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Griechenland
Kapitalmarkt-Analyst: Grexit würde dem Land helfen

Ein vorübergehender Austritt aus der Eurozone könnte den Griechen wieder eine Perspektive bieten, sagte Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank, im Deutschlandfunk. Durch die dann gegenüber dem Euro abgewertete Drachme würde das Land Wettbewerbsfähigkeit zurückerlangen - wenn auch auf künstliche Art.

Robert Halver im Gespräch mit Gerd Breker | 22.06.2015
    Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG.
    Robert Halver: "Was ist denn so schlimm daran, wenn man den Griechen mal die Chance gibt, für 10, 15 Jahre die Eurozone zu verlassen?" (imago/Hoffmann)
    Gerd Breker: Alle Augen sind heute auf Brüssel gerichtet. Der Sondergipfel soll bringen, was politisch gewollt ist: die Einigung mit Griechenland. Dann bleiben die Geldgeber großzügig, weil Griechenland sich bewegt hat. Dann wird es keinen Grexit geben. Offenbar haben die Drohgebärden der vergangenen Tage und Wochen so manch einen selbst erschreckt, denn ein Ausscheiden aus der Eurozone hätte nicht nur für die Griechen schwerwiegende Konsequenzen. Insofern ist die Rechnung des griechischen Ministerpräsidenten vielleicht aufgegangen, das Thema auf die höchste politische Ebene zu heben.
    Banges Warten in Brüssel, aber auch banges Warten in Athen, und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen die Frage, werden die Geldgeber weiter Geld geben, und zum anderen, welche Reformzusagen hat Tsipras nach Brüssel überliefert, was bedeutet das für die Griechen, wo wird was gekürzt. Um seine Position zu stärken, wurde in Athen noch einmal gegen Sparpolitik demonstriert, aber Tsipras hat offenbar geliefert. Das Feedback aus Brüssel war positiv, das mag politisch gewollt sein, müsste aber argumentativ in der Sache begründbar sein.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Robert Halver. Er ist Leiter der Kapitalmarktanalyse der Baader Bank. Guten Tag, Herr Halver.
    Robert Halver: Guten Tag!
    Breker: Die positiven Signale aus Brüssel haben die Börsen nach oben klettern lassen. Nur, Herr Halver, hat an den Börsen irgendjemand an den Grexit geglaubt?
    Halver: Ja. Letzte Woche waren schon Tage da, wo man gesagt hat, das wird nichts mehr, es kann durchaus passieren. Aber jetzt, wo wir ja wissen, oder zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür haben, dass die Politik sich durchsetzen wird, auch gegen finanzpolitische Vernunft, dann, denke ich mir, sind die Börsen gut beraten zu steigen. Aber das sage ich auch: Das Ganze ist nur ein Pyrrhussieg, denn auch wenn die Griechen jetzt wieder Geld bekommen sollten, das Grundproblem der Griechen ist ja, dass sie eine wettbewerbsunfähige Regierung beziehungsweise eine Wirtschaft haben. Und wenn man daran nichts macht, ist Hopfen und Malz eigentlich längerfristig verloren, so dass ich heute sagen kann: Wir haben eine Wiedervorlage der Griechenland-Krise spätestens Anfang des nächsten Jahres.
    Breker: Das heißt, die Börse geht davon aus und auch Sie gehen davon aus, es gibt eine politische Lösung, keine Lösung in der Sache?
    Halver: Ja. Der Kollege hat ja eben gesagt, es geht hier darum, die Griechen in der Eurozone zu halten, koste es was es wolle. Man möchte sich nicht mit den möglichen negativen Konsequenzen eines Grexit beschäftigen. Die Angst davor, dass nach Griechenland auch andere Länder angegriffen werden könnten, das möchte man, aber nicht nur. Das andere ist natürlich die finanzstabilitätspolitische Sichtweise. Entscheidend ist ja: Wenn ein Land seine Hausaufgaben nicht macht, nicht auf eigenen Beinen stehen kann, um Wirtschaftswachstum zu erzielen, indem investiert wird, Arbeitsplätze geschaffen werden, Konsum da ist und Steuern entrichtet werden können, die dann auch wiederum Staatsschulden bezahlen, ist längerfristig für ein Land ja nichts gewonnen. Dann ist ein Land darauf angewiesen, dass die Geldgeber, die Institutionen EZB, EU-Kommission und IWF permanent neues frisches Geld nach Griechenland pumpen. Davon haben die Griechen, das griechische Volk, denen meine völlige Sympathie sicherlich gilt, gar nichts.
