Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Griechenland
Krichbaum: Gesetze umsetzen, nicht nur erlassen

Der CDU-Europapolitiker Gunter Krichbaum hat Zweifel an der Umsetzung der beschlossenen Reformen in Griechenland geäußert. Gesetze müssten nicht nur erlassen, sondern auch umgesetzt werden, sagte Krichbaum im Deutschlandfunk. Dabei fehle Tsipras aber die eigene Mehrheit.

Gunter Krichbaum im Gespräch mit Bettina Klein | 23.07.2015
    Gunther Krichbaum, CDU, Vors. des Europaausschusses im Bundestag.
    Gunther Krichbaum, CDU. (picture alliance / dpa / Zipi)
    Am Donnerstagmorgen hat das Parlament in Athen ein zweites Reformpaket beschlossen. Allerdings war die Regierung von Ministerpräsident Alexis Tsipras erneut auf Stimmen der Opposition angewiesen. Ohne eigene Mehrheit im Parlament werde es für die griechische Regierung schwierig, die Gesetze auch in die Praxis umzusetzen, sagte Gunter Krichbaum, Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestags. "Athen muss begreifen, dass diese Reformen nicht zum Gefallen von Berlin, Brüssel oder Paris sind, sondern im eigenen Interesse", betonte er. "Und dann müsste man auch mal dankbar sein, für die Hilfe, die angeboten wird. Denn sonst wäre das Land längst pleite."
    Die Reformen hätten eine wichtige Bedeutung: "Es geht nicht nur um Geld, sondern um Strukturreformen, damit das Land wieder wettbewerbsfähig wird", so Krichbaum. Der Weg zu einer Einigung sei noch lang, bislang seien nur Verhandlungen vereinbart, ein Ergebnis gebe es noch lange nicht. Krichbaum hatte im Bundestag für die Aufnahme von Verhandlungen mit Athen über das nächste Hilfspaket gestimmt. 60 Abgeordnete der Union verweigerten jedoch ihre Zustimmung. "Die zu überzeugen, wird schwierig werden", räumte Krichbaum ein.

    Das Interview in voller Länge
    Bettina Klein: Es wurde wieder früher Morgen in Athen. Vor wenigen Stunden hat das Parlament dort in einer weiteren Abstimmung für weitere Reformmaßnahmen votiert. Am Telefon ist Gunther Krichbaum, CDU-Vorsitzender vom Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union im Deutschen Bundestag. Guten Morgen, Herr Krichbaum!
    Gunther Krichbaum: Schönen guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Was ist Ihre Bilanz an diesem Morgen, alles auf gutem Wege in Griechenland oder wie?
    Krichbaum: Man könnte jetzt sagen, grundsätzlich stimmt die Richtung, weil immerhin hat ja hier auch der Antrag eine Mehrheit gefunden von 230 der 300 Abgeordneten, insoweit eine satte Mehrheit. Aber die Wahrheit ist eben auch, dass Herr Tsipras über keine eigene Mehrheit verfügt im Parlament, und es geht ja nachher nicht nur darum, Gesetze zu erlassen, sondern vor allem diese auch umzusetzen. Und deswegen bin ich an der Stelle auch wirklich skeptisch.
    Tsipras hat eine 180-Grad-Wende vollzogen
    Klein: Aber das scheint ja nicht so relevant zu sein in Griechenland, also es gibt jetzt auch keinen Volksaufstand dagegen, dass er mit der Opposition da stimmt, insofern muss man ja doch auch einen Meinungswandel konstatieren.
    Krichbaum: Nun, er hat in der Tat eine 180-Grad-Wende vollzogen, das war ja auch die Voraussetzung, dass wir überhaupt hier jetzt grünes Licht geben konnten, um grundsätzlich Verhandlungen aufzunehmen. Aber die Verhandlungen selbst sind natürlich noch kein Ergebnis, sondern das steht ganz am Ende, und wir werden hier einen sehr, sehr schwierigen Weg haben - das hat auch Bundesminister Schäuble schon in der Vergangenheit mehrfach gesagt -, deswegen ist es auch ergebnisoffen. Wir müssen eben schauen, wie wir jetzt hier vorankommen, denn Athen muss endlich auch begreifen, dass all die Reformen nicht gemacht werden zum Gefallen von Berlin oder Brüssel oder Paris, sondern wirklich im eigenen Interesse, und da hapert es noch ganz gewaltig.
    Klein: Na ja, gut, also das Parlament hat jetzt mit Ja gestimmt, damit ist auf jeden Fall ja formal der Weg zunächst mal frei. Was sind denn die nächsten Schritte, wenn jetzt Verhandlungen aufgenommen werden?
