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Griechenland-Krise
"Tsipras hat keine großen Fehler gemacht"

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, hat der EU schwere Versäumnisse in der Griechenland-Krise vorgeworfen. Das "Diktat der Troika" habe zu einer "destruktiven Politik geführt", sagte Riexinger im DLF. Die griechische Regierung habe von den internationalen Geldgebern nicht genügend Spielraum bekommen.

Bernd Riexinger im Gespräch mit Mario Dobovisek | 03.07.2015
    Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger.
    Der Parteivorsitzende der Linken, Bernd Riexinger. (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Als Beispiel nannte Riexinger die von Tsipras geplante Reichensteuer. Die Einführung dieser Steuer hätten EU, IWF und Europäische Zentralbank zum geplanten Zeitpunkt untersagt. "Das griechische Volk musste fünf Jahre lang extrem unter der Auflagenpolitik der Troika leiden." Das Wirtschaftswachstum sei in dieser Zeit drastisch geschrumpft, die Renten seien um 40 Prozent gesunken.
    Die griechische Regierung unterliege einem Diktat und dürfe nicht dem Wählerauftrag entsprechend handeln. "Das verbinden die Griechen mit dem Verlust ihrer nationalen Souveränität." Die derzeitige Krise ist aus Riexingers Sicht das Ergebnis einer "verheerenden Politik" der internationalen Institutionen.
    Jetzt müsse darüber diskutiert werden, wie Griechenland auf einen Wachstumskurs zurückkehren und Arbeitsplätze schaffen könne, erklärte der Linken-Politiker. Eines steht für den Parteichef fest: "Griechenland muss im Euro bleiben." Alles andere wäre eine noch größere Katastrophe - nicht nur für die Griechen, sondern auch für die deutschen Steuerzahler. Riexinger spricht sich deshalb auch dagegen aus, das für Sonntag angesetzte Referendum als Entscheidung für oder gegen den Euro auszulegen.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Schwestern im Geiste sind sie, die deutsche Linkspartei und Syriza in Griechenland. So war es wenig verwunderlich, dass deutsche Linkspolitiker im Januar kräftig Wahlkampf gemacht haben für das griechische Linksbündnis. So auch Linken-Chef Bernd Riexinger hier in einer Videobotschaft:
    O-Ton Bernd Riexinger: "Liebe Genossinnen und Genossen von Syriza, wir wünschen euch für den 25. 1. Viel Erfolg. Wir wünschen dem griechischen Volk, dass es diese unsägliche Politik abwählt und der einzigen Alternative, die für eine Politik der sozialen Gerechtigkeit, der Verteilungsgerechtigkeit steht, nämlich Syriza den Auftrag zum Regieren gibt."
    Dobovisek: Und der Auftrag kam. Syriza gewann die Wahl und die deutschen Linkspolitiker feierten den Wahlsieg, als wäre es ihr eigener gewesen. Syrizas Erfolg sei ein Hoffnungszeichen für einen Neuanfang in Europa, hieß es damals. Gut fünf Monate später steht Griechenland vor einem Scherbenhaufen. Bernd Riexinger, Vorsitzender der Linkspartei, ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Riexinger! Sind Sie enttäuscht von Alexis Tsipras und seiner Politik?
    Riexinger: Nein. Ich glaube nicht, dass Alexis Tsipras jetzt große Fehler gemacht hat. Sie haben sofort humanitäre Programme beschlossen. Sie haben versucht, die Griechen wieder in das Gesundheitssystem zurück zu bekommen. Sie haben versucht, eine Steuerbehörde aufzubauen, das Finanzsystem zu ordnen. Und sie haben leider den Spielraum, den sie gebraucht haben, von der Europäischen Union nicht bekommen.
    Unterschiedliche Aussagen zur Reichensteuer
    Dobovisek: Sie haben eine Finanzverwaltung versucht aufzubauen, haben Sie gesagt. Ein Vorschlag der Geldgeber war ja, der Troika, die Reichen stärker zur Kasse zu bitten. Das ist in den letzten fünf Monaten nicht passiert. Warum nicht?
