Schreinerlehre als Basis
    Schon sehr früh wollte Konstantin Grcic Dinge bauen, konstruieren. Dass Konstruktion auch mit Gestaltung zu tun hat, erfuhr er vor allem über eine Schreinerlehre – und diese handwerkliche Grundlage ist auch in der Ausstellung zu spüren. Grcic zeigt mir im Schau-Paternoster ein Regal, "Zigzag" geheißen, das er sich nach 15 Jahren noch mal vorgenommen hat. Ob die Welt als Ganzes besser werden kann, ist die Frage. Aber: Dinge können besser werden.