Dienstag, 19. März 2024

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Gretel Bergmann
Sie wollte die Nazis schlagen

Die frühere Hochspringerin Gretel Bergmann, ist im Alter von 103 Jahren in New York gestorben. Bergmann war 1936 die beste deutsche Hochspringerin, durfte aber, weil sie Jüdin war, nicht an den Olympischen Spielen 1936 teilnehmen.

Andrea Schültke im Gespräch mit Silvia Engels | 26.07.2017
    Gretel Bergmann sitzt auf einem Sessel und gestikuliert.
    Gretel Bergmann Lambert, ehemalige Hochspringerin. (imago sportfotodienst)
    Silvia Engels: Wie erst heute bekannt wurde, ist gestern die frühere Hochspringerin Gretel Bergmann im Alter von 103 Jahren in New York gestorben. Sie war 1936 die beste deutsche Hochspringerin, durfte aber, weil sie Jüdin war, nicht an den Olympischen Spielen 1936 teilnehmen. Andrea Schültke, was war so beeindruckend an Gretel Bergmann?
    Andrea Schültke: Sie war ein sportliches Multitalent. Hat sich selber schwimmen beigebracht und war in diversen Leichathletik-Disziplinen erfolgreich. Sie war wohl auch eine Kämpferin und hat sich nicht selbst bemitleidet. Das zeigt auch ihre Schilderung des Moments, als der Briefträger kam und ihr den Brief überbracht hat, in dem stand, dass sie nicht an den Spielen in Berlin teilnehmen dürfe. Sie habe geflucht und Sachen gegen die Wand geworfen. Aber in ihren Schilderungen merkt man natürlich auch, dass es tiefe Narben hinterlassen hat: "Es war eine furchtbare Enttäuschung, ein schrecklicher Moment in meinem Leben. Ich habe es nie vergessen. Und der Brief war mit Heil Hitler unterschrieben."
    So hat Gretel Bergmann es 2011 im Deutschlandfunk-Sportgespräch beschrieben, das die Kollegin Ulrike Unfug mit ihr geführt hat. Die kompletten knapp 30 Minuten stehen unter zum Nachhören bereit.
    Silvia Engels: Gehen wir noch mal zurück zu den Ereignissen vor den Olympischen Spielen 1936. Da hat Gretel Bergmann in England gelebt und trainiert. Dann wurde sie unter Druck gesetzt, nach Deutschland zurückzukommen. Sie sollte unbedingt an den Olympischen Spielen teilnehmen. Letztendlich ist es aber doch ganz anders gekommen, warum?
    Andrea Schültke: Weil Gretel Bergmann als Lockvogel benutzt wurde, wie sie selbst festgestellt hat: "They got me because the others didn’t want to come, I just felt I had to beat the Nazis.”
    "Sie haben mich geholt, weil die anderen Länder mit dem Boykott der Spiele gedroht haben, wenn keine jüdischen Sportler teilnehmen dürften. Und ich wollte die Nazis schlagen", hat Gretel Bergmann 2011 ihre Erinnerungen geschildert. Kurz vorher hatte sie 1 Meter 60 übersprungen und den deutschen Rekord eingestellt. Sie war sich sicher: Sie würde die Goldmedaille gewinnen und damit den Nazis zeigen, was Juden schaffen können. Und dann kam der Brief, in dem ihr mitgeteilt wurde, ihre Leistungen würden für eine Olympiateilnahme nicht ausreichen. Da war klar – sie war als Lockvogel missbraucht worden.
    Silvia Engels: Den Brief hat sie bekommen, als die US-Olympiamannschaft gerade die Schiffsreise nach Deutschland angetreten hatte. Ihre Wut und Enttäuschung haben wir gerade gehört, aber wie hat Gretel Bergmann in der Folge reagiert?
    Andrea Schültke: Sie hat Deutschland 1937 verlassen und ist in die USA gegangen. 10 D-Mark war ihr Startkapital. Sie hat dort weiter erfolgreich Sport getrieben, ist US-Meisterin geworden, aber mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges hat sie aufgehört. Da ging es ihr darum, ihre Eltern aus Deutschland herauszuholen. Das ist ihr gelungen, aber die Familie ihres Mannes Bruno ist im KZ umgebracht worden.
    Silvia Engels: Lange Jahre hat Gretel Bergmann sich geweigert, Deutschland zu besuchen oder deutsch zu sprechen. Wie hat sie das begründet?
    Andrea Schültke: Sie habe alles Deutsche leidenschaftlich gehasst – auch die Menschen die nett waren. Erst viel später habe sie festgestellt, dass ihre Ansicht nicht richtig ist, denn die jungen Deutschen könnten ja nichts für die Geschichte: "I have decided that my point of view as a kind of stupid and I changed my mind about that”.
    Das hat sie wohl bei ihren Besuchen 1999 und 2003 festgestellt. Sie hat Preise bekommen und Schulen wurde nach ihr benannt und das hat ihr wohl gezeigt – dadurch wird die Geschichte in Erinnerung bleiben.
    Erst vor acht Jahren hat der Deutsche Leichtathletik-Verband ihren Hochsprungrekord von 1936 anerkannt – mit 73 Jahren Verspätung. Und vor 5 Jahren ist Gretel Bergmann in die virtuelle Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen worden.