    "… dann haben wir alle Stabilitätskriterien der Eurozone geopfert"
    Breker: Herr Halver, die Börse spekuliert ja immer auf die Zukunft, sagt man. Anhand welcher Analysen war denn klar, dass es den Grexit nicht geben wird, also Griechenland vorerst im Euro bleibt?
    Halver: Die Politik hat sich ja klar geäußert. Wir haben es ja immer gehört, die Zeit wird knapp oder das Zeitfenster geht zu oder der Ball liegt im Spielfeld der Griechen. Das ist natürlich politischer Theaterdonner, das ist ja nicht ernst gemeint. Das darf man jetzt so erst mal sagen. Und dann hat die Börse immer gesagt, na ja, wenn die Griechen gehen, darf Deutschland für etwa 90 Milliarden haften. 90 Milliarden Steuergeld sind dann futsch. Das müssen sie ihren Wählern verkaufen. Dazu kommt sicherlich auch: Wenn die Griechen gegangen wären, dann muss man ja sagen, dann haben wir alle Stabilitätskriterien der Eurozone geopfert und haben das Ziel, die Griechen in der Eurozone zu halten, nicht erreicht. Das ist sehr schwierig.
    Und dann sicherlich ein ganz wichtiges Thema die Geostrategie. Ich behaupte mal, dass Herr Obama sicherlich in Elmau auf dem G7-Gipfel zwischen Gänseblümchen und Löwenzahn der Kanzlerin sehr deutlich gesagt hat, dass er es wünsche, dass das NATO-Land Griechenland in der Eurozone bleibt, denn ansonsten wäre die Gefahr ja sehr groß, dass Griechenland in russische Hände gerät. Das heißt, hier haben wir ganz klar eine Politik, die dafür sorgt, dass die Griechen in der Eurozone bleiben, auch wenn es finanzpolitisch sicherlich nicht der beste Schritt ist.
    Breker: Welche Gegenleistung für die jetzt offenbar vorhandene griechische Bewegung sollten die Geldgeber fordern oder liefern? Weiteren Schuldenerlass für Griechenland, oder ein drittes Hilfspaket? Was würden Sie als Börsianer, als Analyst bevorzugen?
    "Entscheidend wären für mich Reformen"
    Halver: Ein Schuldenerlass bringt ja gar nichts. Das ist ja nun dann auch absurd. Wir geben neues Geld und die alten Schulden werden gestrichen, in einem halben Jahr machen wir es wieder. Das kann man keinem verkaufen, das geht nicht. Entscheidend wären für mich Reformen, dass man sagt, wir bauen ein Steuerwesen auf, das dafür sorgt, dass auch die reichen Griechen besteuert werden. Wir bauen ein Verwaltungswesen auf, dass auch Unternehmen, die in Griechenland investieren, nicht teilweise zwei Jahre warten, bis sie investieren können. Das sind die grundlegenden Bedingungen. Verwaltungsreform, Steuerreform, das ist sehr wichtig. Die Korruption muss bekämpft werden. Wenn man das hinbekommt, dann ist man auf einem guten Weg. Noch einmal: Das grundsätzliche Problem der Griechen ist ihre wettbewerbsunfähige Wirtschaft, dass man sagt, wir haben hier zu wenig Reformen gemacht, bei uns wird nicht gern investiert. Und jetzt zu verlangen, wir nehmen jetzt einen Marshall-Plan, der wird nicht sehr viel bringen. Das ist ein Strohfeuer. Denn entscheidend ist ja das private Kapital. Unternehmen müssen gerne bereit sein, in Griechenland zu investieren. Das kann der Staat nicht übernehmen. Wenn Unternehmen freiwillig kommen, dann ist eine Volkswirtschaft gesund.
