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Griechenland braucht "keine Belehrungen durch Mikrofone"

"Euroausstiegsszenarien, das ist der falsche Ansatz", sagt Jens Bastian, Wirtschaftswissenschaftler an der hellenischen Stiftung für Außen- und Europapolitik in Athen. Dieses Thema werde von außen herangetragen, für die Griechen komme das nicht infrage

Jens Bastian im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.05.2011
    Tobias Armbrüster: Griechenland kommt nicht aus den Schlagzeilen. Am Wochenende hatte es Spekulationen gegeben über einen möglichen Austritt der Griechen aus dem Euro. Die Gerüchte wurden zwar umgehend dementiert, aber dass Griechenland nach wie vor in einer schweren Finanz- und Haushaltskrise steckt, das ist allgemein anerkannt. Gestern nun eine weitere Meldung, die griechischen Finanzpolitikern unruhige Nächte bescheren dürfte: Die Ratingagentur Standard and Poor's drückt griechische Staatsanleihen um zwei weitere Stufen herab, ganz nah dem Ramschstatus. Wie kommt das alles in Griechenland an und was heißt das für die griechische Finanzpolitik? Darüber kann ich jetzt mit Jens Bastian sprechen, er ist Wirtschaftswissenschaftler am Athener Forschungsinstitut ELIAMEP, das ist die hellenische Stiftung für Außen- und Europapolitik. Schönen guten Morgen, Herr Bastian!

    Jens Bastian: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Bastian, wie reagieren die Griechen auf diese Nachrichten und Spekulationen der vergangenen Tage?

    Bastian: Natürlich verärgert, frustriert, auch in hohem Maße verwirrt. Und wie Sie sagten, diese Spekulationen wurden dann umgehend auch dementiert. Und gestern war zumindest erkennbar, dass die Griechen nicht mit Panik reagiert haben, dass sie nicht zur Bank gegangen sind, um ihr Konto aufzulösen und ihre Euros abzuziehen.

    Armbrüster: Kann Griechenland es denn überhaupt noch aus eigener Kraft schaffen, diesen riesigen Schuldenberg hinter sich zu lassen?

    Bastian: Nein, das nicht. Das konnte es weder vergangenes Jahr – deswegen braucht es internationale finanzielle Unterstützung –, und es wird es auch dieses Jahr nicht aus eigener Kraft schaffen. Das ist eine Herkulesaufgabe, vornehmlich für Griechenland, aber auch für seine europäischen Partner.

    Armbrüster: Woran liegt es denn, dass das Land trotz dieser Milliardenhilfen – mehr als 100 Milliarden Euro im vergangenen Jahr –, trotz dieser Milliardenhilfen aus Brüssel nicht wieder auf die Beine kommt?

    Bastian: Weil sich die Wirtschaftskrise vertieft, jetzt im dritten Jahr. Die Steuereinnahmen bleiben hinter den Plänen zurück. Griechenland ist ein Land, das erst noch lernen muss, dass Steuern von jedem zu zahlen sind. Und Griechenland braucht Investitionen. Das kann es jetzt gerade nicht von staatlicher Seite, da müssen auch europäische Partner Investitionsprogramme identifizieren, damit Griechenland die Wirtschaftssektoren, die jetzt noch überlebensfähig sind, dass die nicht doch weiter betroffen werden und dann die griechische Wirtschaft vor einer Situation steht, die sie im Grunde genommen in eine Katastrophe führt.

    Armbrüster: Heißt das, Herr Bastian, wir waren alle im letzten Jahr etwas zu naiv, als wir geglaubt haben, 110 Milliarden Euro schicken wir nach Athen und damit kommt das Land wieder auf die Beine?

    Bastian: Wenn es nur um Geld ginge, dann in der Tat wäre es naiv gewesen. Griechenland braucht eine Restrukturierung. Nicht nur seiner Schulden – das wird irgendwann kommen –, sondern insgesamt seiner gesamten Gesellschaft und auch Wirtschaft. Und da müssen wir auch einen langen Atem haben, Griechenland wird nicht von einem Tag auf den anderen oder einem Jahr auf den Kopf gestellt.

    Armbrüster: Ich erinnere mich, dass wir über diesen Strukturwandel auch schon im vergangenen Jahr viel gesprochen haben. Was hat sich denn da getan in den letzten Monaten?

    Bastian: Einiges, und trotzdem ist es zu langsam, trotzdem ist es zu wenig und trotzdem haben viele in Griechenland das Gefühl, sie zahlen für diesen Strukturwandel und andere nicht. Es bleibt immer noch in der Öffentlichkeit auch das Gefühl, der Eindruck hängen, dass es keine soziale Balance bei diesem Strukturwandel gibt. Hier muss auch anders kommuniziert werden und hier muss irgendwann bei den Griechen das Gefühl vorhanden sein, dass all die Opfer sich auch lohnen, dass es Ergebnisse gibt, die man entsprechend nach außen kommunizieren kann. In Griechenland und auch in Europa.

    Armbrüster: Wo genau fehlt denn die soziale Balance im Land?

    Bastian: Viele haben den Eindruck, wenn sie ein öffentlicher Beschäftigter sind, dass sie im Grunde genommen die hohe Hürde der ganzen Anpassungsleistung zu zahlen haben, dass viele noch im Privatsektor immer noch ihre Privilegien verteidigen, immer noch ihre Zulagen oder 16. Monatseinkommen im Trockenen gehalten haben. Und dass entsprechend das Gefühl zwischen privater Sektor und öffentlicher Dienst einer ist, nur die einen zahlen, während die anderen zum Beispiel auch noch mit Steuerhinterziehungen durchkommen.

