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Griechenland-Krise
Einigung mit Athen noch möglich

In der Krise um Griechenland sei es nach wie vor möglich, eine Einigung mit Athen zu finden, sagte Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im DLF: Wenn auf beiden Seiten mehr Rationalität einzöge, sei dies realistisch - zudem läge eine Einigung im beiderseitigen Interesse.

Alexander Kritikos im Gespräch mit Martin Zagatta | 01.07.2015
    Die griechische und die europäische Flagge
    Die Pleite Griechenlands wird aus Sicht des Professors für Industrie- und Institutionenökonomie Alexander Kritikos nicht herbeigezwungen. (picture alliance/dpa/Wolfgang Kumm)
    Martin Zagatta: Griechenland hat die bis Mitternacht fällige IWF-Kreditrate von 1,5 Milliarden Euro nicht überwiesen und ist damit faktisch zahlungsunfähig. Das zweite Hilfsprogramm ist in der Nacht auch abgelaufen. Mit seinem Referendum hat Ministerpräsident Tsipras die Gläubiger so verärgert, dass sie die Verhandlungen de facto eingestellt haben, abgebrochen haben. Und auch im eigenen Land scheint die griechische Regierung jetzt an Vertrauen zu verlieren. Unsicherheit und Angst in Griechenland und wie kann, wie soll die EU jetzt reagieren, hart bleiben, keine weiteren Zugeständnisse machen und den Grexit, das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone vorantreiben, oder doch noch weiter verhandeln. Jetzt erst einmal aber zu Alexander Kritikos. Er ist Forschungsdirektor beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Kritikos.
    Alexander Kritikos: Schönen guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Herr Kritikos, Sie sind der Fachmann. Blicken Sie noch durch oder können Sie uns das erklären und sagen? Ist Griechenland denn jetzt pleite oder nicht?
    Kritikos: Da muss man wahrscheinlich unterscheiden zwischen dem juristischen und dem faktischen Herangehen. Aus juristischer Sicht wird man wahrscheinlich zu diesem Schluss kommen müssen. Wenn alle Vereinbarungen, die es gibt, die zum 30. Juni geendet haben insbesondere, wenn man das juristisch eins zu eins umsetzen würde, dann wäre Griechenland pleite, denn ohne den Rettungsschirm, der nun gestern ausgelaufen ist, dürfte die Europäische Zentralbank die sogenannten Rettungskredite nicht mehr aufrecht erhalten und ohne die Rettungskredite wären die griechischen Banken pleite und das würde einen langen Rattenschwanz nach sich ziehen an Pleiten. Auf der anderen Seite müsste man auch sagen, ohne den Rettungsschirm ist der griechische Staat nicht mehr zahlungsfähig. Aber wir wissen auch alle, dass ein solches Steckerziehen insbesondere die griechische Bevölkerung vehement treffen würde, und insofern ist es gut, dass man de facto diese Pleite nun nicht tatsächlich herbeizwingt, herbeiführt, indem man sehr schnelle Handlungen ausführt, insbesondere was die EZB angeht.
    Zagatta: Wann kommt denn Ihrer Ansicht nach diese Pleite, wenn das Referendum aus europäischer Sicht, aus EU-Sicht schiefgeht am Sonntag? Oder wann sehen Sie diesen Punkt gekommen?
    Kritikos: Ich sehe ihn auch dann noch nicht gekommen. Ich glaube, dass man in der Tat versuchen wird, diese Pleite so lange wie möglich herauszuziehen. Denn eine Pleite hieße letztlich auch, dass man Griechenland keinerlei Mittel mehr von europäischer Seite geben darf, und dann hat das mehr oder weniger irgendwann die Konsequenz, dass Griechenland eine eigene Währung entwickeln muss. Dafür ist man nicht vorbereitet und je länger eine solche Übergangsphase dauert, in der ein Land ohne eigene Währung dasteht, aber auch ohne funktionierenden Staatsapparat, der kein Geld hat, um zum Beispiel Löhne und Renten zu zahlen, desto chaotischer wird das. Insofern wird man diese Phase aus meiner Sicht vermeiden müssen und ich gehe eigentlich auch davon aus, dass das passiert.
    "Der griechische Staat ist nicht in der Lage, Renten und Löhne vollständig auszuzahlen"
    Zagatta: Sie kennen sich ja in Griechenland besonders gut aus. Gehen Sie denn davon aus, dass die griechische Regierung - das hat sie ja behauptet - in dieser Woche Renten noch zahlen kann? Ist dafür Geld vorhanden?
    Kritikos: Das was man hört, ist - ich glaube, es wurde ja auch in dem Bericht jetzt geäußert -, dass sie 120 Euro auszahlen können und dass dafür gesondert die Banken nur für die Auszahlung dieser Renten geöffnet werden und das bis Freitag vollzogen sein soll in einer alphabetischen Reihenfolge, von der aber leider niemand weiß. Man muss auch sagen, 120 Euro, das ist eine Art von Rentenkürzung, de facto Rentenkürzung, wie sie keinerlei Eurogruppe von der griechischen Regierung verlangen würde. Das heißt, hier geht man eigentlich schon mal in die ganz starke Sparmaßnahme, wenn man das aus diesem Blickwinkel einmal betrachten würde. Aber man muss einfach sagen, der griechische Staat ist nicht in der Lage, Renten und Löhne vollständig auszuzahlen. Das waren sie im letzten Monat auch schon nicht mehr.
    Zagatta: Sie gehen ja wahrscheinlich davon aus, dass es diese Notkredite zumindest in den nächsten Tagen noch weiter gibt. Betreibt die EZB da nicht irgendwie auch eine Art Insolvenzverschleppung?
