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Griechenland
"Der Austritt als großer Betriebsunfall im Euroraum"

Der Chefvolkswirt der ING-DIBa, Carsten Brzeski, sieht den "Anfang vom Ende der Währungsunion" gekommen, sollte Griechenland aus dem Euro austreten. Diese Möglichkeit läge dann auch für andere Länder auf dem Verhandlungstisch in Brüssel, sagte Brzeski im Deutschlandfunk.

Carsten Brzeski im Gespräch mit Sandra Schulz | 29.05.2015
    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING-DiBa (14.02.2014).
    Carsten Brzeski, Chefvolkswirt ING-DiBa. (imago / Hoffmann)
    "Es wird richtig eng für Griechenland", sagte Brzeski. Wenn Griechenland bis Ende kommender Woche seine Reformzusagen nicht einhalte und deshalb kein frisches Geld bekomme, gehe das Land pleite und müsse vielleicht die Eurozone verlassen. "Wenn es einfach nicht will und kann, werden wir uns in den nächsten Wochen auf den Grexit vorbereiten müssen", so der Bankenexperte. Brzeski rechnet in diesem Fall mit Turbulenzen an den Finanzmärkten, noch größer wären nach seiner Einschätzung aber die politischen Folgen: "Ein Austritt wäre dann auf dem Verhandlungstisch in Brüssel - auch für andere Länder." Dies könnte den Anfang vom langsamen Ende der Währungsunion sein, wenn die Union nicht den Schulterschluss macht und sich deutlich zu mehr Integration hin bewegt."
    Bei den aktuellen Gesprächen zwischen Griechenland und der EU müsse es zunächst darum gehen, den Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden, sagte Brzeski. Danach müsse es um ein drittes Hilfspaket für Griechenland gehen - das dann "alle Streitfragen wieder nach oben bringen" werde: etwa einen Schuldenschnitt die und Kontrolle von Strukturreformen durch die Troika. "Die ganze Diskussion in klein um die Auszahlung der 7,5 Milliarden Euro aus dem letzten Paket kommt dann wieder in groß."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: "We agree to disagree", das war im Februar die Zusammenfassung von Finanzminister Schäuble nach einer Verhandlungsrunde mit dem griechischen Finanzminister Varoufakis: Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind. Daran hat sich in der Zwischenzeit, ehrlich gesagt, nicht allzu viel geändert, was auch gerade wieder deutlich geworden ist. Mitte der Woche hatte der griechische Ministerpräsident Tsipras verkündet, die Verhandlungen seien jetzt auf der Zielgeraden. Schäuble dagegen sagte, die Verhandlungen seien noch nicht so viel weitergekommen. Es geht immer noch um die Abwendung des griechischen Staatsboykotts. Und auch wenn Sie das von uns schon öfter gehört haben, die Skepsis, wie lange Griechenland die Schuldenlast noch tragen kann, die ist weitergewachsen. Darum beschäftigt Griechenland die Finanzminister der sieben großen Industriestaaten, der G7, bei ihrem Treffen in Dresden. Und mitgehört hat Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING-DiBa und jetzt am Telefon, guten Morgen!
    Carsten Brzeski: Guten Morgen!
    Schulz: Wir haben das jetzt ja seit Monaten schon gesagt, das gebe ich offen zu, es werde eng. Aber jetzt stimmt's, oder?
    Brzeski: Jetzt wird es wohl mal so richtig eng. Man kann nicht genau sagen, wann. Wir haben auch gestern gehört vom Internationalen Währungsfonds, dass, wenn die Griechen nächste Woche bezahlen müssen, das noch nicht wirklich ganz eng sein wird, denn die Griechen müssen in diesem Monat noch viermal an den Währungsfonds zahlen. Und scheinbar kann das wirklich so lange aufgeschoben werden bis zum Ende des Monats. Es wird richtig eng. Wie lange das noch hält, ist unheimlich schwierig zu sagen.
    Schulz: Haben Sie denn eine Prognose? Sie haben die Zahlen gerade noch mal gesagt, 1,6 Milliarden Euro sind es insgesamt im Juni, die fällig werden. Kann Griechenland das stemmen?
