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Griechenland
"Die Reformen müssen weitergehen"

Die frühere griechische Außenministerin Dora Bakoyannis hofft, dass das Sparprogramm in Griechenland auch unter der Regierung von Alexis Tsipras fortgesetzt wird. Es müsse allerdings angepasst werden. Die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre sei viel zu streng gewesen, sagte sie im DLF.

Dora Bakoyannis im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.01.2015
    Dora Bakoyannis von der Demokratischen Allianz.
    Dora Bakoyannis ist Mitglied von Nea Dimokratia - zwischen 2010 und 2012 gehörte sie der Demokratischen Allianz an. (imago / Reiner Zensen)
    Friedbert Meurer: In Deutschland dauern nach Wahlen Koalitionsverhandlungen meistens mehrere Wochen, wenn nicht sogar Monate. In Griechenland geht es dagegen ganz fix. Am Sonntag war die Wahl, gestern ist Alexis Tsipras zum neuen Ministerpräsidenten schon vereidigt worden und morgen soll dann die neue Regierung stehen. Tsipras' Partei Syriza will eine Koalition eingehen mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen. Die absolute Mehrheit der Sitze hatte das Linksbündnis nur ganz knapp verpasst. Das alles wird ganz aufmerksam in Europa genau registriert.
    Die Wahl in Griechenland verloren hat die Nea Dimokratia. Zu ihr gehört wieder Dora Bakoyannis, nachdem sie die Partei vorübergehend verlassen und eine eigene Partei gegründet hatte. Frau Bakoyannis war Außenministerin Griechenlands und 2006 Bürgermeisterin Athens während der Olympischen Spiele in Athen. Guten Morgen, Frau Bakoyannis.
    Dora Bakoyannis: Guten Morgen! Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Trauen Sie Alexis Tsipras zu, die Griechen aus dem Tal der Tränen zu führen?
    Bakoyannis: Ich wünsche es mir. Ich wünsche für Griechenland einen Erfolg. Aber ich sehe das sehr, sehr schwer. In Griechenland hat gestern eine radikale Änderung stattgefunden. Zum ersten Mal in der Geschichte Griechenlands haben wir eine Partei, die sich eine radikale linke Partei nennt, an der Macht. Das ist etwas ganz Neues. Das ist natürlich passiert, weil diese fünf Jahre der Krise haben Syriza von fünf Prozent auf 35 gebracht. Es ist ganz klar, dass diese sehr schwere Situation, in der sich das griechische Volk befindet, diese Reaktion gebracht hat. Ich meine ungefähr 30 Prozent Arbeitslosigkeit, 25 Prozent des Bruttosozialprodukts ist weg, die Griechen haben die Austeritätspolitik wirklich in jeder Familie gemerkt, und das ist die Reaktion jetzt. Das ist die Reaktion. Die Frage ist, wie weit wird diese Regierung das machen, was sie vor den Wahlen den Griechen versprochen hat.
    Meurer: Genau das ist die Frage, die hier auch in Deutschland diskutiert wird. Was glauben Sie? Wird Alexis Tsipras das alles tun, was er angekündigt hat?
    Bakoyannis: Wenn er das alles tut, was er vor den Wahlen angekündigt hat, dann ist Griechenland in einer sehr schwierigen Situation und unsere europäischen Partner. Falls er das ganze Reformprogramm stoppen will, haben wir ein riesiges Problem. Dass natürlich unsere europäischen Partner auch verstehen müssen, dass die Austeritätspolitik ihre Limits hat, das hoffe ich, ehrlich gesagt, nicht nur für Griechenland, sondern auch für ganz Europa. Aber die Reformen müssen weitergehen und die Reformpolitik ist das Wichtigste, was man machen kann. Wissen Sie, Alexis Tsipras ist der größte Erfolg der Troika. Ich meine, das muss man ganz ehrlich sagen und eingestehen.
    "Es ist einfach zu weit gegangen"
    Meurer: Wenn Sie sagen, er ist ein Erfolg der Troika, Frau Bakoyannis - Sie haben ja zu einem ziemlich frühen Zeitpunkt die Austeritätspolitik der Europäischen Union oder des IWF verteidigt, deswegen auch Ihre Partei Nea Dimokratia damals im Streit verlassen -, müssen Sie heute sagen, diese Einstellung war ein Fehler?
