Samstag, 20. April 2024

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Greenpeace zu Retourenvernichtung
"Überproduktion muss weh tun"

Versandhändler vernichten unter gewissen Umständen neuwertige Waren. Die Bundesregierung hat dagegen einen Gesetzentwurf vorgelegt - der gehe allerdings nicht weit genug, sagte Viola Wohlgemuth von Greenpeace im Dlf. Sie fordert unter anderem ein kompromissloses Vernichtungsverbot.

Viola Wohlgemuth im Gespräch mit Sandra Pfister | 21.09.2020
Hochregallager
Manche retournierte oder überproduzierte Ware wird vernichtet statt verkauft. Das soll jetzt per Gesetz unterbunden werden. (picture alliance / STOCK4B / VisualEyze / Christoph Hemmerich)
Was im Internet bestellt und anschließend zurückgesandt wird, landet oft beim Versandhändler im Müll. Das ist für diesen häufig günstiger, als die Ware zum Neuverkauf aufzubereiten. Die Bundesregierung will Händlern dieses Verhalten per Gesetz so schwer wie möglich machen. Der Bundestag hat Änderungen etwa am Kreislaufwirtschaftsgesetz am Freitag (19.09.20) zugestimmt.
Viola Wohlgemuth von Greenpeace gehen die beschlossenen Änderungen nicht weit genug. Sie begrüßt die Novellierung des Gesetzes, spricht allerdings von einem "allerersten Schritt". Händler würden damit nicht zur Offenlegung verpflichtet. Sie sollten "wirklich Zeugnis ablegen, wie viel Ware übrig bleibt".
Ein Zusteller des Kurierdienstes dpd trägt an beiden Seiten jeweils ein schweres Paket durch die Straße.
Klamotten für die Tonne
Millionen Artikel werden pro Jahr im Versandhandel zurückgeschickt. Teilweise werden die Waren vernichtet – wie viele, ist nicht klar. Umweltschützer und Forscher debattieren darüber, die massenhafte Retourenverschickung zu erschweren.
Wie viele Waren werden eigentlich vernichtet?
Ihrer Ansicht nach braucht es dafür vor allem ein "Transparenzgebot". Wie viele Waren in Deutschland unverkauft vernichtet werden, ist nämlich nicht ganz klar. In einer aktuellen Studie der Universität Bamberg ist von etwa vier Prozent die Rede. Diese beruhe aber nur auf freiwilligen Angaben einiger Händler, Angaben großer Vertreter der Branche fehlten, etwa des Marktführers im Onlinehandel, kritisiert Wohlgemuth.
Sie bezieht sich auf eine andere Recherche und Insiderangaben und geht von bis zu 30 Prozent der Retouren aus, die nicht mehr als A-Ware angeboten würden und deren Verbleib ungeklärt sei. Vermutlich werde ein großer Teil davon vernichtet.
Beispiel Lebensmittelhandel in Frankreich
Im Angesicht der Klimakrise könnten wir es uns nicht mehr leisten, neuwertige Waren zu vernichten - mit dem damit verbundenen Ressourcenverbrauch -, nur weil es in Deutschland legal und für die Versanhändler billiger sei, so Wohlgemuth.
Greenpeace fordert daher neben einem Transparenzgebot in einem zweiten Schritt ein Vernichtungsverbot - beziehungsweise ein Andien-Gebot, wie es das in Frankreich gegen Lebensmittelverschwendung gibt:
"Wenn ich Überschuss produziert habe, muss ich den danach nachweislich an karitative Einrichtungen verpflichtend abgeben."
Pakete in einem Lkw
"Vernichten ist günstiger als spenden"
Es gebe falsche steuerliche Anreize für eine Vernichtung von Retourenware, sagt der Präsident des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel, Gero Furchheim. Vernichten sei günstiger als Spenden.


