Freitag, 19. April 2024

Archiv

Griechenland-Krise
"Merkel rackert sich ab"

Was die Griechenland-Politik angeht, sind die Deutschen zerrissen, sagte der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, im DLF. Einerseits möchten sie den Griechen helfen, andererseits trauen sie den griechischen Politikern nicht. Der Griechenland-Kurs der Kanzlerin würde aber eindeutig gebilligt, sie gebe den Menschen Sicherheit.

Manfred Güllner im Gespräch mit Martin Zagatta | 18.07.2015
    Fallback Image
    "Wir warnen die Politik immer davor, sich nach Mehrheitsmeinungen zu richten", sagte FORSA-Geschäftsführer Manfred Güllner (SPD) im Interview mit dem Deutschlandfunk. (Deutschlandradio)
    Es gibt allerdings auch Umfragen, wonach die Mehrheit der Deutschen gegen weitere Hilfen für Griechenland ist. Dazu sagte Forsa-Geschäftsführer Güllner, er warne die Politik davor, sich nach Umfragen und Mehrheitsmeinungen zu richten. Die Menschen erwarteten von den Politikern Führungs- und Prägekraft.
    Historische Beispiele belegen laut Güllner, dass man gegen die Mehrheitsmeinung etwas durchsetzen kann und dennoch gewählt wird: Konrad Adenauers CDU beispielsweise sei 1957 mit absoluter Mehrheit gewählt worden, obwohl er die Wiederaufrüstung durchgesetzt habe, die zwei Drittel der Deutschen abgelehnt hätten. Güllner betonte, die SPD dagegen schaue heute häufig auf die Mehrheitsmeinung und verfolge etwa mit dem Mindestlohn eine Politik, die dieser entspräche - die Partei profitiere davon aber nicht, sagte Güllner, der selbst Mitglied der SPD ist. "Politik soll schon Umfragen zur Kenntnis nehmen", sagte Güllner, "aber man darf nicht die Entscheidungen danach ausrichten."
    Bundeskanzlerin Angela Merkel spreche offenbar die Grundbedürfnisse der Menschen an, so Güllner. "Sie gibt den Menschen das Gefühl, sie kümmert sich, sie rackert sich ab und sorgt dafür, dass die abstrakten Krisen nicht auf den Alltag der Menschen niederprasseln."