    Riexinger: Da gibt es unterschiedliche Aussagen und Interpretationen, die meines Erachtens auch noch nicht aufgeklärt wurden. Wir hatten da im Kanzlergespräch mit Frau Merkel auch nachgefragt. Die griechische Regierung will ja die Vermögenden über 500.000 Euro mit einer Sondersteuer von zwölf Prozent belasten. Das wurde ihr von der Troika untersagt. Es wurde gesagt, ihr dürft erst die Reichen besteuern, wenn das Gesamtpaket abgeschlossen wird. Das wird bestritten von Herrn Schäuble und wird auch bestritten von Frau Merkel, aber die Papiere sprechen eine eindeutige Sprache. Die Troika wollte nicht, dass die griechische Regierung vorab Reiche und Vermögende stärker besteuert.
    Dobovisek: Das ist die eine Interpretation. Kommen wir zum zweiten großen Finanzbrocken: Das ist das Militär. Da sagen auch viele, man hätte längst was einsparen können. Gestern hat sich Tsipras demonstrativ im Verteidigungsministerium aufgebaut und gesagt, es werde keine Einsparungen beim Militär geben, beim Koalitionspartner nämlich, der das Verteidigungsministerium führ. Und das, obwohl Griechenland einer der wenigen NATO-Partner ist, der tatsächlich zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für das Militär ausgibt. Also auch ein Brocken, der nicht angepackt wurde. Warum nicht?
    Riexinger: Auch da gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Ich bin absolut der Meinung, dass die Militärkosten in Griechenland viel zu hoch sind und dringend gesenkt werden müssen.
    Dobovisek: Wie ist da Ihre Einschätzung: Warum macht Tsipras das nicht?
    Riexinger: Mein Kenntnisstand ist, dass die Troika zuerst 200 Millionen verlangt hat, die Rüstungsausgaben zu senken, und Syriza beziehungsweise Tsipras dann in ihrem eigenen Papier genau diese Summe vorgeschlagen hat. Dann hat die Troika nachgelegt und hat 400 Millionen Euro Senkung der Rüstungskosten beantragt und darauf hat bisher die griechische Regierung nicht reagiert. Wenn sie da nicht reagiert, ist das sicher ein Fehler, wobei man dazu sagen muss, in der Vergangenheit wurden Rüstungsgeschäfte insgesamt mit Deutschland zu einer der Bedingungen für die Kreditverträge gemacht.
    "Die Rüstungsausgaben Griechenlands müssen dringend gesenkt werden"
    Dobovisek: Na gut. Tsipras hätte ja gestern reagieren können. Hat er auch und hat gesagt, es wird keine Einsparungen geben. Was sagen Sie dazu?
    Riexinger: Ja, das habe ich ja gesagt. Das hielte ich für einen großen Fehler. Die Rüstungsausgaben erdrücken Griechenland und sie müssen dringend gesenkt werden.
    Dobovisek: In den letzten Tagen haben wir aus Griechenland immer wieder verstörende Worte gehört, die auch den Politikwissenschaftler Herfried Münkler bei uns im Deutschlandfunk-Interview irritiert haben. Hören wir, was er gesagt hat:
    O-Ton Herfried Münkler: "Man muss sich nur einmal überlegen, deutsche Politiker hätten Begriffe in den Mund genommen, wie die 'Ehre Griechenlands', die 'Knechtschaft des griechischen Volkes', die 'Demütigung'. Das wären bei uns Begrifflichkeiten gewesen, die knallrechts sind. Jenseits des Bündnisses mit den Rechtspopulisten sind die Linkspopulisten in Griechenland eigentlich eine nationalistische Partei."
    Dobovisek: Verhält sich, Herr Riexinger, Syriza wie eine nationalistische Partei?
