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"Griechenland ist auf dem Weg von Weimar"

Seit zwei Jahren ringt Europa um die Rettung Griechenlands und anderer Krisen-Länder. Der "Euro-Rebell" Frank Schäffler zieht eine verheerende Bilanz dieser Politik. Und er warnt: In der jetzigen Form hat die Währungsunion keine Zukunft.

Frank Schäffler im Gespräch mit Friedbert Meurer | 20.11.2012
    Friedbert Meurer: Frankreich verliert also seine Bestnote Triple-A, dreimal A, nun auch bei der Ratingagentur Moody's. Die hat jetzt die Note für die finanzielle Bonität, Glaubwürdigkeit des Landes, herabgestuft. Das ist damit jetzt schon die zweite der drei großen US-Agenturen, die Frankreich herabstufen. Noch steigen die Zinsen für französische Staatsanleihen nicht; das mag für Paris vorerst beruhigend sein. Aber es wächst doch insgesamt eine Nervosität. Immerhin ist Frankreich neben Deutschland die große Volkswirtschaft, von der man sich ja eigentlich eine Lösung der Schulden- und Euro-Krise erhofft.

    Frankreich wird in der Bonität herabgestuft, das mag sicher heute auch eine Rolle spielen beim Treffen der Euro-Finanzminister am späten Nachmittag in Brüssel. Auf der Tagesordnung allerdings steht in der Hauptsache einmal mehr das Euro-Land Griechenland. Griechenland soll eine neue Hilfstranche überwiesen werden, aber der Internationale Währungsfonds droht, aus dem Programm auszusteigen. Der IWF will nur helfen, wenn vorher ein Schuldenschnitt vorgenommen wird. Der würde allerdings den Deutschen (und nicht nur ihnen) erheblich auf die Füße fallen. Auf den Steuerzahler käme da eine erhebliche Milliardenrechnung zu.

    Frank Schäffler ist Bundestagsabgeordneter der FDP. Er hat im Bundestag gegen den Euro-Rettungsschirm gestimmt und vor einem Jahr vergeblich versucht, via Mitgliederentscheid in der FDP die Euro-Rettungspolitik zu stoppen. Guten Tag, Herr Schäffler!

    Frank Schäffler: Hallo, Herr Meurer.

    Meurer: Wird uns Steuerzahlern jetzt die Rechnung präsentiert?

    Schäffler: Ja! Die Verluste sind eigentlich eingetreten, sie sind nur noch nicht kassenwirksam, und jetzt versucht man, das mit irgendwelchen Tricks noch hinauszuschieben. Aber die bittere Wahrheit, die wird am Ende kommen. Am Ende wird die Rettungspolitik, die vermeintliche Rettungspolitik, eben kassenwirksam und den Steuerzahler und den Sparer belasten.

    Meurer: Was genau wird die bittere Wahrheit Ihrer Auffassung nach sein?

    Schäffler: Ja, dass die Währungsunion, der Währungsclub in dieser Form keine Zukunft hat, sondern wir brauchen eben Ventile. Wir brauchen eine atmende Euro-Zone, wo es auch Austritte geben muss für die Länder, die im Euro nicht wettbewerbsfähig werden können. Und das zeigt jetzt die Entwicklung in Griechenland. Griechenland ist auf dem Weg von Weimar. Weimar hat zwischen '28 und '32 25 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verloren. Griechenland hat in den letzten vier Jahren fast 19 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verloren. Das heißt, es ist kein Weg, es wird nicht besser, sondern die Schulden werden nur von privaten Schulden in öffentliche Schulden umgewandelt und diese Schulden werden eben dann von staatlicher Seite gehalten und eben nicht mehr von privaten Gläubigern.

    Meurer: Genau dieser Punkt macht ja jetzt einigen Sorgen. Die IWF-Chefin Christine Lagarde sagt, es muss jetzt ein Schuldenschnitt her, anders geht es nicht, und wir werden sehen, ob es da einen Kompromiss gibt. Gibt es eine Alternative zu dem Schuldenschnitt und damit eine Alternative dazu, dass der deutsche Steuerzahler unmittelbar davor steht, belastet zu werden?

    Schäffler: Ich glaube, dass Griechenland sich natürlich mit seinen Gläubigern zusammensetzen muss. Aber ich glaube, wir dürfen dem erst zustimmen, wenn gleichzeitig Griechenland auch eine Perspektive des besseren hat. Wir hatten ja einen Schuldenschnitt vor einem dreiviertel Jahr, da ist Griechenland faktisch um 70 Milliarden entlastet worden, und wir haben das als Steuerzahler noch mit 30 Milliarden gepampert, und das hat unterm Strich ja nichts gebracht. Heute ist Griechenland wieder auf dem gleichen Schuldenniveau zu seiner Wirtschaftsleistung, und daran sieht man, dass innerhalb des Euro ein Schuldenschnitt nichts bringt, sondern nur zu Lasten des Steuerzahlers jetzt funktioniert.

    Meurer: Wenn Sie sagen, wir werden das prüfen, heißt das, das muss dem Bundestag vorgelegt werden, diese Frage?

    Schäffler: Ja natürlich! Jede Änderung muss dem Bundestag vorgelegt werden. Auch wenn jetzt eine Verlängerung stattfindet, wird der Bundestag entsprechend befasst, denn das ist eine wesentliche Änderung des Programms und das hat das Verfassungsgericht ja entsprechend dem Bundestag aufgegeben.

    Meurer: Sehen Sie bei Wolfgang Schäuble oder auch der Kanzlerin sozusagen die Taktik am Werk, die bittere Wahrheit auf die Zeit nach der Bundestagswahl hinauszuzögern und eben einen Schuldenschnitt erst nach der Bundestagswahl anzupeilen?

