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Grenzkontrollen
Der Wirtschaft droht ein immenser Schaden

Die möglichen Folgen von Grenzschließungen in Europa wegen der Flüchtlingskrise sind noch gar nicht abzusehen. Experten warnen vor Milliardenkosten für die deutsche Wirtschaft. Geschlossene Grenzen hätten eine völlig andere innereuropäische und weltweite Arbeitsteilung zur Folge. Abstriche am bisherigen Wohlstand wären wohl zwangsläufig.

Von Theo Geers | 21.01.2016
    Bundespolizisten bei Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze
    Bundespolizisten bei Grenzkontrollen an der deutsch-österreichischen Grenze (dpa / picture-alliance / Revierfoto)
    Präzise Zahlen zu den Folgekosten von neuen alten Grenzkontrollen in der EU hat niemand. Noch rollen die LKW, aber die Risiken steigen ...
    "We are still able to keep our logistics running but we see increasing risks", orakelt Daimler-Chef Dieter Zetsche. Daimler hat so wie viele andere Konzerne in den letzten 30 Jahren die Produktion komplett auf just-in-time-Lieferungen umgestellt. Teure Lager gibt es nicht mehr, die Zulieferteile werden direkt ans Band geliefert. Entsprechend groß sind die Befürchtungen.
    "Na ja - wenn Grenzen zu sind, fangen die Schlagen wieder an", sagt Martin Wansleben im Deutschlandfunk und dann versucht der Hauptgeschäftsführer des DIHK, die Unsicherheit wenigstens in etwa zu beziffern. "Deutschland hat ein Handelsvolumen von ungefähr 2,6 Billionen. Und wenn das nur um 0,4 Prozent teurer wird alles, dann sind wir schon bei zehn Milliarden."
    Euro versteht sich – eine abstrakte Zahl. Sie wird vorstellbarer, wenn LKW-Wartezeit in Euro umgerechnet wird. "Ich sag mal, 'ne Stunde Wartezeit an der Grenze – das sind Kosten, die so um die 50 Euro liegen." So kalkuliert Adolf Zobel. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung verweist auf 740.000 Lkw, die pro Jahr allein die deutsch-österreichische Grenze passieren. Ein, zwei Stunden Wartezeit mehr – bei den deutschen Spediteuren, die ohnehin mit geringen Margen arbeiten, wären 18,5 Millionen Euro einfach weg, denn zahlen würde dafür niemand. Im Gegenteil: Wer in Zeiten von just-in-time die Zulieferteile nicht innerhalb eines bestimmten Zeitfensters an der Laderampe von Daimler in Sindelfingen ablädt, zahlt noch mal – und zwar Konventionalstrafen.
    "Was hat EU dann für einen Sinn?"
    "Sie sind ganz getaktete Verkehre heute und da ist die Frage, kommt er rechtzeitig oder nicht, dass es einen Produktionsstillstand gibt – das sind noch Dinge, die hinten dran hängen, die eigentlich unkalkulierbar sind." ... und zwar für den Spediteur, der das Pünktlichkeitsrisiko trägt. Eine Frachttour von Frankfurt nach Budapest kostet um die 1.200 Euro. Wer in Frankfurt dann unpünktlich ankommt, zahlt schon mal um die 400 bis 450 Euro Konventionalstrafe. Unter Strich wird die Tour zum Verlustgeschäft.
    Doch auch volkswirtschaftlich droht immenser Schaden. 57 Millionen grenzüberschreitende Lkw-Transporte gibt es pro Jahr in der EU insgesamt. Dass es so viele sind, hängt mit dem 1985 eingeführten Binnenmarkt und den seit 1995 schrittweise abgeschafften Grenzkontrollen zusammen. Würden Sie wieder eingeführt, stellt nicht nur Adolf Zobel kritische Fragen: "Was hat EU für Sinn, wenn die Dinge, die sich positiv auf Wirtschaft ausgewirkt haben, wenn die wieder weggenommen werden."
    70 Prozent des deutschen Außenhandels geht in die EU, 80 Prozent dieser Im- und Exporte laufen über die Straße. Neue Grenzkontrollen werden deshalb vor allem eins: Teuer – und zwar für jeden. Da ist sich Martin Wansleben ganz sicher. "Wir reden über Wohlstand. Wir reden über Arbeitsplätze, wir reden über Effizienz, wir reden über Arbeitsteilung, wir reden darüber, dass es bislang möglich war, in Deutschland Autos zu produzieren, weil wir Halbfabrikate aus aller Welt bekommen. Dann reden wir darüber, dass das alles so nicht mehr möglich wird. Geschlossene Grenzen bedeuten eine völlig andere innereuropäische und weltweite Arbeitsteilung. Da werden wir manche Abstriche machen müssen von dem Wohlstand, an den wir uns auch gewöhnt haben.