    Riexinger: Nein. Das halte ich für eine völlig falsche Interpretation. Das griechische Volk musste jetzt fünf Jahre extrem leiden unter der Auflagenpolitik der Troika. Das Wirtschaftswachstum ist um 25 Prozent gesunken, die Jugendarbeitslosigkeit beträgt 60 Prozent. Ich weiß gar nicht, was bei uns los wäre, wenn mehr als jeder zweite Jugendliche erwerbslos wäre. Die Renten wurden um 40 Prozent gesenkt. Ob sich das unsere Rentner vorstellen könnten? Und das verbinden die Griechen mit dem Verlust ihrer eigenen politischen und nationalen Souveränität, weil die Regierungen dürfen bis heute nicht handeln, wie sie eigentlich von der Bevölkerung beauftragt werden, sondern sie unterliegen einem Diktat der Troika, das nachweislich zu einer destruktiven und falschen Politik geführt hat - im Übrigen nicht nur in Griechenland, sondern auch im Rest von Europa.
    "Wir sind mitverantwortlich für die Politik der Troika"
    Dobovisek: Ehre, Knechtschaft, Demütigung, jetzt ist sogar das Wort Krieg gefallen. Sind das Worte, die Sie als deutscher Linkspolitiker in den Mund nehmen würden?
    Riexinger: Nein. Ich würde die gar nicht in den Mund nehmen. Aber ich bin auch nicht in der Situation der Griechen, ein kleines Volk, das nicht mehr weiß, wie sie aus der Situation herauskommen sollen. In Deutschland haben wir eine völlig andere Situation. Wir sind aber mit dafür verantwortlich, dass die Troika eine solche Politik fährt, und die wird dazu führen, dass in Kürze Griechenland wieder vor dem Bankrott steht. Also wir müssen einfach darüber diskutieren, wie kann denn die Politik so geändert werden, dass Griechenland wieder auf einen Wachstumskurs zurückkehrt, dass es möglich ist, wieder neue Arbeitsplätze zu schaffen, dass es möglich ist, das Gesundheitssystem zu stabilisieren. Das wäre im Nutzen von Griechenland und würde aber im Übrigen auch Deutschland nutzen. Wir können kein Interesse daran haben, ...
    Dobovisek: Das Angebot lag ja bereits auf dem Tisch. 35 Milliarden Euro schwer waren die Hilfen, die angeboten worden sind bis einschließlich 2020, um die Wirtschaft zu stärken, das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln. Die Hilfen sind durchaus da!
    Riexinger: Nein. Das sind ja Hilfen, die die EU sowieso gewährt hätte, wo aber die Griechen mit eigenen Geldern aushelfen müssen. Sie müssen selber Gelder einbringen, damit dieses Geld fließt. Das haben sie aber nachweislich nicht, sondern sie müssen zuerst die Verhandlungen mit der EU zu Ende bringen. Diese Verhandlungen, das was zum Schluss als Ultimatum auf dem Tisch lag, hat aber weiterhin Mehrwertsteuererhöhungen, Rentenkürzungen, Einschränkungen des Tarifvertragsrechts der Gewerkschaften und viele andere Dinge beinhaltet. Das konnte die griechische Regierung beim besten Willen nicht annehmen, würde Die Linke im Übrigen in Deutschland auch nicht annehmen. Wir haben auch in Deutschland abgelehnt, dass die Renten gesenkt werden und die Löhne gesenkt werden und die Mehrwertsteuer erhöht wird.
    Dobovisek: Blicken wir auf das Referendum am Sonntag. Ob es überhaupt stattfindet, muss der Oberste Gerichtshof in Griechenland heute erst entscheiden, denn es gibt Klagen gegen die Kurzfristigkeit und gegen die komplizierte Fragestellung und die fehlende Information über das Referendum. Haben es Tsipras und seine Regierung mit diesem Referendum endgültig übertrieben?
    Riexinger: Na ja. Ich weiß nicht, ob man als Demokrat davon sprechen kann, dass eine Regierung es übertreibt, wenn sie die Entscheidung an ihr Volk gibt. Die Bevölkerung in Griechenland hat Syriza einen klaren Auftrag gegeben bei der Wahl am 25. Januar, nämlich aus der Austeritätsfalle auszubrechen, Griechenland wieder auf den Wachstumspfad zu bringen, endlich Schluss zu machen mit Rentensenkungen und der Zerschlagung des Gesundheitssystems und der humanitären Katastrophe.