    Krichbaum: Nun, jetzt geht man natürlich ins Details, denn beispielsweise ist ein Teil des Reformprogramms, dass ein Fonds geschaffen wird, in den auch Staatsvermögen dann ausgegliedert werden, was dann zur Privatisierung ansteht. Das kommt vielleicht vielen als ein Déjà-vu vor, weil das hatten wir auch schon im ersten Griechenland-Hilfspaket, im Übrigen auch dort mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro. Passiert ist dann anschließend sehr wenig, deswegen müssen wir hier andere Wege gehen. Und das zeigt sich ja im Übrigen auch an der jetzigen Vorgehensweise. Das sind ja jetzt die Erfüllung von Maßnahmen, von vorgezogenen Maßnahmen, sogenannten prior actions, dass wir hier bestimmte Auflagen machen, bevor es überhaupt mit Verhandlungen vorangeht. Das war jetzt jüngst eben die Mehrwertsteuerreform oder ist eben jetzt hier die Bankenreform gewesen.
    Es geht nicht nur um Geld, sondern um Strukturreformen
    Klein: Geben Sie uns mal ein Beispiel, Herr Krichbaum, was muss jetzt erkennbar erfüllt sein, um dann zu welchem Zeitpunkt den nächsten Verhandlungsschritt einzuleiten?
    Krichbaum: Wir haben eine ganze Reihe an Eckdaten, die wir ja auch, vielmehr die der Gipfel fixiert hatte, der Gipfel der Staats- und Regierungschefs. Dazu gehört, dass zum Beispiel die Frühverrentungen abgeschafft werden. Das muss in Zukunft auch auf ein Alter, ein Renteneintrittsalter von 67 angehoben werden, wie das im Übrigen auch in Deutschland der Fall ist. Wir haben eine Liberalisierung, die ansteht, für stark reglementierte Berufe. Hier sind sehr, sehr viele Verkrustungen eben in Griechenland ersichtlich, das geht weiter über ein modernes Tarifvertragsrecht. Und daran kann man im Übrigen auch sehen, es geht nicht alleine nur um Geld, nach dem Motto, viel Geld hilft viel, sondern es geht um Strukturreformen, die in dem Land unternommen werden müssen, damit das Land auch wieder wettbewerbsfähig wird.
    Klein: Und die werden ja jetzt angegangen, also woher kommt Ihre Skepsis noch?
    Krichbaum: Weil diese Details natürlich jetzt erst in den Verhandlungen ausgehandelt werden müssen. Es geht um die konkrete Umsetzung, und das ist eben etwas ganz anderes als nur die Verabschiedung von Gesetzen. Wir bezeichnen das eben auch als Ownership, dass man sich die Reformen zu eigen macht, deswegen ist auch eine gewisse Skepsis da. Weil wenn eine Regierung nicht über eine eigene Mehrheit im Parlament verfügt, dann macht einen das deswegen sehr zurückhaltend, weil es ist nachher diese Regierung mit ihrem Regierungsapparat, mit ihren Ministerien, die das Ganze dann auch tatsächlich in die Praxis umsetzen muss. Wenn es daran aber dann schon hapert, dann ist da natürlich eine gewisse Skepsis angebracht, und natürlich mit all den Erfahrungen der Vergangenheit, denn in der Tat ist es so, dass in den letzten Monaten wirklich sehr viel Vertrauen zerstört wurde, weil wir Vereinbarungen hatten, die dann nicht eingehalten wurden.
    "Man kann ein Land auch unter schwierigen Bedingungen reformieren"
    Allerdings, und das sollte sich dann auch nicht ganz so pessimistisch anhören, wir hatten eben zu Zeiten vor dem Regierungswechsel wieder eine Richtung, die in eine gute ging. Ich darf daran erinnern, dass wir vor dem Regierungswechsel hin zu der linksradikalen Syriza-Partei tatsächlich drei Quartale Wirtschaftswachstum hintereinander hatten, dass wir wieder einen sogenannten Primärüberschuss hatten. Also grundsätzlich sei auch damit zum Ausdruck gebracht: Es geht, man kann ein Land auch unter schwierigen Bedingungen reformieren, aber es kommt nachher natürlich schon auch auf die eigene Truppe dort an.
    Klein: Die Botschaft ist angekommen, Herr Krichbaum, ich wollte jetzt gerade noch mal nachfragen: Es kamen ja nicht nur von Ihrer Partei, auch durchaus auch aus der SPD Stimmen noch Anfang Juli, nach dem Referendum, da seien Brücken abgebrochen worden und es könne keine Zusammenarbeit mehr geben. Wenn man sich das mal vor Augen hält, hat es ja doch in den letzten wenigen Wochen eine erstaunliche Entwicklung gegeben. Das heißt im Grunde genommen, würden Sie auch sagen, dass Tsipras es gelungen ist, jetzt auch das Vertrauen der Europäischen Union und der Institutionen zurückzugewinnen?
    Krichbaum: Nein, das wäre verfrüht. Das wäre sicherlich verfrüht für eine solche Feststellung. Es geht jetzt eben darum, Taten nach vorne zu stellen, und da muss man abwarten. Man muss sie wirklich an ihren Resultaten und an ihren Taten messen. Und wenn ich nur daran erinnern darf, er hat auch wiederum im Parlament, heute Morgen, gesagt, seine Regierung sei zu einem schwierigen Kompromiss gezwungen worden und man müsse nun ein Abkommen umsetzen, an das sie selbst nicht glauben. Das ist eben genau der Punkt meiner Skepsis, und da muss man eben dann auch entsprechende Resultate liefern.