Das Interview im Wortlaut:
Sandra Pfister: Frau Wohlgemuth, erst mal vorneweg gefragt: Wir wussten lange Zeit gar nicht, wie viele Retouren überhaupt im Müll landen. Es kursierten da schlimmste Zahlen. Jetzt hat kürzlich die Uni Bamberg erforscht: Es sind "nur" etwa vier Prozent der Retouren, denn die Händler haben ja selber kein Interesse daran, Geld zu verbrennen. Ist das jetzt viel Lärm um nichts?
Viola Wohlgemuth: Nein, denn den Zahn muss uns leider direkt ziehen. Diese Studie der Uni Bamberg basiert lediglich auf freiwilligen Angaben von einigen Händler*innen. Das heißt, das ist leider nicht nachprüfbar, und die großen Firmen, vor allem Marktführer Amazon, sind gar nicht dabei. Das heißt, wir müssen einfach von unseren Recherchen und auch von anderen Insidern der Branche davon ausgehen, dass die Zahl leider viel, viel höher liegt.
Das bedeutet, andere Umfragen haben ergeben, dass bis zu 30 Prozent der Waren gar nicht mehr als normale A-Waren wieder direkt in den aktiven Handel gehen, sondern es ist nicht bekannt, was mit denen passiert, und wir gehen leider davon aus, dass auch davon ein Großteil in die Vernichtung geht.
Transparenz und Vernichtungsverbot
Deswegen fordert dieses Gesetz, was wir auch mit gefordert haben und durch unsere Recherchen bei Amazon, wieviel Neuwaren hier vernichtet werden, nicht nur Retouren noch mal in die Präsenz, in die Öffentlichkeit gebracht haben, dass wir im ersten Schritt ein Transparenzgebot brauchen, denn es muss überhaupt erst mal klar sein, verpflichtend klargemacht werden, wie viele Waren am Ende – nicht nur Retouren, sondern auch Überhänge, Überproduktionen – vernichtet werden, weil es ja noch legal ist in Deutschland.
Pfister: Sie haben gesagt, Sie haben dieses Gesetz mit gefordert. Sind Sie jetzt zufrieden, wie es gekommen ist?
Wohlgemuth: Ich freue mich sehr, dass es Eingang im Kreislauf-Wirtschaftsgesetz gefunden hat, in die Novellierung, und es jetzt auch durch den Bundestag ist. Das Problem ist allerdings: Es ist nur der allererste Schritt. Hier fordert die Bundesregierung ja genau wie wir auch ein Transparenzgebot. Es ist aber bisher nur eine sogenannte Verordnungsermächtigung. Das heißt, die Nagelprobe wird jetzt sein, in hoffentlich dieser Legislaturperiode noch, aus dieser Verordnungsermächtigung wirklich eine harte Verordnung zu machen. Das bedeutet, es müsste sichergestellt werden, dass Händler*innen in Deutschland verpflichtend die Übermengen, den Überhang an Waren zum Beispiel auf eine Online-Plattform hochladen müssen und wirklich Zeugnis ablegen müssen, wieviel Ware am Ende übrig bleibt. Denn nur wenn wir diese Zahlen wirklich haben, können wir uns der Dimension dieses Problems auch annehmen und dann wirkliche Reduktionsziele schaffen.
Der zweite Schritt, nämlich ein Vernichtungsverbot, wie ich es fordere, einfach etwas, was wir uns in Zeiten der Klimakrise ja auch nicht mehr leisten können, dass einfach nur, weil es legal ist, wir komplett neuwertige Waren mit allen Ressourcen, die dahinter stecken, vernichten, weil es günstiger ist – manchmal ist es für Amazon einfach günstiger, einen Lagerplatz wieder frei zu haben, als ein Produkt von links nach rechts zu schieben, und da wird auch ein komplett neuwertiges Produkt vernichtet -, das ist ja noch nicht angegangen worden. Bisher gibt es nur ein sogenanntes Obhutsgebot. Das besagt, dass die Händler doch bitte darauf achten sollen, nichts wegzuschmeißen, nichts zu vernichten. Das ist natürlich nicht ansatzweise scharf genug. So was haben wir eigentlich schon seit den 70er-Jahren in dem Kreislauf-Wirtschaftsgesetz. Das heißt: Transparenz erster Schritt. Aber dann muss ganz klar ein Vernichtungsverbot folgen.
"Brauschen Systemwandel"
Pfister: Ein Vernichtungsverbot wäre natürlich ein starker Eingriff in die Freiheit von Unternehmen. Aber Sie sagten ja, so wie es im Moment kommt ist es windelweich, denn es gibt ja auch keine Sanktionen, oder?
Wohlgemuth: Genau. Das ist der Punkt. Das müsste alles in dieser Verordnung erst mal geklärt werden, und die muss dann vor allem auch umgesetzt werden von den Bundesländern vor Ort. Wenn wir uns um die Kommunen kümmern oder die Kommunen angucken, sind die es ja, die dann wirklich vor Ort sich über die Warenströme des Abfalls oder die Ressourcen, die dahinter stecken, kümmern. Hier sehen wir ein großes Problem. Das Ganze muss ja auch noch durch den Bundesrat. Wir haben jetzt schon gesehen, dass es eigentlich zu wenig Ressourcen, zu wenig Manpower gibt vor Ort in den Bundesländern, um das ganze umzusetzen. Das heißt, wir stehen hier wirklich erst am Anfang eines Systemwandels, den wir eigentlich brauchen. Wir müssen uns einfach vorstellen, dass hier komplett neuwertige Waren und Ressourcen vernichtet werden.
Wir von Greenpeace fordern nicht nur ein Vernichtungsverbot, sondern ähnlich, wie wir es in Frankreich haben für Lebensmittel schon seit mehreren Jahren, ein Andiengebot. Wenn ich Überschuss produziert habe, muss ich den danach nachweislich an karikative Einrichtungen verpflichtend abgeben, wo diese Produkte dann weiter verhandelt werden oder verwendet werden. Das kann auch mit einer Tonne Handys passieren, die da herumfliegen, und ich rede jetzt hier wirklich von Massen, die überproduziert werden. Das ist aber auch das Kleidungsstück, das ist aber vielleicht auch das Duschgel. Wenn ich das abgeben muss an eine zertifizierte Stelle, bräuchten wir eigentlich ein System, ähnlich wie das duale System, das in ganz Deutschland vertreten ist, und da muss ich als Händler einfach dafür bezahlen, wenn ich eine Überproduktion habe, und erst dann, wenn es finanziell weh tut für eine Firma, glauben wir, wird es ein Umdenken geben. Erst dann werden sie anfangen, anders zu produzieren. Die Überproduktion muss weh tun, die Übermassen.
Pfister: Und das geht weit über das hinaus, was gerade der Bundestag beschlossen hat, wie mit Retouren umgegangen werden soll, denn da gibt es nur eine Art Obhutspflicht, die schwer umzusetzen und im Moment auch noch nicht mit Sanktionen bewährt ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.