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Griechenland-Krise
Oettinger sieht reale Chance auf Einigung

Nach Einschätzung von EU-Kommissar Günther Oettinger besteht eine reale Chance auf eine Einigung der Eurozone im Schuldenstreit mit Griechenland. Es gebe zwei gute Entwicklungen - den neuen Finanzminister und eine bisher ungekannte Einigkeit der griechischen Parteien, sagte er im DLF. Er betonte, die Kreditgeber seien flexibel.

Günther Oettinger im Gespräch mit Sandra Schulz | 07.07.2015
    Günther Oettinger (CDU): EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft
    Günther Oettinger (CDU): EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft (picture alliance/dpa/Lukas Schulze)
    Der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft sagte weiter, der neue griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos habe "nicht die gleichen Attitüden wie sein Vorgänger" Yanis Varoufakis. Zudem sei er bisher schon an den Verhandlungen beteiligt gewesen und kenne daher die Zahlen und die Forderungen. Zudem seien die Geldgeber sehr flexibel. "Wir machen keine Auflagen, wo reformiert, wo gespart werden soll." Lediglich die Dimension werde vorgegeben.
    "Wir setzen darauf, dass die Regierung Griechenlands heute mit vergleichbar wertvollen Reformvorschlägen nach Brüssel kommt." Dort treffen sich die Euro-Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs der Eurozone. "Ich glaube, dass es heute zu einer besseren Verhandlungsführung kommen kann als Freitag vor einer Woche." Oettinger sprach sich zudem gegen einen Schuldenschnitt aus. Das bringe in den nächsten Jahren gar nichts. Der EU-Kommissar betonte, das öffentliche Leben in Griechenland sei in Gefahr. Arzneimittel, Gas, Öl und sogar Lebensmittel würden knapp. Deshalb müsse den Menschen geholfen werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Festgefahren, zerrüttet, eskaliert - diese Worte haben sie in den vergangenen Wochen immer wieder gehört über das Verhältnis zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigern, der EU und dem IWF. Jetzt ist alles noch einmal komplizierter geworden seit dem griechischen Nein zum Sparkurs vom Wochenende.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Günther Oettinger, EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft. Guten Morgen.
    Günther Oettinger: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Herr Oettinger, Sie haben vorgeschlagen in der "Bild"-Zeitung, Haushaltsmittel nach Griechenland zu schaffen, die eigentlich für Naturkatastrophen reserviert sind. Ist das nicht ein bisschen schroff, die griechische Regierung mit einer Naturkatastrophe zu vergleichen?
    Oettinger: Es geht darum, dass das öffentliche Leben in Griechenland in Gefahr ist. Arzneimittel, Gas, Öl, sogar Lebensmittel werden knapp. Und deswegen setzen wir einmal darauf, dass die Regierung Griechenlands heute mit vergleichbar wertvollen Reformvorschlägen nach Brüssel kommt, und parallel sollten wir alles tun, dass die Bevölkerung in Griechenland nicht schweren Schaden leidet.
    Deswegen überlege ich kreativ, welche Programm-Mittel überhaupt in der Lage wären, frei gemacht werden könnten, um gegebenenfalls Schlimmeres, den Notstand zu verhindern.
    Schulz: Gibt es denn den Hauch einer Chance, dass es heute substanziell neue Vorschläge gibt, wie es ja immer heißt aus Athen?
    Oettinger: Die Eurozone hat ja zuletzt am Freitag vor einer Woche aufgezeigt, dass wir sehr flexibel sind. Das heißt, wir machen keine Auflagen, wo reformiert, wo gespart werden soll, sondern wir sagen nur die Dimension, und damit hat der neue Finanzminister alle Möglichkeiten zu entscheiden, welche Instrumente er anbieten will.
    Aber es muss um ein Mindestmaß an Reformen gehen. Es muss darum gehen, dass die Schuldentragfähigkeit Griechenlands nicht außer Reichweite gerät, denn ansonsten wäre es für Länder, die einen geringeren Lebenswert haben, die Slowakei, Lettland, Litauen, Estland, unzumutbar, ihren Bürgern zu erklären, dass sie garantieren sollen, dass sie Geld geben sollen für einen Lebensstandard, der höher ist als der ihres Landes.