    Bakoyannis: Ja, ja. - Nein, nein, wissen Sie, es gibt ein Maß. Und wenn man dieses Maß übertritt, dann geht man einfach zu weit, und das war der Fehler. Die Austeritätspolitik war wichtig am Anfang. Wir brauchten Austeritätspolitik und Reformen und ich war sehr klipp und klar dafür. Aber dann ist das einfach zu weit gegangen. Auf einmal hat die Troika die Rezession nicht mal erkannt. Ich meine, die hatten zwei Prozent Rezession eingeplant, und die Rezession war sieben Prozent. Auf einmal ist das alles viel weiter gegangen, als man es erwartet hat. Und als da die griechische Regierung versucht hat zu reagieren, hieß es, das ist die Politik, damit müssen sie jetzt arbeiten. Das war meines Erachtens ein Fehler.
    Meurer: Nun hat, Frau Bakoyannis, die Troika und die Europäische Kommission, der Europäische Rat das nicht aus Lust und Laune getan, sondern immer mit der Begründung, die Staatsfinanzen müssen in Ordnung bleiben, wir können nur für Schulden haften, Kreditlinien geben, wenn wir auch wissen, es entstehen keine neuen Schulden. Was soll die Europäische Union denn jetzt Ihrer Meinung nach tun?
    Bakoyannis: Ja, das ist klar. Meines Erachtens gab es nicht nur die Europäische Union. Sie wissen, die Troika war der IWF und die Europäische Zentralbank zusätzlich zur Europäischen Union. Die Frage ist, in Griechenland müssen die Reformen weitergehen, meines Erachtens. In Griechenland müssen wir irgendwann über die Schulden sprechen. Es ist klar, meines Erachtens wenigstens, dass Europa keinen Schuldenschnitt machen wird. Aber eine Verlängerung des Schuldenabkommens, ich glaube, das ist etwas, was man wirklich heute besprechen könnte, und dazu noch das, was man jedes Jahr zahlt.
    Meurer: Eine Rate, eine Rückzahlungsrate?
    Bakoyannis: Ja genau. Das ist etwas, was man heute diskutieren könnte. Außerdem hat sich Europa dazu schon entschieden 2012, dass im Falle, dass Griechenland in so eine Situation kommt, man davon sprechen würde. Das haben die hier geschafft.
    "Klientelismus war in den letzten fünf Jahren nicht das Problem"
    Meurer: Ich will noch kurz die Frage stellen, Frau Bakoyannis: Hier in Deutschland wird gesagt, das ist auch die Quittung für Nea Dimokratia und Pasok, die wechselseitige Klientelwirtschaft. Ziehen Sie selbst, die Sie ja auch zu einem berühmten Familienclan in Griechenland gehören, sich diesen Schuh und diesen Vorwurf an?
    Bakoyannis: Schauen Sie, Klientelismus war das größte Problem Griechenlands, aber nicht in den letzten fünf Jahren. Ich meine, man muss das schon klar sagen. Wir hatten ein großes Problem mit dem Klientelismus. Aber Klientelismus in den letzten fünf Jahren während der Krise war nicht das Problem Griechenlands. Klientelismus muss abgeschafft werden, und alles, was dazu getan werden kann, muss man tun. Ich bin da sehr klar in meiner Antwort. Aber wissen Sie, dass man zu einer politischen Familie gehört heißt nicht, dass man klientelistisch ist. Ich meine ja, ich gehöre einer großen Familie an. Die fängt bei Elefteris Venizelos an, der erste Premierminister Griechenlands, der Kreta mit Griechenland vereinigt hat. Ja, das ist wahr. Aber das heißt nicht, dass wir nicht gewählt werden. Ich bin am Sonntag wiedergewählt worden in Athen. Wir sind keine Adelsfamilie. Wir sind nur eine Familie, die politisch in Griechenland tätig ist.
    Meurer: Dora Bakoyannis, die ehemalige griechische Außenministerin, verteidigt ihre Politik und kritisiert die Europäische Union, dass die Sparpolitik zu streng gewesen sei. Frau Bakoyannis, schönen Dank nach Athen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.