    Kritikos: Ich gehe in der Tat davon aus, dass man zumindest die bestehenden Notkredite aufrecht erhält. Ich weiß, dass dieser Begriff der Insolvenzverschleppung zurzeit in aller Munde ist. Ich denke, man muss hier zwei Optionen sehen. Die eine Option ist ja nach wie vor, dass man noch zu einer Einigung kommt, und eine Einigung, das ist völlig klar, muss auch umfassen, wie die griechische Staatsschuld tragfähig gemacht werden kann. Wenn das möglich ist, könnte man rückblickend dann auch wieder sagen, es ist gar keine Insolvenzgefahr, die vorhanden ist. Aber das ist die Voraussetzung, dass man sich einigt, in welcher Form die griechischen Staatsschulden bedient werden und in welcher Form insbesondere Laufzeiten verlängert werden.
    Wenn man auf der anderen Seite sagt, es ist hoffnungslos, dass man in irgendeiner Form noch zu einer Einigung kommen kann, dann müsste man rückblickend diese Konsequenz ziehen und sagen, es ist Insolvenzverschleppung. Aber aus meiner Sicht ist es in beiderseitigem Interesse, nach wie vor eine Einigung zu finden, und insbesondere auch Schritte und Maßnahmen zu vereinbaren, die die griechische Staatsschuld tragfähig machen. Das ist nach wie vor möglich. Es ist nach wie vor realistisch, wenn auf beiden Seiten mehr Rationalität Einzug halten würde, als das in den vergangenen fünf Monaten der Fall war.
    Für Kritikos ist das Referendum auch ein Gradmesser
    Zagatta: Aus deutscher Sicht, aus Sicht der Bundesregierung würde man Ihnen entgegenhalten, man hat da schon sehr großzügige Angebote gemacht, hat ja monatelang verhandelt. Jetzt soll Ministerpräsident Tsipras auch heute schon wieder einen neuen Brief geschrieben haben. Nach ersten Stellungnahmen - auch der deutsche Finanzminister hat sich mittlerweile, glaube ich, so geäußert - heißt es, da steht eigentlich nicht viel Neues drin. Das seien schon wieder unannehmbare Bedingungen. Soll man sich, kann man sich auf dieses Spiel auf Zeit immer weiter einlassen? Macht das Sinn?
    Kritikos: Ich denke, ja. Denn man muss einfach auch eins sehen: Auch diese griechische Regierung ist keine Regierung, die ewig an der Macht sein wird. Insofern ist dieses Referendum, so schlecht es aufgestellt ist und so schlecht es konzipiert ist von der inhaltlichen Ausrichtung, durchaus auch ein Gradmesser. Ich glaube, wenn das Referendum mit einem Ja endet, sollte es denn noch zu diesem Referendum kommen, dann ist das auch ein klares Signal in die griechische Regierung und in die griechische Politik hinein.
    "Schmerzhafter Prozess der Katharsis"
    Zagatta: Aber gehen Sie denn davon aus? Wir haben gerade in dem Bericht ja gehört, laut Meinungsumfragen deutet alles auf ein Nein hin.
    Kritikos: Die Meinungsumfragen waren bei 46 Prozent für ein Nein, wenn ich das richtig verstanden habe. Soweit ich weiß, ist das noch eine Minderheit. Ich gehe nach wie vor davon aus, dass es ein Ja geben wird, und ich glaube auch, wenn es ein Ja geben wird, dass dann wir eine Veränderung der griechischen Politik in irgendeiner Form sehen werden - sei es Neuwahlen, sei es eine neue Zusammensetzung der Regierung, sei es ein Auseinanderfallen der Syriza-Fraktion. Da ist durchaus vieles möglich und man kann diesen Prozess, der jetzt wirklich sehr schmerzhaft ist für die griechische Bevölkerung, man kann ihn auch als einen schmerzhaften Prozess der Katharsis sehen, bei dem man wirklich auch von europäischer Seite oder von Gläubigerseite sagen muss, sie haben eine gesamteuropäische Verantwortung und die kann auch in dem Fall heißen, man muss diese Phase jetzt aushalten und nicht zu vorschnellen Schlüssen kommen, die in Richtung Grexit gehen.
    "Verantwortung all jener in Europa mit europäischer Perspektive"
    Zagatta: Aber vorschnell ist ja gut. Wenn es jetzt zu einem Ja käme, dann würde doch die griechische Regierung ganz schlecht dastehen, müsste unter Umständen Neuwahlen ausrufen, Tsipras hat einen Rücktritt angedeutet. Dann würde sich doch alles noch einmal unendlich wieder in die Länge ziehen.
    Kritikos: Das ist richtig. Unendlich würde ich es noch nicht nennen. Es werden dann sicherlich noch mal sechs Wochen vergehen, bis wir im Prinzip dann Neuwahlen haben, und genau diese sechs Wochen gilt es, dann zu überbrücken. Im Verhältnis dazu, dass dieses Land jetzt schon seit fünf Jahren in einem schwierigen Fahrwasser ist, sind dann sechs Wochen, denke ich, auch noch machbar. Und ich glaube noch mal, dass das einfach auch eine Verantwortung all jener in Europa ist, die tatsächlich eine europäische Perspektive haben und nicht eine reine Länderperspektive, in der sie deutsche, französische oder spanische Interessen vertreten.
    Zagatta: Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Herr Kritikos, herzlichen Dank für das Gespräch.
    Kritikos: Vielen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.