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Griechenland-Krise
"Beidseitige Fehler in der Finanzdiplomatie"

Es sei überraschend, dass bei den Sachthemen keine Einigung zwischen der griechischen Regierung und den internationalen Kreditgebern zustande gekommen sei, sagte Jens Bastian im DLF. Die gescheiterten Gespräche seien viel mehr auf das fehlende Vertrauensverhältnis zurückzuführen, ergänzte der Wirtschaftswissenschaftler von der griechischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik.

30.06.2015
    Die griechische und die europäische Flagge
    Mehr Probleme beim Vertrauen, als bei den Sachfragen? (picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm)
    Mario Dobovisek: Die Regierenden in Athen mögen es ganz offensichtlich, mitten in der Nacht vor die Kameras zu treten und Neues zu verkünden. In der vergangenen war es Ministerpräsident Alexis Tsipras, der in einem Fernseh-Interview über zweierlei Dinge sprach: Die heute fällige Rate an den IWF will Athen nicht überweisen und im Falle eines Jas seines Volkes beim Referendum am Sonntag zu den Sparvorgaben der Geldgeber sei er nicht für alle Zeit Ministerpräsident. Welch eine Feststellung: Jeder politische Weg hat irgendwann ein Ende, fragt sich nur wann.
    Am Telefon in Athen begrüße ich Jens Bastian. Er ist Wirtschaftswissenschaftler bei der griechischen Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik. Guten Tag!
    Jens Bastian: Guten Tag.
    Dobovisek: Die Banken in Griechenland bleiben geschlossen. Morgen sollen erste Filialen wieder öffnen, vor allem für Rentner, von denen viele gar keine EC- oder Kreditkarten besitzen. Herr Bastian, haben Sie denn noch genug Bargeld in der Tasche?
    Bastian: Ja, in der Tat. Ich habe etwas vorgesorgt. Die Schließung der Banken und die Kapitalverkehrskontrollen kommen ja nicht überraschend. Wir konnten uns darauf einstellen. Es wurde in den vergangenen Wochen viel darüber spekuliert und am Ende lief es darauf hinaus, weil die Bankkunden als Sparer reagiert haben und ja erhebliche Beträge von ihren Konten abgehoben haben. Das konnte so nicht weitergehen.
    Den Banken gehen die 20-Euro-Scheine aus
    Dobovisek: Wie schwierig ist es denn jetzt an Geld zu kommen?
    Bastian: Es ist zunächst einmal einfach auch logistisch schwierig. Sie müssen einen Bankschalter finden, der noch liquide ist. Das ist nicht garantiert. Das andere ist, dass ich festgestellt habe, als ich gestern noch Geld abheben wollte, dass sehr schnell (denn die Mindestgrenze ist 60 Euro, und das wird in der Regel dann in drei 20-Euro-Scheinen ausgezahlt), dass den Banken jetzt die 20-Euro-Scheine ausgehen, und deswegen konnte ich gestern nur noch 50 Euro bekommen.
    Dobovisek: Wie ist da die Stimmung vor den Bankautomaten?
    Bastian: Die Stimmung ist eher eine, würde ich sagen, resignierte Gelassenheit. Wie gesagt, die Menschen konnten sich darauf einstellen. Die Rentner sind etwas mehr in Sorge, die Sie eben angesprochen haben, weil sie andere Schranken noch zu bewältigen haben, da sie keine EC-Karte haben. Aber insgesamt beobachte ich, dass die Bevölkerung vernünftig, diszipliniert reagiert und eigentlich noch nicht Zeichen von Panik ausgibt.
    Dobovisek: Tsipras knüpft indirekt seine politische Zukunft an den Ausgang des Referendums am Sonntag. Welchen Eindruck haben Sie? Werden die Griechen am Ende mit Ja stimmen?
    Bastian: Das ist heute nach dem Stand der Dinge schwer zu sagen. Ich glaube, es steht wirklich 50:50 auf der Kippe. Das kommt auch sehr stark darauf an, wer kann am meisten mobilisieren in den kommenden Tagen. Dieses Referendum kommt sehr kurzfristig. Viele Menschen hatten für das Wochenende andere Pläne, manche befinden sich im Urlaub oder auf Dienstreise. Das heißt, hier muss auch sehr schnell umgedacht, umgebucht werden, um vor Ort zu sein. Am Ende kommt es darauf an, wer kann seine Wähler/Wählerin am schnellsten, am ehesten an die Wahlurne bringen für dieses Referendum.