    "Der Schuldenschnitt bringt in den nächsten Jahren gar nichts"
    Schulz: Herr Oettinger, es gibt Ökonomen, die sagen, Griechenland hat so viel gespart, es hat so erhebliche Einbußen bei den Renten, bei den Gehältern gegeben, dass, wenn jetzt noch weiter gespart würde, es dann möglicherweise zu sozialen Unruhen kommen würde.
    Selbst der IWF hat in der letzten Woche gesagt, dass es eigentlich kaum noch eine Perspektive gibt für Griechenland, ohne Schuldenschnitt wirtschaftlich auf die Füße zu kommen.
    Im bürgerlichen Recht gibt es den Grundsatz, eine unmögliche Leistung hat niemand zu erbringen. Wird genau das jetzt von Griechenland erwartet?
    Oettinger: Der Schuldenschnitt bringt in den nächsten Jahren gar nichts. Die Schuldendienstleistung ist gestreckt, die Zinsen sind ganz nach unten angepasst. Das heißt, im Augenblick sind die alten Schulden in keiner Form erdrückend. Aber wenn man jetzt über Schuldenschnitt spricht, ohne dass die Griechen aus eigener Kraft die nächsten Haushaltsjahre hinbekommen, und dafür Reformen machen, auch sparen müssen, aber auch die Steuerverwaltung organisieren müssen - es ist ja nicht hinnehmbar, dass Einkommensteuer, das Vermögenssteuer, dass Steuern, die im Gesetz stehen, im Grunde genommen nicht eingetrieben werden können -, wenn dies nicht geschieht, wenn nicht eine halbwegs handlungsfähige Verwaltung die Aufgaben aufnimmt, dann werden wir mit Schuldenschnitt A nichts erreichen und B dafür auch keine Mehrheit, keine Akzeptanz in anderen Ländern bekommen.
    Schulz: Jetzt ist die Situation in Griechenland ja so ernst, wie wohl in den letzten fünf Jahren nicht. Die Europäische Zentralbank, die hält die griechischen Banken noch liquide, hat gestern Abend auch wieder beschlossen, an den Notkrediten festzuhalten. Wie lange kann sie das noch tun?
    Oettinger: Die EZB geht einen klugen und nachvollziehbaren ausbalancierten Weg, indem sie jetzt nicht die Reißleine zieht, aber auch nicht die Notkredite Tag für Tag erhöht.
    Das kann sie mit Sicherheit so lange tun, solange eine reale Hoffnung besteht, dass eine Einigung in der Eurozone mit allen Mitgliedsstaaten und Griechenland möglich ist, und diese Hoffnung habe ich und deswegen kann die EZB auch ihre Maßnahmen verlängern.
    Schulz: Da sind wir eigentlich bei dem Punkt von eben, denn ich habe eigentlich nicht verstanden, worauf Sie diese Hoffnung gründen, jetzt nach diesem Nein bei dem Referendum vorgestern.
    Oettinger: Es gibt zwei gute Entwicklungen. Der neue Minister kennt sich aus, hat schon in den letzten Wochen die Verhandlungen auf Arbeitsebene geführt, er ist sachkundig. Und alle Parteien sind bereit, sich selbst, Griechenland aus dieser misslichen Lage zu bringen.
    Erstmals sind die Parteien in Griechenland nicht mehr uneinig, sondern kennen die schwierige Lage. Das heißt, ich glaube, es kann heute zu einer besseren Verhandlungsführung kommen als noch vor einer Woche.
    "Wir wollen Griechenland helfen"
    Schulz: Diese Zuversicht, die Sie jetzt äußern, wie passt die denn zu der Meinung, die Sie in der "Bild"-Zeitung geäußert haben, nämlich dass Sie eigentlich keine Bedenken haben, knapp gesagt, bei einem griechischen Ausscheiden aus der Eurozone?