    "Ein anderes Verhandlungsergebnis wäre möglich gewesen"
    Dobovisek: Aber niemand, Herr Riexinger, zieht das Referendum ja tatsächlich in Zweifel. Niemand zieht ja wirklich in Zweifel, dass es dieses Referendum gibt. Aber, Herr Riexinger, die Frage ist ja: Bereits vor Wochen, nämlich im Mai wurde darüber gesprochen, ob es ein Referendum geben könne, und da hat Finanzminister Schäuble ganz klar Sympathien für geäußert. Ist es einfach zu spät für dieses Referendum?
    Riexinger: Über was hätten die Griechen vor wenigen Wochen entscheiden sollen, wenn die Verhandlungen noch mitten im Gange waren? Tsipras konnte ja gar nichts anderes machen. Als zum Schluss ein Ultimatum dastand und Dijsselbloem und Tusk gesagt haben, Vogel friss oder stirb, entweder ihr nehmt das Paket an oder keines, da konnten sie praktisch die Entscheidung an ihr Volk weitergeben. Vorher hatten sie ja alles unternommen, um die Verhandlungen noch zu beeinflussen und mehr rauszuholen. Und ich bin überzeugt, es wäre bei etwas mehr Willen auch möglich gewesen, ein Verhandlungsergebnis zu erzielen, das die Griechen nicht in die Situation versetzt, bereits in einem halben Jahr wieder vor der Tür stehen zu müssen.
    Dobovisek: Warum wählt dann Alexis Tsipras und seine Regierung eine solch komplizierte Formulierung für die Frage, die im Grunde niemand mehr nachvollziehen kann? Wenn ich sie jetzt vorlesen würde, würde das, wir haben es vorhin gestoppt, genau 44 Sekunden dauern und es gibt viele englische Fachbegriffe darin, die so nicht nachvollziehbar sind für die Griechen. Was soll das bringen?
    Riexinger: Na ja. Ich glaube, die Griechen wissen genau, über was sie dort entscheiden. Letzten Endes, unabhängig von der Formulierung, geht es darum, wird der Regierung der Rücken gestärkt für ihren Kurs, mehr rauszuholen, eine bessere Lösung zu finden, oder akzeptieren die Griechinnen und Griechen das, was die Troika als letztes Angebot auf den Tisch gelegt hat. Das wissen alle Griechen, das verbreiten alle Medien. Ich glaube, niemand in der griechischen Bevölkerung ist im Zweifel, über was er da abstimmt. Ich muss aber zugeben, dass die Situation für die Griechen natürlich eine wirklich schwierige ist, weil jetzt auch Politiker von uns wie Herr Gabriel, Herr Dijsselbloem aus den Niederlanden versuchen, dieses Referendum als eine Entscheidung pro oder contra Euro auszugeben, und das ist es definitiv nicht.
    "Griechenland muss im Euro bleiben"
    Dobovisek: Aber Sie haben es ja gerade selber gesagt. Der Regierung den Rücken zu stärken, ist das Ziel des Referendums. Daran die Frage angeschlossen, Herr Riexinger, aus Sicht der deutschen Linkspartei: Was ist wichtiger, die starke Linkspartei, die Syriza in Griechenland, oder Griechenland im Euro?
    Riexinger: Wir vertreten da ganz klar, und das habe ich rauf und runter gesagt, dass Griechenland im Euro bleiben muss, dass alles andere eine viel größere Katastrophe noch bedeutet, im Übrigen auch für die Steuerzahler hierzulande die teuerste Lösung werden würde. Aber Tsipras hat selber auch immer wieder erklärt, sie wollen nicht aus dem Euro rausgehen, sondern sie wollen eine Chance bekommen, Griechenland auf den Weg des Wirtschaftswachstums zurückzuführen. Diese Chance sollten wir ihnen geben. Die Differenzen waren ja noch wenige hundert Millionen Euro. Also es geht offensichtlich ja nicht um das Geld, sondern es geht um das Prinzip der Auflagen, welche Auflagen verhängt man an die griechische Regierung. Und diese Auflagen haben sich in der Vergangenheit als sehr teuer erwiesen und aber auch als unzweckmäßig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.