    Dobovisek: Sollten die Griechen aus Ihrer Sicht als Wirtschaftswissenschaftler Ja sagen, Herr Bastian?
    Bastian: Aus meiner Sicht geht es in der Tat um das größere Ganze, und das bedeutet, in der Euro-Zone und auch in der Europäischen Union bleiben. Deswegen ist in der Tat, obwohl ich kein Wahlbürger in Griechenland bin, meine Position, es ist eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Aber ich würde mit Ja stimmen.
    Dobovisek: Was passierte bei einem Nein?
    Bastian: Bei einem Nein ist zunächst einmal ziemlich klar, dass Premierminister Tsipras seine politische Zukunft mit dem Ausgang dieses Referendums verbunden hat. Das heißt, dass er dann im Grunde genommen ein Misstrauensvotum der Bevölkerung zu verdauen hätte. Das würde entweder dazu führen, dass er zurücktritt und Neuwahlen ausschreibt, oder dass wir möglicherweise eine Regierung der nationalen Einheit bekommen.
    Dobovisek: Wie viel Zeit bleibt denn Griechenland überhaupt noch? Die Hilfen der Europäischen Union sind ausgesetzt, jetzt gibt es einen neuen Vermittlungsversuch der EU aus Brüssel, aber das scheint ja nicht besonders von Erfolg gekrönt zu sein, wenn wir auf das vergangene halbe Jahr gucken. Wie viel Zeit bleibt Griechenland, bis die Geldautomaten tatsächlich leer sind?
    Bastian: Zunächst mal bleiben ihnen noch einige Stunden, denn heute Nacht läuft zum einen das europäische Rettungsprogramm aus, dann auch die Zahlung an den IWF, die höchst wahrscheinlich nicht geleistet werden wird, und dann geht es sehr schnell, insbesondere bei einem Nein-Ausgang des Referendums, denn dann ist es eine Frage der Zeit, bis die Bankschalter in der Tat keine Euros mehr ausgeben können, weil die EZB schlichtweg die Liquidität dann abdrehen muss.
    Dobovisek: Ab wann gilt Griechenland als Pleite, als nicht mehr zahlungsfähig, als in die Insolvenz gerutscht?
    Bastian: Griechenland hätte zunächst einmal einen Zahlungsausfall, der gleichkommt mit einer Insolvenz gegenüber dem IWF, morgen, wenn es nicht die Rate von 1,6 Milliarden Euro gezahlt hat. Das nächste Stichtagsdatum ist dann der 20. Juli, wenn eine noch höhere internationale Zahlungsobligation an die Europäische Zentralbank zu leisten ist in Höhe von über drei Milliarden Euro. Geschieht dies nicht, muss die EZB den Stecker ziehen.
    Dobovisek: Aber der Zahlungsausfall dem IWF gegenüber, der ja heute Abend auf sein Geld wartet, auf die 1,6 Milliarden Euro, würde ja nicht gleich bedeuten, dass Griechenland auch vor den Ratingagenturen als zahlungsunfähig gewertet würde. Wie passt das zusammen?
    Bonitätseinstufung nach unten beginnt
    Bastian: Nicht unbedingt, denn die Ratingagenturen haben seit gestern Abend angefangen zu reagieren, und zwei der drei international wichtigsten Ratingagenturen haben bereits damit begonnen, die Bonitätseinstufung Griechenlands nach unten zu setzen. Und hinzukommt dann auch noch, dass die Banken abgewertet werden. Das heißt, hier entsteht dann auch ein Prozess, der sehr schnell im Grunde genommen sich gegenseitig verstärkt: Keine Zahlungen, weitere Abwertungen des IWF und Griechenland geht das Geld aus, weil es keine Kredite der internationalen Kreditgeber bekommen kann.
    Dobovisek: Wo könnte dann das Geld herkommen?
    Bastian: Das ist nirgendwo erkennbar. Es gibt keinen weißen Ritter im Hintergrund, der sich freiwillig melden würde. Es muss eine europäische Lösung sein; sonst droht das, was Sie gesagt haben: die staatliche Insolvenz und im Anschluss daran auch der Zusammenbruch des Bankensystems.
    Moskau und China werden überschätzt
    Dobovisek: Nehmen wir das Bild doch noch mal auf mit dem weißen Ritter, das Sie gerade gezeichnet haben, Herr Bastian. Der weiße Ritter könnte ja aus Moskau oder China kommen. Da laufen zumindest Gespräche.