    Oettinger: Wir wollen das Ausscheiden nicht. Aber die Sorge, dass es große Risiken birgt für die Eurozone, die habe ich nicht. Die Märkte waren in den letzten Tagen sehr stabil, obwohl die Gefahr, dass Griechenland sich nicht einigt mit der europäischen Währungszone, sehr real geworden sind. Und deswegen: Es geht nicht darum, dass wir jetzt unkalkulierbare Risiken in Kauf nehmen müssen.
    Wir wollen Griechenland helfen, wir sind Partner Griechenlands, Griechenland ist ein wichtiges Mitglied der Europäischen Union und der Eurozone. Aber man muss nicht jetzt Sorge vor den Märkten haben.
    Schulz: Ich habe mir die Zahlen noch mal angeschaut. Portugal hat eine Staatsverschuldung von 130 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt. In Italien sind es 132 Prozent. Es sind nach den Maastricht-Kriterien ja eigentlich 60 Prozent erlaubt. Das sind doch eigentlich auch Schuldenstände, die die Länder aus eigener Kraft sehr wahrscheinlich nicht werden abbauen können.
    Warum sollen Spekulanten nicht sich diesen Ländern als Nächstes zuwenden und auf deren Pleite wetten?
    Oettinger: Portugal hat einen Reformkurs hinter sich, setzt ihn fort, und ich traue Portugal zu, nach Irland das zweite Land zu werden, das aus eigener Kraft sich an den Märkten finanzieren kann. Und Italien: Renzi macht relativ viel. Er hat Reformen nicht nur angekündigt, sondern hat sie auch eingeleitet.
    Die Wirtschaft Italiens ist unvergleichbar stärker als die Griechenlands. Das heißt, wenn dort die Reformen des Arbeitsrechts, wenn dort die Reformen der Sozialkassen weiter vorankommen, dann werden die Märkte Vertrauen in die Wirtschaft Italiens behalten.
    Schulz: Aber trotz dieser Schulden - ich habe die Zahlen ja gerade noch mal zitiert -, trotz dieser wirtschaftlichen Entwicklung sind alleine die Schulden deutlich höher als das, was das Land erwirtschaftet. Sie verweisen auf die Reformen. Aber wird das wirklich ein Weg sein, von diesem Schuldenberg runterzukommen, und solange der Schuldenberg da ist, werden die Spekulanten da nicht angreifen können, frage ich?
    Oettinger: Indem wir zusammenstehen, indem ja auch Herr Draghi sagt, er wird alles tun, um einen Grexit zu verhindern, zahlen ja die Italiener und Portugiesen heute weit geringere Zinsen als vor fünf Jahren. Das heißt, der Schuldendienst fällt ihnen heute leichter durch die Maßnahmen, durch die entsprechenden Eigenkapitalmargen bei den Banken, durch die Bankenkontrollen, durch ESM und EFSF, durch unsere Hilfspakete. Das heißt, diese Länder sind heute im solidarischen europäischen Team gesichert und bezahlen für ihre Altschulden weit weniger als noch vor fünf Jahren.
    "Griechen müssen den Ernst der Lage erkennen"
    Schulz: Aber wenn Griechenland jetzt Pleite geht, dann wäre ja der Beweis angetreten, dass Mario Draghi doch nicht tut, whatever it takes, wie er gesagt hat.
    Oettinger: Das liegt jetzt an den Griechen. Sie wissen, dass wir helfen wollen, aber sie müssen A ehrliche Makler sein und dürfen uns nicht laufend in Athen wieder vorführen und das, was in Brüssel sondiert wird, in Griechenland schlecht machen, und da baue ich darauf, dass die Regierung jetzt mit getragen von allen anderen Parteien den Ernst der Lage erkannt hat.
    Schulz: Der Verhandlungsführer, der neue Finanzminister, der sitzt seit Wochen oder Monaten schon mit am Tisch. Warum sollte sich mit dem jetzt etwas ändern?
    Oettinger: Er hat nicht die gleichen Attitüden wie der Vorgänger. Er kennt die Zahlen, die Fakten, er kennt unsere Reformvorschläge und er weiß, dass wir flexibel sind und er Maßnahmen verändern kann. Sie müssen nur unterm Strich gleichwertig sein.
    Schulz: EU-Kommissar Günther Oettinger hier heute bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank.
    Oettinger: Einen guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.