    Brzeski: Ganz ehrlich, ich traue mich nicht mal mehr, eine Prognose abzugeben. Wir haben auch in der Vergangenheit gesehen, dass wir immer wieder dachten, dass Griechenland es eigentlich nicht mehr stemmen konnte, es aber doch geschafft hat. Ich denke, viel wird davon abhängen, ob die Europäische Zentralbank den Griechen weiter unter die Arme hilft. Denn wir haben halt in den letzten Wochen und Monaten gesehen, dass die Griechen sich mit sogenannten kurzfristigen Schuldscheinen immer wieder neu finanziert haben und aus diesen Finanzierungslücken rausgezogen haben. Ich schließe es nicht komplett aus, dass das auch wieder möglich ist. Allerdings nur dann, wenn die Griechen halt wirklich sich jetzt bewegen und zeigen, dass sie wirklich wild entschlossen sind, um mit Europa eine Einigung zu finden.
    Schulz: Und wenn nicht?
    Brzeski: Und wenn nicht, dann wird es einfach doch zu diesem Grexit kommen, das, was niemand haben möchte. Also den Austritt Griechenlands als großer Betriebsunfall im Euro-Raum. Denn ich denke, dass auch die Geduld von den europäischen Partnern so langsam am Ende ist. Wenn halt wirklich so ein Zahlungsausfall kommt, als Unglück, die Griechen aber zeigen, dass sie bereit sind, wirklich diese Reformliste vorzulegen und dann auch die Reformen durchzuführen, dann bleibt Griechenland im Euro. Wenn es einfach nicht will und nicht kann, dann werden wir uns in den nächsten Wochen auf den Grexit vorbereiten müssen.
    "Die Griechen würden nicht profitieren von einem Austritt"
    Schulz: Und das ist ja wirklich auch schon oft gesagt worden, jetzt auch von IWF-Chefin Lagarde, der Grexit, der wäre inzwischen für den Euro wohl verkraftbar. Das sehen Sie auch so?
    Brzeski: Ich finde es schwierig. Da wird immer aus der Perspektive der Finanzmärkte argumentiert und da wird gesagt, die Finanzmärkte sind im Augenblick ziemlich ruhig und gelassen. Ganz ehrlich, wenn Griechenland austreten würde, dann wäre das ein noch nie da gewesenes Ereignis, das auf jeden Fall Spuren an den Finanzmärkten und auch im Rest Europas hinterlassen würde, ganz deutlich. Also, es würde zu Turbulenzen kommen. Natürlich ist Griechenland klein, wir haben auch im Euro-Raum genug Rettungsschirme, andere Abwehrmaßnahmen, um die anderen Länder zu schützen vor Ansteckungseffekten. Ich denke aber, dass die größten negativen Folgen von so einem Austritt Griechenlands, wenn er denn käme, vor allem politischer Natur wäre, denn damit wäre halt dieser Austritt auf dem Verhandlungstisch in Brüssel, auch für alle anderen Länder in der Zukunft. Und wir haben Wahlen in Spanien im Herbst dieses Jahres, wir haben in zwei Jahren Präsidentschaftswahlen in Frankreich, wo im Augenblick der Front National unheimlich viel Zulauf bekommt. Es könnte halt der Anfang vom langsamen Ende der Währungsunion sein, wenn nicht die Währungsunion da wirklich einen Schulterschluss macht und sich deutlich zu mehr Integration hinbewegt.
    Schulz: Aber es sind nicht diese politischen Gründe, die jetzt wieder die USA drängeln lassen? Der US-Finanzminister hat ja noch mal gesagt, Europa, jetzt krieg dieses Problem endlich mal in den Griff!
    Brzeski: Ich denke, dass es für die USA genau diese politischen Gründe sind, und auch noch geopolitische Gründe. Denn die USA wissen halt auch, dass, wenn Griechenland austreten würde, es auch genau in Südosteuropa zu neuen Turbulenzen, zu neuen Problemen kommen würde. Denn die Griechen würden ganz deutlich nicht profitieren von einem Austritt. Das heißt, wir würden da noch eine Armut bekommen, wir würden großes Chaos bekommen. Gleichzeitig ist das auch natürlich in der Nähe einer Region, die geopolitisch doch häufig immer mal wieder sehr brenzlig und explosiv ist. Und da geht es den Amerikanern darum zu sagen, okay, probiert wirklich hier in Europa, diese Probleme zu lösen, sodass auch die EU oder der Euro-Raum als großer, starker Block wieder auftreten kann!