    Armbrüster: Korruption war auch immer ein großes Thema in Griechenland, hat sich daran etwas geändert? Ich erinnere mich, wir haben im vergangenen Jahr darüber berichtet, dass Korruption sozusagen Alltag war in Griechenland, auch für viele Griechen bei jeder kleinen möglichen Besorgung immer ein paar Euro extra fließen mussten, damit etwas schneller geschieht. Hat sich daran etwas geändert?

    Bastian: Ja, an diesem Krebsgeschwür ist erkennbar, dass Griechenland auch die Schritte in die richtige Richtung nach vorne bringt. Korruption ist ein öffentliches Thema, Korruption wird abgelehnt und immer mehr Menschen weigern sich auch, sie sind auch überhaupt nicht mehr in der Lage, solche Beträge in entsprechenden Umschlägen zum Gegenüber herüberfließen zu lassen. Nein, Korruption ist mittlerweile auch etwas, das politisch bis in die Regierungsspitzen hinein angegriffen wird. Es musste neulich auch ein stellvertretender Minister zurücktreten, weil entsprechende Korruptionsanschuldigungen gegenüber seinem Ehepartner bekannt geworden sind.

    Armbrüster: Was erwarten die Griechen denn jetzt von Europa in dieser Krise?

    Bastian: Ich glaube, zunächst einmal erwarten sie, dass man sie, in Anführungsstrichen, "in Ruhe lässt", dass sie nicht durch solche Spekulationen wie am vergangenen Wochenende weiter in die Enge getrieben werden. Das kann Griechenland nicht gebrauchen. Und dann erwarten viele Griechen auch, dass sich der Tonfall gegenüber dem Land ändert, dass man nicht ständig irgendwelchen Spekulationen antworten muss und im Grunde genommen den Griechen damit sagt, wir trauen euch nicht. Und viele Griechen sagen, wir bringen diese Opfer, wir sind auch bereit, diese in Zukunft weiterhin zu bringen, aber anerkennt auch, was wir tun, statt Spekulationen mit uns zu treiben.

    Armbrüster: Gibt es denn in Griechenland ein Verständnis dafür, dass sich viele Menschen in Europa hintergangen fühlen durch das Land, weil sich das Land in den Euro sozusagen reingemogelt hat und jetzt auch noch Hilfe erwartet?

    Bastian: In der Tat, es gibt schon ein Verständnis dafür, dass zum Beispiel in Deutschland viele verärgert und auch frustriert sind, aber das war voriges Jahr. Wenn wir jetzt weiterhin mit dem Finger auf Griechenland zeigen, dann kommen wir nicht weiter, weder das Land, noch hier in Europa. Wir haben mittlerweile nicht nur eine solche Situation in Griechenland, sondern auch in Irland und Portugal, da geht es jetzt nicht mehr darum, wer recht hat und wer gemogelt hat, sondern dass wir diese Gesellschaft, diese Wirtschaft, im Grunde genommen verhindern, dass sie im Grunde genommen einem wegbricht. Darum geht es heute, dafür braucht es auch europäische Solidarität, einen langen Atem und keine Belehrungen durch Mikrofone.

    Armbrüster: Herr Bastian, wir wissen inzwischen – das haben wir am Wochenende gelernt –, dass im Bundesfinanzministerium in Berlin an einem Szenario ganz theoretisch gearbeitet wird, wie und unter welchen Umständen Griechenland zur Drachme zurückkehren könnte. Macht man sich solche Gedanken auch in Athen?

    Bastian: Überhaupt nicht. Das ist für mich ein Thema, das von außen hereingetragen wird. Griechenland hat voriges Jahr dies energisch dementiert. Der Euro ist eine der Erfolgsgeschichten in der griechischen Gesellschaft, dafür gibt es überhaupt keinen Bedarf. Und ich wundere mich, dass im Finanzministerium in dieser Form nachgedacht wird. Es sollte eigentlich intelligentere Pläne geben, die zum Beispiel sich damit beschäftigen, wie kann eine Umschuldung Griechenlands schrittweise vorbereitet und auch kommuniziert werden? Euroausstiegsszenarien, das ist der falsche Ansatz.

    Armbrüster: Das heißt, an Umschuldungsplänen arbeitet man in Athen?

    Bastian: Die sollte man auf jeden Fall in der Schublade haben, man sollte auf eine solche Eventualität vorbereitet sein, man sollte die auch kommunizieren mit seinen europäischen Partnern und dabei dann auch berücksichtigen, es gibt unterschiedliche Varianten von Umschuldung. Das geht nicht nur, dass man zum Beispiel auf einen sogenannten Haircut, nämlich einen Abschlag von 30 oder 50 Prozent sich konzentriert. Da fehlt mir ein bisschen Fantasie, und vor allen Dingen fehlt mir, dass man nicht vor Mikrofonen, in der Öffentlichkeit darüber diskutiert, sondern im stillen Kämmerlein mit seinen Partnern.

    Armbrüster: Hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk war das Jens Bastian, Wirtschaftswissenschaftler an der hellenischen Stiftung für Außen- und Europapolitik in Athen. Herzlichen Dank für das Interview und auf Wiedersehen!

    Bastian: Auf Wiedersehen!