    Schäffler: Natürlich! Man hat sich geirrt und will jetzt die Wahrheit nicht eingestehen. Wenn Sie sich daran erinnern: Im Mai 2010 hieß es, wir müssen Griechenland drei Jahre vom Markt nehmen und dann machen die Reformen, nach drei Jahren funktioniert das. Und dann hat man jetzt im Frühjahr dieses Jahres gesagt, jetzt müssen wir denen bis 2020 Zeit geben, weil sie schaffen es nicht so schnell. Und jetzt ein dreiviertel Jahr später stellen wir fest, dass sie zwei Jahre länger brauchen, also bis 2022, und dann wird die Welt gut. Die Planwirtschaft funktioniert eben nicht dadurch, dass man einen besseren Plan schafft, und das machen wir jetzt. Wir glauben, der Plan war falsch und deshalb müssen wir einen besseren Plan machen. Aber das Grundproblem ist die Planwirtschaft und da müssen wir rangehen. Wir müssen Risiko und Haftung wieder in Einklang bringen. Wir müssen denjenigen zu Verantwortung ziehen im besten Sinne des Wortes, der die Risiken eingegangen ist, und das tun wir nicht.

    Meurer: Die Bundestagswahl ist in zehn Monaten, das ist noch eine ziemlich lange Zeit. Wird sich die Entscheidung über den Schuldenschnitt so lange aufschieben lassen?

    Schäffler: Nein, das glaube ich nicht. Die Dynamik der Finanzkrise – das merkt man ja jetzt auch mit Spanien und mit Frankreich ganz aktuell – hat eine viel größere Dynamik und sie wird sich nicht an Wahlterminen orientieren.

    Meurer: Wann kommt denn der Tag, wo das offen ausgesprochen wird?

    Schäffler: Ich mache das ja gerade bei Ihnen. Ich glaube, man darf da nicht drum herumreden und das heroisieren, was da passiert, sondern hier geht es darum, dass wir der Wahrheit ins Gesicht schauen und feststellen, dass das, was in Griechenland nicht funktioniert, nicht nur ein singuläres Problem ist, sondern dass das genauso wenig in Portugal, in Spanien und in Irland funktioniert. Man darf die Euro-Zone nicht territorial zusammenhalten wollen, das führt nicht zur Stabilität der Euro-Zone, sondern am Ende zum Untergang der Währung.

    Meurer: Sie sind ja in den Koalitionsfraktionen doch ziemlich mit Ihrer Position in der Minderheit. Wenn Sie sich so bei Fraktionssitzungen oder bei anderer Gelegenheit mit Kollegen von der Union unterhalten, wie viele, glauben Sie, rechnen damit, das kostet den Steuerzahler Geld, das wird nicht zu vermeiden sein?

    Schäffler: Ja alle glauben das inzwischen. Es gab ja Kollegen, die im Mai 2010 gesagt haben, das sei ein großes Geschäft für Deutschland. Inzwischen glaubt das kein Mensch mehr, denn wie gesagt: Die Schulden und die Risiken sind eingetreten. Es geht nur noch darum, wann sie kassenwirksam werden, und da gibt es natürlich ein bisschen Spielraum. Da kann man noch ein bisschen die Rückzahlung strecken und die Zinsen reduzieren und die EZB einschalten. Das sind doch alles Tricks, die nur dazu dienen, die Kassenwirksamkeit hinauszuschieben. Aber das wird nicht auf Dauer möglich sein. Man kann da noch ein oder zwei Schleifen drehen, aber am Ende muss man der Wahrheit ins Gesicht schauen. Wenn man diesen Weg geht, dass man die Schulden in Europa sozialisiert, dann werden alle Schulden in Europa sozialisiert. Also wenn man den Weg geht, dass kein Land insolvent gehen darf und keine Bank in Europa insolvent gehen darf, dann werden alle Schulden letztendlich sozialisiert und dann wird es auch Eurobonds geben. Dann ist die Anmerkung, dass man gegen Eurobonds ist, nur ...

    Meurer: Die könnten ja vielleicht sogar besser sein, die Eurobonds, weil sie uns nicht 17 Milliarden kosten.

    Schäffler: Ich halte davon nichts. Das ist ein völlig falscher Weg und im Kern keine Lösung. Aber wer alles rettet, der nimmt billigend in Kauf, dass wir am Schluss Eurobonds bekommen, und das gehört auch zur Wahrheit dazu. Ich halte das aber für falsch, denn es müssen die zur Verantwortung gezogen werden, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, und die, die falsche Risiken eingegangen sind. Es kann doch nicht sein, dass wir jetzt mittelbar, wenn das in Frankreich so weitergeht, sage ich mal, die falsche Entscheidung der französischen Wähler als deutsche Steuerzahler und Sparer bezahlen müssen, nur unter dem Diktum, dass scheitert der Euro, dann Europa scheitert. Darunter kann man doch nicht alle subsumieren, sondern am Ende muss es doch klar sein, dass derjenige, der Entscheidungen trifft, am Ende für diese Entscheidungen auch geradestehen muss, und das kann man nicht sozialisieren in Europa. Das zerstört den europäischen Gedanken und führt nicht dazu, dass wir in Europa uns einigen und aufeinander zubewegen.

    Meurer: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler warnt davor, den Euro-Kurs so fortzusetzen. Danke schön, Herr Schäffler, für das Interview hier im Deutschlandfunk. Auf Wiederhören!

    Schäffler: Danke auch. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.