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Grenzen überspringen

Die Erwartungen an Franziskus sind hoch: Gerade der Dialog mit den reformatorischen Kirchen braucht frische Akzente. Ökumenisch engagierte Christen in Deutschland hoffen, dass das katholische Kirchenoberhaupt den Protestanten unbefangener gegenüber tritt als Benedikt XVI.

Von Monika Konigorski | 25.03.2013
    "Ich bin sehr ungeduldig, weil ich den Eindruck habe, die ökumenischen Differenzen werden nicht mehr bearbeitet, sondern nur noch verwaltet. Und nicht nur von Seiten der katholischen Kirche. Wenn man von einer Ökumene der Profile spricht, meint man ja doch auch, das Unterscheidende betonen zu müssen. Dafür gibt es gewiss Gründe. Aber ich finde, dass es an der Zeit ist, Fortschritte zu machen."

    Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages und Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, gehört zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs "Ökumene Jetzt". Darin forderten namhafte Christen aus Politik und Gesellschaft im vergangenen Herbst die katholische und evangelische Kirche zu konkreten Schritten in Richtung Kircheneinheit auf.

    Ihr Vorstoß fand allerdings wenig freudige Zustimmung bei den Kirchenleitungen. Im Gegenteil. Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Ludwig Müller erklärte, die Katholiken könnten nicht von den Protestanten verlangen, den katholischen Glauben zu übernehmen. Umgekehrt gelte das Gleiche. Doch das sei auch nie das Ziel gewesen, verteidigt SPD-Politiker Thierse den Aufruf.

    "Es gibt doch viele Verständigungen in den vergangenen Jahrzehnten, die erreicht worden sind. Und wenn das Jubiläum des Konzils – 50 Jahre – und das Jubiläum der Reformation irgendeinen Sinn haben sollen, dann sollen diese Jubiläen eine neue ökumenische Leidenschaft entfalten, und man sich nicht nur mehr apologetisch auf das Eigene, das Besondere beziehen, das Unterscheidende pflegen."

    Das ökumenische Erbe, das der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. hinterlässt, sei schwierig, heißt es oft. Die Einschätzung gründet nicht nur darin, dass der damalige Papst bei seinem Deutschlandbesuch im Jahr 2011 – nach dem symbolhaften Besuch des Erfurter Augustinerklosters, in dem Martin Luther lebte – die Erwartungen der Protestanten enttäuschte. Benedikt verkündete wenig sensibel, er komme nicht mit Gastgeschenken.
    Der evangelische Theologe Christoph Markschies, Kirchenhistoriker an der Humboldt-Universität in Berlin, analysiert, Benedikt XVI. habe die Reformation und die evangelische Kirche insgesamt als Teil des neuzeitlichen Krisenphänomens begriffen. Markschies nimmt dies geradezu sportlich.

    "Das ist eine sehr pointierte Meinung eines Theologen. Das ist nie die Meinung der römisch-katholischen Kirche gewesen. Und pointierte Meinungen verdienen es, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Neuzeit ist ein ambivalentes Phänomen und mit pointierten Meinungen kann man sich auch pointiert auseinandersetzen. Also, ich habe nie zu denen gehört, die schmollend da saßen und geweint haben, dass der Papst Martin Luther nicht für den größten Theologen des Abendlandes gehalten hat."

    Das immer noch entscheidende ökumenische Hindernis aber bringt für Markschies die Erklärung "Dominus Jesus" zum Ausdruck, das Joseph Ratzinger noch als Präfekt der römischen Glaubenskongregation verfasst hat:

    "Die römisch-katholische Amtstheologie ist der Auffassung, dass die evangelische Kirche keine Kirche im Vollsinne des Wortes ist, weil sie kein kirchliches Amt im Vollsinne des Wortes hat. Und wenn sie kein kirchliches Amt hat, kann sie mit ihr keine kirchliche Gemeinschaft haben. Und kirchliche Gemeinschaft ist Voraussetzung für den Besuch in der Eucharistie, im Abendmahl."

    Gleichzeitig erinnert Markschies daran, dass in der Pastoral beim Kommunionempfang die dogmatischen Grenzen des Öfteren übersprungen wurden.

    "Es gibt die berühmte Geschichte von Johannes Paul II., der zu einem polnischen evangelischen Mathematiker, der ihn fragt, ja darf ich denn die Eucharistie empfangen, sagt: Wer viel fragt, bekommt viel Antwort. Also es gibt immer diesen zwiespältigen Eindruck, aber das Hauptthema ist die fehlende Anerkennung des evangelischen Amtes. Oder wie ich lieber sagen würde, weil ich keine katholische Anerkennung meines Amtes brauche, die fehlende Einsicht darin, dass auch in der evangelischen Kirche eine Frau, die am Altar steht, das gleiche tut wie ein katholischer Priester, der an seinem Altar steht."

    Die theologischen Differenzen hätten entscheidende Auswirkungen auf das Mit- und Nebeneinander der verschiedenen Kirchen vor Ort. Die katholischen Bischöfe wären zu Kompromissen durchaus immer wieder bereit. Aber:

    "Es gibt vor Ort natürlich auch die traurigen Erfahrungen, insbesondere die konfessionsverbindenden Ehen, die Tatsache, dass beide Kirchen ihnen zumuten, die Schwierigkeiten jeden Sonntag am eigenen Leibe zu erfahren. Und ihre Frage: Darf ich denn jetzt zur Eucharistie gehen oder nicht."

    Ökumenisch engagierte Christen in Deutschland hatten auf Benedikt XVI. große Hoffnungen gesetzt. Denn er kannte sowohl die Situation in den Ortskirchen seines Heimatlandes, in denen Protestantismus und Katholizismus oft gleich stark nebeneinander existieren. Als Theologe kannte er aber auch wie nur wenige die Inhalte der protestantischen Theologie. Doch Benedikt XVI. lag die Ökumene mit den orthodoxen Kirchen mehr am Herzen. Wolfgang Thierse sieht denn auch in einem Papst, der den evangelischen Kirchen unbefangener gegenübertritt, eine neue Chance für die Ökumene.

    "Warum sollte ein Papst nicht genau das tun: die katholische Kirche kollegialer ausrichten, weniger zentralistisch, den Bischöfen auch mehr Autorität zulassen für ihr seelsorgerliches Amt, was in einem europäischen Land pastoral vernünftig ist, das ist es in Afrika vermutlich nicht und umgekehrt. Wichtig ist nur, dass man zurückkehrt zum Aufbruch des Konzils und viele Grundaussagen dieses Konzils über die Kirche, über die anderen Religionen, über die Frauen ernst nimmt und neu lebendig macht."

    Christoph Markschies setzt auf den Druck der Basis, der – zumindest in Deutschland – mehr und mehr zunehme. Und auf eine größere Entscheidungsbefugnis der nationalen Bischofskonferenzen.

    "Also meine Hoffnung ist, dass man einsieht: Auch eine Kirche, die nicht das katholische Bischofsamt hat, sondern ein synodales, in dem die Bischöfin, der Bischof, ein Pastor, eine Pastorin mit besonderen Aufgaben ist, meine Hoffnung ist, dass das mal als Teil kirchlicher Vielfalt anerkannt wird. Es gibt viele Katholikinnen, die das genauso sehen. Aber ich befürchte, es wäre schon ganz viel – man soll ja kleinere Brötchen backen – wenn deutsche Bistümer sagen würden, ein konfessionsverbindendes Ehepaar, das einen evangelischen Gottesdienst am Sonntagvormittag besucht, hat einen gültigen Gottesdienst besucht."