    Breker: Herr Halver, Sie haben es gesagt: Die Grundlagen eines staatlichen Gemeinwesens in Griechenland, sie funktionieren nicht so recht. Sie haben die Steuererhebung angesprochen, das Katasteramt, die Korruption. Nur wenn man das ändern will, wenn man das neu aufbauen will in Griechenland, das dauert doch Jahre.
    Halver: Das dauert Jahre und deshalb wäre mein Credo gewesen: Was ist denn so schlimm daran, wenn man den Griechen mal die Chance gibt, für 10, 15 Jahre die Eurozone zu verlassen? Dann können die teilweise abwerten, sie bekommen Wettbewerbsfähigkeit auf künstliche Art, indem die Drachme natürlich gegenüber dem Euro abwertet. Dann könnte man ihnen auch sicherlich anbieten, einen Teil der Schulden zu streichen, und dann würde man auf einmal feststellen, dass Unternehmen sagen, es ist zwar noch nicht alles da verwaltungstechnisch, aber aufgrund der günstigen Drachme versuchen wir zu investieren, die Währung bringt uns dann Vorteile. Und wenn man das dann weiterstrickt, ein paar Jahre weiter, dann wird man feststellen, dass jetzt auch so viel Geld da ist, dass man sagt, jetzt bauen wir auch ein Verwaltungswesen auf.
    Was wir im Augenblick machen ist: Wir konservieren alte Zustände, aber ohne einen Verbesserungsprozess zu beginnen, und das ist sehr negativ. Ein Grexit - davon bin ich fest überzeugt - ist vor allen Dingen im Interesse auch der Griechen, denn die bekommen wieder perspektive. Darum geht es ja. Und umgekehrt können wir weiterhin sagen, die Euro-Stabilitätsunion, die ja Bedingung dafür war, dass wir die D-Mark aufgegeben haben, die bleibt erhalten. Dann hätten beide Seiten gewonnen.
    Breker: Der Grexit ist aber offenbar politisch nicht gewollt, Herr Halver. Stellt sich die Frage - und das klang ein wenig bei Ihnen ja schon durch: Welches Beispiel gibt denn diese griechische Schuldenkrise eigentlich anderen Krisenländern?
    Halver: Wenn man jetzt den Griechen entgegenkommt - man macht zwar Reformen, aber man möchte ja auch von Seiten der Tsipras-Regierung dann auch wieder Gegenleistungen haben, also Schuldenschnitt, dass man ein Investitionsprogramm startet -, dann wird man sagen müssen, das, was wir den Griechen gewähren, können wir keinem anderen Land verwehren. Das heißt für mich, ein anderer Ministerpräsident, vielleicht in Portugal, in Zypern, in Spanien, also Ministerpräsidenten, die durchaus Reformen gemacht haben, zwar nicht so ausreichend, aber immerhin sie haben schon was gemacht, die könnten ja sagen, warum Reformen machen, warum sollte ich mir freiwillig den Fluch antun, vielleicht nicht wiedergewählt zu werden, denn diesen Fluch gibt es ja - der Eurofluch lautet ja, wer reformiert wird abgewählt, siehe Kanzler Schröder, siehe Herrn Monti, der italienische Ministerpräsident, und Frankreichs Staatspräsident Sarkozy -, warum sollte man dann noch sich Reformen antun. Das ist ein fatales Signal und entscheidend ist ja: Man muss im Kopf haben: Wenn eine wettbewerbsfähige Wirtschaft da ist, dann ist die Eurozone insgesamt auch wettbewerbsfähig, und dann können wir sehr entscheidend auch gegenüber anderen Ländern, den USA, Russland, China, Brasilien, Indien mithalten, und darum geht es. Ich möchte nicht, dass von Griechenland ausgehend jetzt eine Tendenz reinkommt, dass wir sagen werden in 20 Jahren, Europa, das ist ein Industriemuseum. Das kann uns überhaupt nicht gefallen.
    Breker: Das ist die Einschätzung des Kapitalmarktanalysten der Baader Bank, Robert Halver. Herr Halver, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
    Halver: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.