    Das Interview in voller Länge:
    Martin Zagatta: Die Revolution frisst ihre Kinder! In Athen hat Ministerpräsident Tsipras jetzt durchgegriffen und sich von Parteifreunden getrennt, diejenigen gefeuert, die seinen umstrittenen Kurs, die Zustimmung zu dem Sparpaket der Gläubiger, nicht mitmachen wollten.
    Der griechische Regierungschef Tsipras hat also ein Referendum gewonnen, bei dem eine klare Mehrheit seiner Landsleute auf seine Empfehlung hin Nein gesagt hat zu den Sparvorschlägen der Gläubiger, dann hat er selbst Ja gesagt zu einem noch härteren Reformkurs und den durch sein Parlament gebracht, was jetzt im Nachhinein auch zu den Entlassungen dort geführt hat.
    Und was macht der Deutsche Bundestag? Da hält Finanzminister Schäuble einen vorübergehenden Grexit anscheinend für den besten Weg, bringt aber ein Milliardenhilfsprogramm ein, an dem viele in der Union zweifeln. Beim Koalitionspartner SPD wird die Kritik an Schäuble laut, die Sozialdemokraten stellen sich dann bei der Abstimmung aber fast geschlossen hinter den Kurs des Finanzministers und die Linkspartei lehnt im Bundestag das Ausgehandelte ab, befürwortet in Athen aber die Zustimmung.
    Politik – paradox –, die wir uns jetzt von Manfred Güllner etwas erläutern lassen wollen, vom Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Guten Morgen, Herr Güllner!
    Manfred Güllner: Ja, schönen guten Morgen!
    "Glaubwürdigkeit der politischen Akteure ist auf einem Nullpunkt"
    Zagatta: Herr Güllner, wenn Politik so widersprüchlich, so paradox wird, verlieren dann die Politiker an Glaubwürdigkeit oder ist das den Wählern egal?
    Güllner: Zum einen ist die Glaubwürdigkeit der politischen Akteure ja ohnehin auf einem Nullpunkt, kann man fast sagen, das muss man generell feststellen. Und zum anderen, was die spezielle Frage Griechenland und Hilfen anbelangt, sind die Menschen ja auch quasi zerrissen. Sie mögen auf der einen Seite immer noch Griechenland und die Griechen, sie möchten den Menschen in Griechenland helfen, aber sie haben das Vertrauen zur Politik in Griechenland, auch zur jetzt amtierenden Regierung völlig verloren.
    Und deswegen sagen die einen, ja, wir müssen den Menschen helfen und deshalb ist das Hilfspaket ja vielleicht notwendig, und die anderen sagen, da wir nicht glauben, dass die griechische Politik das alles, was sie versprochen hat, auch einhält, sind wir eigentlich da sehr skeptisch. Also, in dem Punkt, bei dem Thema sind die Bürger mit sich selbst nicht einig und sozusagen gespalten.
    Zagatta: Sehr gespalten. Also, laut des jüngsten DeutschlandTrends der ARD ist ja eine knappe Mehrheit gegen ein weiteres Hilfspaket für Griechenland. Im ZDF-Politbarometer war eine Mehrheit gegen weitere Zugeständnisse an Athen. Den Bundestag schert das aber nicht, da wird mit einer ganz deutlichen Mehrheit das Gegenteil beschlossen. Sind solche Umfragen für die Katz?
    Güllner: Ich glaube, hier geht es darum, wie Politik sich orientieren soll oder an ... Und wir warnen ja immer, obwohl wir nun von Umfragen sozusagen leben, weil wir damit auch den Menschen eine Stimme geben, aber wir warnen die Politik immer davor, sich nach Mehrheitsmeinungen zu richten, das erwarten die Menschen ja auch nicht, sie erwarten auch eine gewisse Führungs- und Prägekraft. Und wenn die Politik glaubt, sie muss das und das aus ganz wohlerwogenen Gründen durchsetzen oder beschließen, dann muss die Politik das tun.
    "Man muss die Politik davor warnen, auf Umfragen zu schauen"
    Es gibt ja auch historische Beispiele, die belegen, dass man gegen die Mehrheitsmeinung etwas durchsetzen kann und dennoch gewählt wird. Denken Sie an Konrad Adenauer 1957, der damals zum ersten und einzigen Male die absolute Mehrheit für eine Partei gewonnen hat, auch die absolute Mehrheit der Stimmen, obwohl er die Wiederaufrüstung durchgesetzt hat, die zwei Drittel der Deutschen damals abgelehnt haben!
    Und umgekehrt denken Sie heute aktuell an die SPD, die immer nach Mehrheitsmeinungen schaut, auch Herr Gabriel sagt, ach, wenn 80 Prozent das wollen, können wir nicht dagegen sein! Und sie beschließt den Mindestlohn, sie beschließt die Rente mit 63, sie beschließt die Mietpreisbremse, alles Dinge, wo die Mehrheit der Menschen sagt, das ist in Ordnung, aber es ist für die Menschen nicht wichtig und deswegen profitiert die SPD davon nicht.
    Das heißt, man muss die Politik davor warnen, auf Umfragen zu schauen und zu sagen, weil die Mehrheit das will, müssen wir das tun. Es gibt ja noch ein gar nicht so lange zurückliegendes Beispiel, das ist die Energiewende. Hier hat die Kanzlerin mal auf Umfragen geschaut, hat gemeint, 80 Prozent des Volkes will das, also mache ich diese abrupte Kehrtwende. Das hat das Volk ihr aber übel genommen, hat gesagt, das ist opportunistisch, das ist wenig glaubhaft, und das war das einzige Mal, wo es eine Glaubwürdigkeitsdelle für Angela Merkel gab.
    "Man darf nicht die Entscheidungen nach Umfragen ausrichten"
    Zagatta: Also sollte die Politik gar nicht so sehr auf Umfragen, also auf Ihr Geschäft hören? Ich frage das auch deshalb, weil Sie, Ihr Institut ist ja zu dem Ergebnis gekommen in der jüngsten Umfrage, glaube ich, die Mehrheit hier in Deutschland sei mit Merkels Griechenland-Kurs zufrieden und vor allem vielen Anhängern der Grünen gefalle die Griechenland-Politik von Frau Merkel. Das ist von Experten ganz heftig kritisiert worden. Bleiben Sie bei diesen Aussagen oder war da die Fragestellung doch etwas verkürzt?