    Bastian: Das glaube ich nicht. Ich denke, dies wird überschätzt, vor allen Dingen mit Blick auf Russland. Der Kreditbedarf, den Griechenland in den kommenden Tagen und Wochen hat, ist dermaßen groß, vor allen Dingen in Fremdwährung, dass Russland überhaupt nicht in der Lage wäre, kurzfristig diese Gelder zu mobilisieren. Russland hat seine eigenen Schwierigkeiten und Russland ist übrigens mittlerweile der größte Kreditnehmer von China selber.
    Dobovisek: Ich habe es erwähnt: Die Europäische Union versucht offenbar noch einen letzten Vermittlungsversuch. Ist das auch aus Ihrer Sicht eine letzte, allerletzte Chance?
    Bastian: So hat es zumindest Kommissionspräsident Juncker gesagt, der sogar von Millisekunden sprach, aber dass er alles daran setzen würde. Ich denke, es laufen hinter den Kulissen in der Tat Telefonkonsultationen, Telefonkonferenzen. Hier muss weiter miteinander geredet werden. Von Verhandlungen würde ich nicht sprechen. Ich schließe nicht aus, dass es in den kommenden Tagen immer noch Bewegung geben kann. Ob damit allerdings das Referendum verhindert werden kann, wage ich zu bezweifeln.
    Dobovisek: Aber das Hilfspaket läuft aus. Das ist unwiederbringlich. Was soll also weitergehen?
    Bastian: Was weitergehen kann sind Alternativvorschläge, zunächst einmal deutlich zu machen, wieder an einen Runden Tisch zu kommen, um miteinander im Gespräch zu bleiben, um auch eventuell Szenarien, Plan B planen zu können, wie sieht es aus, je nachdem wie das Referendum ausgeht. Die Geschäftsgrundlage eines neuen Rettungsprogramms ist nicht mehr gegeben, da haben Sie recht. Da muss bei null angefangen werden.
    Dobovisek: Aber die Sparvorgaben würden trotzdem bestehen, weil ohne Vorgaben würde auch ein neues Programm sicherlich nicht auf den Weg gebracht werden. Wie weit liegen denn die Sparvorgaben der Geldgeber von den Zugeständnissen der Regierung noch auseinander?
    Fehlendes Vertrauensverhältnis war ausschlaggebend
    Bastian: Eigentlich lagen sie in der Substanz bei den Sachthemen Ende vergangener Woche so weit nicht auseinander, und mich hat es eigentlich überrascht, dass aus diesen zwei unterschiedlichen Papieren der griechischen Regierung und der internationalen Kreditgeber kein Kompromiss formuliert werden konnte. Man war in bestimmten Bereichen anderer Meinung, was Mehrwertsteuer angeht oder Unternehmensbesteuerung oder Rentenangelegenheiten, aber ich glaube, hinter den Sachthemen ging es eher darum, was ist eigentlich die Arbeitsgrundlage, das Vertrauensverhältnis, die Verlässlichkeit in dieser Angelegenheit, und hier muss ich feststellen, das hat wahrscheinlich den Ausschlag gegeben. Die vergangenen Monate waren keine vertrauensbildende Maßnahme zwischen allen Beteiligten.
    Dobovisek: Wer hat da die Prinzipien stärker geritten, die Geldgeber oder Athen?
    Bastian: Beide haben die Prinzipien geritten. Beide haben auch mittlerweile mit dem Finger auf den jeweils anderen geworfen und versuchen zu zeigen, wer den schwarzen Peter in der Hand hält. Hier sollten zu einem Zeitpunkt, wenn sich der Wind etwas gelegt hat, noch mal alle genau darüber überlegen, was ist eigentlich Finanzdiplomatie, wie geht man da miteinander um. Da sind Fehler auf allen Seiten gemacht worden und ich halte es jetzt gerade nicht für zielführend, Schuldzuweisungen fortzusetzen.
    Dobovisek: Sind dann Gespräche aus Ihrer Sicht zwischen Tsipras und den Geldgebern überhaupt noch möglich?
    Bastian: Das wird schwer sein einzuschätzen, ob die noch möglich sind. Wie gesagt, die Vertrauensgrundlage ist erheblich beschädigt. Aber vor allen Dingen geht es ja neben dem Vertrauen darum, ob dann eine griechische Regierung bei einer Vereinbarung diese auch tatsächlich zeitnah effektiv und transparent umsetzen kann. Auch das ist nicht gewährleistet.
    Dobovisek: Nicht nur kann, sondern auch will - der Wirtschaftswissenschaftler Jens Bastian in Athen. Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzung.
    Bastian: Ich bedanke mich bei Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.