    Schulz: Die Verhandlungen laufen ja weiter, und nach wie vor ist es ja auch so, dass niemand diese Staatspleite will. Können Sie uns sagen - Theo Geers hat es gerade ein bisschen beschrieben -, wie zäh und mühsam diese Gespräche nach wie vor sind? Worauf fokussieren die sich eigentlich genau, geht es in Wirklichkeit um ein drittes Hilfspaket?
    Brzeski: Ich denke, dass man - natürlich geht es um das dritte Rettungspaket - kurzfristig denke ich, dass man das nicht mehr schaffen wird und dass man sich im Augenblick nur darauf konzentriert, um Griechenland irgendwie zu finanzieren, sodass diese Pleite in den kommenden Wochen nicht passiert. Dafür muss Griechenland erst mal ein bisschen liefern. Kurz danach - und dann sind wir schon wieder im Juli, im August - muss es natürlich darum gehen, um dieses dritte Rettungspaket. Dieses dritte Rettungspaket wird viel größer sein und bringt natürlich all diese Fragen wieder nach oben, über die man sich jetzt im Augenblick streitet. Kommt dann irgendwann mal ein Schuldenschnitt? Wie sorgt Europa dafür, dass diese Maßnahmen, die Griechenland, die Strukturreformen, die Griechenland durchziehen wird oder muss, dass die auch kontrolliert werden? Also, da kommt wieder die Troika ins Spiel. Akzeptiert Deutschland und die deutsche Bundesregierung, dass man die Griechen einfach machen lässt? Oder möchte man nicht doch europäische Kontrolle haben, das, was die Griechen nicht haben wollen? Also, diese ganze Diskussion, die wir jetzt in klein haben, nur um die Auszahlung von 7,5 Milliarden Euro aus dem letzten Paket, die werden wir noch mal in groß bekommen, wenn es um dieses dritte Paket geht.
    "Diese ganze Hängepartie kostet Griechenland unheimlich viel Wachstum"
    Schulz: Trotzdem bereiten sich die Menschen in Griechenland, die Sparer jetzt ja auch schon auf dieses Szenario Grexit vor. Sie haben 35 Milliarden Euro abgehoben in den letzten Monaten, von ihren Konten abgeräumt. Das ist natürlich verständlich aus Sicht von Sparern, aber wie groß ist die Belastung auch durch diese Bewegungen?
    Brzeski: Die ist natürlich schon groß. Und das heißt natürlich auch, dass diese ganze Hängepartie, die wir jetzt haben, die auch die griechische Regierung mit zu verantworten hat seit der Wahl, die ist unheimlich schädlich schon gewesen für Griechenland. Die griechischen Banken kommen immer weiter unter Druck, wir sehen das auch, dass ja nicht nur Geld abgehoben wird von den Sparern, wir sehen auch, dass die Steueraufkommen in Griechenland, in diesem Jahr bisher deutlich unter den Erwartungen geblieben sind. Das heißt, diese ganze Hängepartie kostet Griechenland unheimlich viel Wachstum, unheimlich viel Vertrauen und ist eigentlich schon sozusagen die schleichende Folge dessen, was man dann in groß bekommen würde, sollte es zu dieser Pleite kommen, sollte es irgendwann mal zum Grexit kommen.
    Schulz: Im Gespräch sind da jetzt auch Kapitalverkehrskontrollen, das halten Experten für möglich, dass die jetzt übers Wochenende beschlossen werden oder in naher Zukunft. Was genau hieße das?
    Brzeski: Das hieße, dass kein Geld aus Griechenland verschwinden könnte. Das würde auch praktisch wahrscheinlich bedeuten, dass die Banken entweder geschlossen werden oder es deutliche Grenzen gibt an das, was Kunden abheben können. Wir haben das in Zypern schon gesehen, als es die Rettungsmaßnahmen in Zypern gab. Wäre natürlich auch nur eine Maßnahme, die wirklich nur fruchtet, wenn danach ein deutlicher Reformplan kommt. Wenn sozusagen Kapitalkontrollen eingeführt werden übers Wochenende, es aber keinen sogenannten Follow-up gibt, das heißt, es gibt da nicht die große europäische Einigung, dann fürchte ich, dass die meisten Griechen das eigentlich doch nur als Anzeichen sehen, dass der Grexit doch bevorsteht. Und dann würden die Kapitalkontrollen überhaupt nichts bringen.
    Schulz: Der Chefvolkswirt von ING-DiBa, Carsten Brzeski, heute Morgen im Gespräch hier mit dem Deutschlandfunk, haben Sie herzlichen Dank!
    Brzeski: Gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.