    Klein: Stichwort abwarten: Von welchem Zeitraum gehen Sie denn aus, wann wird der Bundestag denn das nächste Mal zusammentreten, um dann tatsächlich für ein Hilfspaket zu stimmen?
    Krichbaum: Die Frist läuft eigentlich zum 20.8. hin, denn dort ist eine größere Rückzahlungstranche in der Größenordnung von 3,2 Milliarden Euro fällig an die EZB, und vorher wird sicherlich der Bundestag darüber noch mal befinden müssen.
    Klein: Das heißt, es wird eine Sondersitzung noch mal in der Sommerpause geben?
    Krichbaum: Davon gehe ich persönlich zumindest aus, ja.
    Abweichler in der Unionsfraktion überzeugen
    Klein: Bei der letzten Abstimmung, als es ja nur darum ging, am vergangenen Freitag, ob Verhandlungen aufgenommen werden sollen, gab es - und auch darüber müssen wir noch mal sprechen - ungefähr 60 Neinstimmen in Ihrer Fraktion. Gehen Sie davon aus, dass diese Abgeordneten überzeugt werden, wenn es denn wirklich darum geht, einem 85-Milliarden-Paket noch mal zuzustimmen, oder rechnen Sie damit, dass eigentlich der Widerstand noch wachsen wird, auch in Ihrer Fraktion?
    Krichbaum: Das kommt jetzt in der Tat auf die Ergebnisse an, denn in der Tat haben ja diese 60 Abgeordneten sich schon mal grundsätzlich dagegen gewehrt, dass überhaupt Verhandlungen aufgenommen werden. Diese zu überzeugen, wird dann natürlich sehr, sehr schwierig werden. Aber letztlich geht es natürlich auch darum, dann Resultate zu liefern, die dann auch für den Rest überzeugend wirken werden, und da muss man in der Tat abwarten.
    Klein: Herr Krichbaum, beunruhigt Sie eigentlich als Europapolitiker - Sie sind Vorsitzender des zuständigen Ausschusses im Deutschen Bundestag -, beunruhigt es Sie, was man in den letzten Tagen vor allen Dingen gehört hat, seit der letzten Woche auch: Der sogenannte hässliche Deutsche ist zurück. Da ist ein Ton wahrgenommen worden, der eben an ungute Zeiten erinnert hat - die Griechen haben sich erpresst gefühlt. Das alles hat auch zu stimmungsmäßigen Verwerfungen in der Europäischen Union geführt. Wie besorgt sind Sie darüber?
    Krichbaum: Also wenn man selbst in Griechenland unterwegs ist, dann wird man im Übrigen das Gegenteil feststellen, mit Deutschen wird hier sehr, sehr freundlich umgegangen, das spüren auch die vielen Touristen im Land. Deswegen, ich darf und kann auch nur dazu ermuntern, das Land auch wirklich zu besuchen, dann wird man sehr schnell auch das feststellen, was ein gegenteiliger Eindruck in den Medien sein könnte, und deswegen, man sollte sich da wirklich nicht schon beeinflussen lassen.
    Auf der anderen Seite muss man natürlich auch schon sagen, dass hier Risse ersichtlich wurden, die dann natürlich auch wieder zu kitten sind.
    Klein: Wie sind die zu kitten, diese Risse?
    Krichbaum: Das glaube ich schon, wenn man in die lange Sicht hineingeht, da bin ich dann durchaus auch optimistisch. Aber wichtig ist natürlich auch wiederum, dass man auch in Athen begreift und kapiert, dass man noch einmal diese Reformen im eigenen Interesse durchführt und dann vielleicht auch mal dankbar sein müsste für die Hilfe, die angeboten wird, denn ohne diese Hilfe wäre das Land längst pleite und im Chaos.
    Klein: Herr Krichbaum, müssen auch möglicherweise deutsche Politiker und durchaus auch der Regierungskoalition angehörende deutsche Politiker ihren Ton und ihre Herangehensweise da überdenken?
    Krichbaum: Ich würde sagen, dass wir in der Vergangenheit sehr, sehr viel Solidarität gezeigt haben, gerade auch Deutschland und gerade auch die Europäische Union. Im Übrigen ist eine Rechnung damals von Herrn Varoufakis überhaupt nicht aufgegangen, nämlich hier die Eurogruppe zu splitten, die Eurogruppe auseinanderzutreiben. Es ist dann auch nicht aufgegangen, tatsächlich hier die Karte zu spielen, nur die Deutschen sind es, nach dem Motto. Ich glaube, da hat sich auch Varoufakis damals deutlich verrechnet.
    Klein: Heute Morgen zumindest ein Zwischenstand nach einer weiteren Parlamentsentscheidung in Athen, und das waren erste Einschätzungen. Dazu bei uns im Deutschlandfunk Gunther Krichbaum von der CDU, Vorsitzender vom Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Krichbaum!
    Krichbaum: Danke schön, Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.