Freitag, 29. März 2024

Archiv

Greenpeace-Dokumentation
David gegen Goliath im Schlauchboot

Vor drei Jahren, 2012, hatte Greenpeace nach eigenen Angaben drei Millionen Fördermitglieder. Mehr als eine halbe Million davon allein in Deutschland. Dabei begann die Erfolgsgeschichte der "Regenbogenkrieger", wie die Greenpeacer gerne auch genannt wurden, mit einer kleinen, aber folgenreichen Aktion gegen Walfänger Anfang der 1970er Jahre. Die Doku "How to Change the World" berichtet von genau diesen Anfängen.

Von Hartwig Tegeler | 09.09.2015
    Mit dem Schlauchboot gegen Walfänger
    Mit dem Schlauchboot gegen Walfänger (NFP Filmverleih / Greenpeace)
    Damals, 1971, als diese Truppe aus kanadischen Ökos, Kriegsdienstverweigerern, Kiffern, Esos und Aktivisten - irgendwo zwischen Mystikern und Mechanikern, wie in "How To Change The World" einmal gesagt wird -, als die sich aufmachte zur US-Atomtestzone vor der Küste Alaskas, da klappte das beim ersten Mal noch nicht mit dem Bild. Die Atomtests wurden verschoben und die Küstenwache fing den Greenpeace-Kutter "Phyllis Cormack" ab. Doch zurück in Alaska erfuhren Bob Hunter, Patrick Moore, Paul Watson und die anderen ersten Greenpeace-Aktivisten, dass in vielen Städten Kanadas währenddessen Proteste stattgefunden hatten. Gegen Atomtests.
    Dann, mit Thema zwei, der Rettung der Wale, landeten die Umweltschützer den Volltreffer. Und hatten es im Kasten, dieses Bild, das Greenpeace zur Ikone machte. Mit ihren kleinen und bald legendären Schlauchbooten nämlich drängten sie sich zwischen riesige Walfänger-Schiffe und die Wale, um die Jagd auf die Meeressäuger zu verhindern. Doch dann schoss der Harpunier rund vier Meter über die Aktivisten hinweg und das Blut des getöteten Tieres färbte das Meer rot. Alles festgehalten mit der 16mm-Greenpeace-Kamera.
    "We've got the shot. And that was the moment that largered the modern environment movement."
    "Wir hatten das Bild", sagt Rex Weyler, Aktivist der ersten Stunde, in "How To Change The World". Das Bild und die Story, die die Massen erreicht.
    "You have to make a story that is going to travel well."
    Das Bild ging um die Welt und nicht nur die Umweltbewegung erlebte einen qualitativen Sprung, nein, mit dem Bild der fliegenden Harpune war der "Mythos Greenpeace" geboren: David gegen Goliath im Schlauchboot.
    Jerry Rothwell erzählt diese Geschichte in seinem Film chronologisch bis zum Ende der 70er-Jahre, bis zur Gründung von Greenpeace International. Wobei Rothwell zusätzlich zu den Interviews mit alten Greenpeacern auf das Material zurückgreifen konnte, das sich auf rund 1.500 16mm-Filmdosen, teilweise seit den 70ern ungeöffnet, im Greenpeace-Archiv in Amsterdam befand. "How To Change The World" kann mit diesen alten Aufnahmen dokumentieren, wie der inzwischen verstorbene Bob Hunter, Journalist und Greenpeace-Aktivist der ersten Stunde, damals schon die Macht der elektronischen Bilder verstand und sie nutzte. Was historisch neu war.
    "90 percent of history is being in the right place at the right time."
    Sei zur rechten Zeit am rechten Ort, das macht 90 Prozent von Geschichte aus. Meinte Bob Hunter, dessen Erinnerungen und Reflexionen den roten Faden des Films ausmachen.
    Ein Arbeiter begutachtet das Loch im Rumpf des Greenpeace-Schiffes "Rainbow Warrior", auf dem Rump ist das Wort "Peace" zu lesen.
    Eine vom französischen Geheimdienst gesetzte Bombe riss im Juli 1985 ein großes Loch in den Rumpf des Greenpeace-Schiffes "Rainbow Warrior". (Bild vom 1.8.1985) (AFP Photo / Ross White)
    Die Wahrheit, 24 Bilder in der Sekunde, das war - in Abwandlung des Satzes von Jean-Luc Godard - Grundprinzip der Greenpeace-Aktionen. Und: Liefere eine gute Show ab.
    "Hey, you know, what it´s all all about: It´s putting on a good show."
    Und diese Show muss erzählen von Menschen, die ihr Leben riskieren, um die Wale zu retten. David gegen Goliath eben.
    Doch mit dem Erfolg - auch das erzählt "How To Change The World" - reckten die Egos in dieser vornehmlich aus Männern bestehenden Truppe kräftig ihr Haupt.
    "But in reality we spend most of our time at each other throats. Egos clashing. Turning resistance into psychodrama."
    Der Revolution, meinte Greenpeace-Mitbegründer Bob Hunter damals, sind menschliche Grenzen gesetzt. Das Kampf unserer Egos verwandelt den Widerstand in ein Psychodrama. Eine Erkenntnis, die nicht exklusiv für Greenpeace steht, sondern auch viele andere soziale Bewegungen auszeichnet, deren Logbuch meist mit dem Satz endet: "Die Revolution frisst ihre Kinder". Dem weltweiten Erfolg von Greenpeace tat das interne Hauen und Stechen in den folgenden Jahren indessen keinen Abbruch. Das Bedürfnis des spendenden Publikums nach ihren Umwelthelden war geweckt und wurde weiter befriedigt. Dissonanzen in der Organisation rückten hinter der mitreißend und präzise inszenierten Umwelt-Action in den Hintergrund.
    Der Greenpeace-Aktivist Smital mit Säcken radioaktiven Abfalls in Fukushima
    Der Greenpeace-Aktivist Smital mit Säcken radioaktiven Abfalls in Fukushima (picture alliance/dpa/Lars Nicolaysen)
    Filmemacher Jerry Rothwell mutet uns mit seinem Dokumentarfilm "How To Change The World" nun Erstaunliches zu: Widersprüche in unserer Weltwahrnehmung nämlich auszuhalten; sie stehen zu lassen; zu denken jenseits von Schwarz-Weiß-Kategorien.
    "How To Change The World" stellt trotz seines kritischen Blick auf die Organisation nicht infrage, welch großen Anteil Greenpeace über die Jahre an der Veränderung unseres Umweltbewusstseins hatte. Aber den "Mythos Greenpeace", den demontiert Rothwell. Die Greenpeacer der ersten Generation waren mutig, sie hatten die radikale Vision, die Umweltzerstörung zu stoppen. Aber waren sie deswegen gute Menschen? Diese Frage beantwortet die Doku mit der pragmatischen Einsicht, dass die Umweltaktivisten das eben auch gar nicht sein mussten oder müssen. Auch von ihrem Ego, ihrer Abenteuersucht und persönlichen Widersprüchen getriebene Menschen können Umwälzungen in Gang bringen. Offensichtlich. Das hat der Ökomulti Greenpeace nach vier Jahrzehnten bewiesen. Nur die Story von den edlen Regenbogenkämpfern, die sollte endgültig anders geschrieben werden, was Jerry Rothwell voller Empathie, aber auch angemessen gnadenlos mit seinem Film "How To Change The World" tut.