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Grenzen der Physik

Physik. – Theoretische Physiker suchen nach der Weltformel, der mathematischen Gleichung, die alles im Universum, vom kleinsten bis zum größten erfasst. Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Heidelberg versuchten die Theoretiker ihre jüngsten Erkenntnisse zu vermitteln. Bei anwesenden Philosophen ernteten sie damit vor allem Stirnrunzeln.

Von Jan Lublinski | 08.03.2007
    Sie galt viele Jahre lang als die zukunftsweisendste Theorie der Physik: Die Stringtheorie. Ihr zufolge sind alle Elementarteilchen wie Elektronen, Quarks und so weiter gar keine unendlich kleinen, punktförmigen Teilchen, sondern es handelt sich um winzige Geigen-Saiten. Die Vielfalt der Teilchen sollte der Vielzahl der möglichen Saiten-Schwingungen entsprechen. Mit dieser mathematisch sehr anspruchsvollen Theorie wollten die Physiker alle Kräfte der Natur gemeinsam beschreiben – die elektromagnetische Kraft, die Kernkräfte und auch die Gravitationskraft. Ziel war eine einheitliche Weltbeschreibung, die sowohl die Beobachtungen der Kosmologie als auch der Teilchenphysik umfasst. Im Idealfall eine einzige Formel, die das Universum im großen wie im gleichen beschreibt. Eine Weltformel. Doch bislang ist der Klang der Geigensaiten ein mathematisches Gedankenspiel geblieben. Die Stringtheorie lässt sich mit keinem Experiment bestätigen oder widerlegen.

    "Die Grundidee bei der Stringtheorie war, dass man eine Theorie hat, die alternativenfrei ist und dadurch das Übel ausgleicht, dass sie keine wirkliche empirische Anbindung hat. Dann ist es aber leider passiert, dass diese alternativenfreie Theorie in eine unglaublich große Anzahl mathematischer Ansätze explodiert ist."

    Brigitte Falkenburg ist Professorin für Philosophie an der Universität Dortmund und Sprecherin des Arbeitskreises Philosophie der Physik. Statt also auf mathematischem Wege zu einer einheitlichen Naturbeschreibung zu finden, haben die Anhänger der Stringtheorie das Gegenteil erreicht: Sie bietet unüberschaubar viele Beschreibungen der Natur. Darüber hinaus haben diese Theorien noch zwei schwerwiegende Nachteile: Sie enthalten keine Formel, welche die Dynamik der Objekte im Universum beschreibt, also etwa wie Massen sich im Raum bewegen oder Ladungen von Feldern angezogen werden. Dazu kommt, dass die Stringtheorien die gekrümmten Räume aus der Allgemeinen Relativitätstheorie nicht konsequent berücksichtigen. Neue Impulse erhoffen sich die Physiker darum von einem ganz anderen Ansatz: Die so genannte Schleifen-Quantengravitation oder Loop-Quantum-Gravity. Falkenburg:

    "Die Loop-Quantum-Gravity macht nun wirklich Ernst mit der Quantisierung der Gravitation, das ist der Vorteil dieser Theorie."

    Das heißt: Dieser Theorie-Ansatz kombiniert die Formeln der Relativitätstheorie mit denen der Quantentheorie. Er fügt also den Regeln für die Beschreibung des Weltalls noch die Regeln zur Beschreibung der kleinsten Teilchen hinzu. Falkenburg:

    "Der Nachteil ist, dass die Loop-Quantum-Gravity nicht wirklich das Problem der Vereinheitlichung der Kräfte lösen kann."

    ...was wiederum die String-Theorien leisten würden. Aber immerhin: Die Loop-Quantum-Gravity steht für den Versuch nicht nur die Teilchen als "quantisiert", also aus kleinen Paketen bestehend zu beschreiben, sondern auch Raum und Zeit so zu betrachten. Das heißt: Auf unvorstellbar kleinen Skalen wären dann auch Raum und Zeit quasi gekörnt. Man könnte also sich nur in festen Schritten bewegen und die Zeit würde nicht mehr kontinuierlich fließen sondern von einer Stufe zur nächsten springen. Was aber bedeutet das? Wie muss man solche Beschreibungen philosophisch interpretieren? Auf diese Fragen erhielt Brigitte Falkenburg auf der Physikertagung in Heidelberg keine ausreichende Antwort. Bezeichnend war für sie einen Vortrag eines Quantengravitations-Experten, der sich bemühte, seinen Ansatz anschaulich darzustellen. Falkenburg:

    "Der hat dann so eine wunderschöne Animation gezeigt, von durch die Gegend wirbelnden Dreiecken, die sich zu bunten Strömen vereinigen, die Farbe hat dann irgendwas mit dynamischen Eigenschaften der Theorie auch zu tun. Ein bisschen sieht das aus die die Elementardreiecke aus Platons Timaios. Aber die Interpretation! Das sollen wohl raumzeitliche Dreiecke sein, aber wie das dann physikalisch zu interpretieren ist, und wie das auf mögliche Erfahrung, experimentelle Erfahrung der Erfahrungswissenschaft Physik grundsätzlich bezogen werden kann, das ist mir wirklich unklar. Und man bekommt, wenn man danach fragt, auch nicht wirklich Antworten."

    Da stellt sich dann doch die Frage, ob die theoretischen Physiker hier nicht letztlich eine mathematische Metaphysik betreiben. Ein Glasperlenspiel, das eine gewisse Beliebigkeit hat, weil es eben nicht mit Experimenten prüfbar ist. Vielleicht wird bei all diesen abstrakten Bemühungen nur eines deutlich: die begrenzte Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Auch wenn Wissenschaftler immer wieder universelle Strukturen aufdecken und Einheitliches in der Natur finden - eine Weltformel, mit der sich alle Objekte und Kräfte im Weltall beschreiben lassen, werden sie wohl nicht finden. Falkenburg:

    "Die Idee der Einheit der Natur ist nicht mehr und nicht weniger als ein regulatives Prinzip der Forschung. Finden werden wir sie nie. Wir sind nicht der liebe Gott, und deswegen werden auch nicht die allumfassende Theorie und Weltformel aufschreiben können. Aber nach der Einheit suchen wird weiter die Wissenschaft erweitern und wird ein spannendes Unternehmen bleiben."