Ottessa Moshfegh: "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung"

Schlafen, um der Einsamkeit zu entfliehen

Eine Frau schläft, um sich der Gesellschaft zu entziehen.
Eine Frau schläft, um sich der Gesellschaft zu entziehen. © Verlag Liebeskind / picture-alliance/ dpa / Lehtikuva
Von Jörg Magenau · 10.11.2018
Wer schläft, sammelt Energie - nicht im Fall der Ich-Erzählerin in Ottessa Moshfeghs drittem Roman "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung". Die junge New Yorkerin möchte ihr Leben verschlafen - zur Not auch mit Schmerzmitteln und Psychopharmaka.
Schlaf hat gemeinhin einen guten Ruf. Wer schläft, der schläft sich gesund und bewältigt mit etwas Glück im Traum nebenbei auch noch seine Probleme. Bei der jungen New Yorkerin, Ich-Erzählerin im dritten Roman von Ottessa Moshfegh, ist es anders. Sie schläft, um sich der Gesellschaft zu entziehen und in der Hoffnung, "völlig zu verschwinden".
Mit einem Cocktail aus Schmerzmitteln, Barbituraten und Psychopharmaka, die eine dubiose Psychiaterin ihr verschreibt, schickt sie sich selbst ins Nirvana, um nur noch gelegentlich in einem somnambulen Zwischenzustand wieder aufzutauchen. Sie verliert ihren Job in einer Galerie. Ab und zu kommt ihre Freundin Riva vorbei und plappert allerhand dummes Zeug, oder ihr "Fickfreund" Trevor lässt sich mal wieder blicken. Die Eltern sind tot, der Vater gestorben an Krebs, die Mutter an Alkohol. Schön ist das alles nicht.

Oberflächliche, hohle Gesellschaft

Moshfegh, 1981 in Boston geboren, zeichnet das Bild einer oberflächlichen, hohlen Gesellschaft, in der es ausschließlich um Körpergewicht, Aussehen und Sex geht. Die Kunstgalerie bietet dazu Einblick in einen Markt der Eitelkeiten und Selbstinszenierungen. Da ist die brachiale Selbstauslöschung der Erzählerin im Schlaf dann tatsächlich noch die sympathischere Variante. Schlaf und Psychopharmaka dienen dazu, dem Schmerz, der Einsamkeit und der Ratlosigkeit auszuweichen. Doch bald schlägt das Unterbewusstsein zurück.
Die Erzählerin stellt mit Entsetzen fest, dass sie während ihres Tiefschlafs Ausflüge unternimmt. Sie entdeckt Fotos von fremden Männern, mit denen sie getrunken hat und schlimmer noch: Sie hat Fotos ihrer Mundhöhle und ihres Anus hochgeladen und an Unbekannte verschickt. Sie kann sich an nichts erinnern, kann selbst nicht mehr trauen, bis sie trotz aller Medikamente überhaupt nicht mehr in den Schlaf findet und tagelang die immergleichen Filme schaut.

Zuspitzung der unschönen Situation

Viel Abwechslung bietet dieser Plot nicht. Im Grunde beruht "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung" auf einer einzigen Idee – dem Projekt "Winterschlaf" – und einer recht eindimensionalen gesellschaftlichen Diagnose. Spätestens nach 50 Seiten hat man’s begriffen, der Rest ist redundant, so dass Moshfegh den erzählerischen Ausweg in Höherdosierung und Zuspitzung der Situation sucht. Für das, was in ihrem Unterbewusstsein passiert, interessiert sich ihre Ich-Erzählerin herzlich wenig. Das ist ein weiteres Problem dieses Romans.
Die Perspektive ist notwendigerweise begrenzt, da es der Schläferin doch vor allem darum geht, sich auszuschalten und die Außenwelt sie dabei bloß stört. Es ist auch nicht einsichtig, von wo aus, wann und wem sie ihre Erlebnisse berichten zu müssen glaubt. Alles an ihr ist aufs Verstummen angelegt – warum also so viel Text? Zu allem Überfluss endet das Buch am 11. September 2001 mit dem Terroranschlag aufs World Trade Center. Symbol, Symbol! Das ist eine andere, radikale Auslöschung für diese Gesellschaft, um die es echt nicht schade ist. Als literarisches Ergebnis dieses Tiefschlafexperiments ist das ein bisschen dünn.

Ottessa Moshfegh: "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung".
Aus dem Amerikanischen von Anke Caroline Burger
Liebeskind, München 2018
316 Seiten, 22,- Euro

Mehr zum Thema