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Grenzwissenschaft der anderen Art

Die jüngsten Messergebnisse der NASA-Sonde IBEX zeigen NASA-Astronomen zufolge, dass die Erde in der Milchstraße eine andere Position hat als bislang angenommen. Danach befindet sich unser Heimatplanet nicht zwischen zwei Staub-/Gaswolken, sondern am Rand innerhalb einer solchen Wolke.

Von Guido Meyer | 01.02.2012
    Immer wenn die US-Raumfahrtbehörde NASA den Begriff "alien" - also außerirdisch - unterbringen kann, gerät sie ganz aus dem Häuschen. Auch David McComas vom Southwest Research Institute im texanischen San Antonio ist begeistert:

    "Wir sind unglaublich aufgeregt, heute die ersten Beobachtungen interstellarer Materie vorstellen zu können, außerirdischer Materie, die nicht aus unserem Sonnensystem kommt, sondern aus anderen Gegenden unserer Galaxie."

    Interstellare Materie, das ist der Stoff, aus dem der Kosmos ist, genauer: Es sind Gas- und Staubteilchen, die sich in den Bereichen, wo keine Sterne und keine Sonnensysteme sind, zu Wolken zusammenballen. Diese Teilchen untersucht derzeit eine Sonde der NASA mit dem Namen IBEX; das steht für Interstellar Boundary Explorer, also ein Erkunder interstellarer Grenzbereiche, wenn man so will. Im Oktober 2008 war die kleine Sonde von einer unter einem Flugzeug hängenden Pegasus-Rakete ins All befördert worden.

    Drei Jahre misst IBEX mittlerweile, und die ersten Ergebnisse überraschen die Astronomen - aus mehreren Gründen. Zum einen steht nunmehr fest, dass die Position der Erde in der Milchstraße eine andere ist als bislang angenommen. Die Erde und der Rest unsers Planetensystems befinden sich nicht zwischen zwei Gas- und Staubwolken, sondern sind selbst Teil davon, wie Priscilla Frisch erklärt von der Abteilung für Astronomie und Astrophysik der Universität von Chicago:

    "Die Gaspartikel der interstellaren Materie strömen nämlich aus einer Richtung auf die Messinstrumente unserer Sonde ein. Richten wir unseren Explorer auf das nächste Sternsystem Alpha Centauri, ist keine Gaswolke mehr zwischen uns und diesem Stern. Also müssen wir selbst am Rande der lokalen Wolke sein."

    Aus dieser Wolke strömen negativ geladene ionisierte Partikel in Richtung unseres Sonnensystems. Der Sonnenwind wirkt jedoch wie eine Art Schutzschild rings um unser Sonnensystem. Diesen Einflussbereich nennen die Astronomen Heliosphäre. An ihr prallen die Partikel ab. Für neutrale, für nicht geladene Teilchen also, ist diese virtuelle Wand jedoch durchlässig. Sie gelangen bis ins innere Sonnensystem, wo sie von der NASA-Sonde registriert werden. Und hier gab es für die Astronomen eine zweite Überraschung, wie David McComas erläutert, der Chefwissenschaftler der IBEX-Mission.

    "Wir haben diese interstellaren Teilchen eingefangen und ihre Geschwindigkeit gemessen. Sie bewegen sich zwar mit mehr als 80.000 Kilometern pro Stunde durch das Weltall. Das ist aber wesentlich langsamer, als von uns vermutet. Dieses geringere Tempo muss dazu führen, dass der Druck, mit dem sie von außen, aus dem interstellaren Raum, auf die Heliosphäre treffen, etwa ein Viertel geringer ist, als wir bislang angenommen hatten."

    Als äußere Schicht der Heliosphäre vermuten Astronomen den Bow Shock, eine Art Stoßwelle, die der Sonnenwind vor sich herschiebt, so wie ein Schiff eine Bugwelle auf dem Ozean. Doch diese Grenze, ungefähr 230-mal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde, gibt es nach den neusten Messungen womöglich gar nicht.

    "Die Form der Heliosphäre könnte eine andere sein. Weil sich diese langsamer bewegen, gibt es dort draußen vielleicht gar keinen Bow Shock, in dem sie mit hohen Geschwindigkeiten auf den Sonnenwind treffen."

    Also eher sanfter Übergang als Stoßwelle. Heliosphären haben Astronomen mittlerweile auch um zehn andere Sterne in der kosmischen Nachbarschaft entdeckt. Dort heißen sie dann Astrosphären, wie Seth Redfield von der Astronomieabteilung der Wesleyan University in Connecticut ausführt:

    "Wir haben mittlerweile in mindestens zwei Fällen Sterne nachgewiesen, die sowohl über eine Astrosphäre als auch über Planeten verfügen. Solche Systeme entsprechen damit unserem Sonnensystem, in dem wir vor kosmischen Strahlen von außerhalb geschützt sind."

    Und die Zahl solcher Sternsysteme - und damit die Wahrscheinlichkeit für Leben dort - dürfte sich in den kommenden Jahren noch vervielfachen.