    Güllner: Nein. Noch mal ganz kurz, die Politik soll schon das, was wir ermitteln, zur Kenntnis nehmen. Aber wie gesagt, man darf nicht die Entscheidung danach ausrichten. Wir sind ja wie Lotsen, wir geben Hinweise auf Untiefen. Und da kann die Politik sehen, wann gibt es aber Dinge, wo man schon ein bisschen darüber nachdenken muss, ob hier sich Entwicklungen andeuten, auf die die Politik reagieren muss.
    Was die konkrete Umfrage anbelangt: Wir haben ja hier tatsächlich danach gefragt, ob das, was Merkel an dem konkreten Wochenende gemacht hat, von der Mehrheit der Menschen gebilligt wird, und das ist eindeutig gebilligt worden, da gibt es ja auch andere Zahlen. Und die Kritik kam ja nur von drei Leuten, wenn ich das richtig sehe. Das eine war Herr Niggemeier, nun, dem haben wir mal versucht ...
    Zagatta: Ein Blogger.
    Güllner: Ja, der schreibt ab und zu mal irgendwas ...
    Zagatta: Ja, der bekannteste Blogger in Deutschland.
    Güllner: Ja, was heißt Blogger? Wir müssen auch immer sehen, repräsentieren die Blogger nun auch 80 Millionen Menschen in Deutschland und über 60 Millionen Wahlberechtigte. Und wenn da Herr Niggemeier mal ein paar Leute lesen, ist das ja weiß Gott nicht die Mehrheit.
    Zagatta: Ja, aber Ihre Umfrage ist ja auch kritisiert worden von relativ renommierten Universitätsprofessoren.
    Güllner: Ja, das sind zwei Leute. Ich habe gerade einen davon, das Buch hier, das ist der Herr Diekmann, der ein Buch über empirische Sozialforschung geschrieben hat, was ich meinen Studenten immer nicht empfehle zu lesen, weil es ein merkwürdiges Buch ist.
    Der sagt beispielsweise, um 1.000 Leute zu befragen, braucht man drei Wochen. Stellen Sie sich mal vor, wir würden für Sie eine Umfrage machen und würden Ihnen in drei Wochen Ergebnisse liefern, dann ist das doch schon längst im Hut! Nein, das sind Leute, die ich natürlich kenne und wie gesagt ...
    "Sigmar Gabriel hat seinem Ruf als Zickzackkursmensch Rechnung getragen"
    Zagatta: Ja, Herr Güllner, in diese Fachdiskussion will ich mich auch gar nicht einmischen! Vielleicht wenn wir zu den Umfragen jetzt zu Griechenland da zurückkommen, da stellt sich ja heraus, dass Wolfgang Schäuble mit seinem Kurs bei den Wählern unheimlich gut ankommt, dass der in den Umfragen zugelegt hat.
    Was Sie uns da vorhin über die SPD gesagt haben, wenn man das berücksichtigt, ist es da wahlstrategisch von den Sozialdemokraten ein großer Fehler gewesen auch, dass sie Wolfgang Schäuble derart angreifen?
    Güllner: Was da konkret passiert, ist ja, dass der SPD-Vorsitzende seinem Ruf als Zickzackkursmensch hier Rechnung getragen hat und zunächst ja gesagt hat, es ist alles mit mir abgestimmt, dann gesagt hat, ich habe nur davon gehört, und schließlich sich dagegen ausgesprochen hat.
    Das ist ja das, was die Menschen nicht honorieren, wenn es solchen Zickzackkurs gibt. Man muss schon Kurs halten und das ist eben das, was ja das Bild der SPD auch weitgehend bestimmt, dass sie diesen Kurs in vielen Punkten ... zumindest ihr Vorsitzender diesen Kurs nicht hält.
    Zagatta: Hätte denn die SPD mit einem anderen Kurs da bessere Chancen? Also, nach Umfragen sind die Menschen ja doch, ist die Mehrheit ja doch von der Politik von Angela Merkel derart überzeugt, dass die Union noch zulegt. Oder anders gefragt: Hätte denn die SPD, jemand der Merkel überhaupt Paroli bieten könnte? Also, Steinbrück, der vielleicht einen klareren Kurs gehabt hätte, der ist ja auch gescheitert!
    Güllner: Steinbrück, gut, das ist ein anderes abendfüllendes Thema, aber ich glaube, er ist an sich selbst gescheitert durch seine Arroganz, durch seine merkwürdigen Sprüche, durch seine Geldgier, so haben die Leute ihn ja zumindest eingeschätzt. Das ist also ein schlechtes Beispiel, das war auch eine Entscheidung der SPD, die vielleicht zwangsläufig war, aber automatisch, das konnte man vorher wissen, die Wahlniederlage auch 2013 führt.
    "Frau Merkel spricht Grundbedürfnis der Menschen an"
    Nein, das ist das Problem der SPD, dass sie im Augenblick niemanden hat und Frau Merkel offenbar das Grundbedürfnis der Menschen hier anspricht, unabhängig von einzelnen Themen, ob sie in einem Thema mal nicht der Mehrheitsmeinung folgt! Sie gibt den Menschen Sicherheit, sie gibt den Menschen das Gefühl, sie kümmert sich, auch jetzt bei den Verhandlungen über Griechenland, sie rackert sich ab.
    Sie sorgt dafür, dass das, was da an abstrakten Krisen in der Welt passiert, auch in der Ukraine-Krise, in der Euro-Krise die ganze Zeit, und sie rackert sich ab und sorgt dafür, dass diese abstrakten Krisen nicht auf den Alltag der Menschen niederprasseln. Und das ist das, was die Menschen ihr honorieren, und deshalb hat sie so hohe Popularitätswerte, die durch nichts erschüttert werden.
    Zagatta: Manfred Güllner, der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Güllner, ich bedanke mich für Ihre Einschätzung!
    Güllner: Ja, bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.