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Griechenland-Krise
"Vorschläge sind ein großer Schritt nach vorne"

Die in Brüssel vorgelegten Reformvorschläge von der griechischen Regierung sind für Sven Giegold ein Fortschritt. Ein Scheitern der Verhandlungen wäre die schlechteste Lösung für Griechenland und Europa, sagte das Mitglied der Grünen Fraktion im Europaparlament im DLF.

Sven Giegold im Gespräch mit Jasper Barenberg | 23.06.2015
    Grünen-Politiker Sven Giegold bei der Präsentation der Europawahlkampagne im April 2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Jasper Barenberg: Wir sehen ein Land, das schlemmen möchte und sich von den anderen das Geld für die Feier geben lassen will. Zugegeben: So hart wie Litauens Präsidentin Dalia Grybauskait formulierten heute wenig öffentlich ihren wachsenden Unmut mit Athen. Doch auch Finanzminister Wolfgang Schäuble wirkte ungehalten, als er am Nachmittag in Brüssel eintraf, als er und die anderen Ressortchefs nur zwei Stunden brauchten, um festzustellen, dass sie nichts festzustellen haben, sodass es auch später dann für die versammelten Staats- und Regierungschefs nicht recht etwas zu entscheiden gab. Am Telefon ist Sven Giegold von Bündnis 90/Die Grünen, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europaparlaments. Schönen guten Abend, Herr Giegold.
    Sven Giegold: Ja, guten Abend.
    Barenberg: Hätten sich die Staats- und Regierungschefs diesen Sondergipfel sparen können?
    Giegold: Nun ja. Immerhin haben die beiden Treffen dafür gesorgt, dass jetzt ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, den zwar Herr Schäuble brüsk zurückgewiesen hat, der aber ansonsten ja deutlich Anerkennung gefunden hat. Insofern war die ganze Operation ja offensichtlich nicht sinnlos.
    Barenberg: Das heißt, ohne diesen Sondergipfel hätte es gar keine neuen Vorschläge von Alexis Tsipras und seinem Finanzminister Varoufakis gegeben?
    Giegold: Wissen Sie, "hätte, hätte, Fahrradkette", wie Herr Steinbrück sagte. Das weiß ich nicht. Fakt ist, die Vorschläge sind jetzt vorgelegt worden und die Vorschläge sind natürlich ein großer Schritt nach vorne. Ich habe zwar auch das Ganze nicht erhalten, wie das gesamte Parlament nicht offiziell darüber in Kenntnis gesetzt ist, aber die zentralen Seiten sind ja inzwischen faktisch veröffentlicht und daran sieht man, dass das eine ganze Orgie von Steuererhöhungen und auch Kürzungen ist. Das ist das, was die Institutionen gewollt haben.
    "Dass sich jetzt eine Vereinbarung abzeichnet, ist gut"
    Barenberg: Und insofern aus Ihrer Sicht eine gute Grundlage für einen Kompromiss, eine Vereinbarung auf den letzten Metern?
    Giegold: Ich sage Ihnen mal ganz ehrlich: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite: Das schlimmste Szenario wäre natürlich gewesen, dass die Verhandlungen gescheitert sind. Das wäre für Griechenland und für Europa die schlechteste Lösung gewesen. Dass sich jetzt eine Vereinbarung abzeichnet, ist gut. Gleichzeitig bedeuten nach den vorliegenden Zahlen die Liste der Steuererhöhungen und der Kürzungen in diesem Jahr einen Einschnitt von 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung und im nächsten Jahr von 2,87 Prozent. Wenn man mit Ansage in einer Wirtschaft, die stagniert, so stark kürzt oder Steuern erhöht, dann wird das einen neuen Einbruch der Wirtschaft erzeugen, mit dem Ergebnis natürlich, dass wiederum neue Maßnahmen notwendig sind, und man hat im Grunde aus der Austeritätsrunde beim letzten Mal nichts gelernt.
    Barenberg: Gibt es irgendeine Alternative aus Ihrer Sicht? Ich weiß, wir diskutieren schon lange darüber. Gibt es eine Alternative, abgesehen von solchen schmerzhaften Schritten, die nötig sind, um das Land zu konsolidieren?
    Giegold: Ich glaube, hinter all dem steht, dass gerade die Bundesregierung, aber auch manche andere Länder nicht den Steuerzahlern zumuten wollen, dass es ein drittes Paket geben muss. Wenn es kein drittes Paket gibt und man senkt die Ziele für den erwarteten Haushaltsüberschuss, diese Primärüberschussziele, dann muss man ja in die Tabelle irgendetwas hineinschreiben, womit das gedeckt werden soll. Folglich denkt man sich neue Steuererhöhungen und Einsparungen aus. Wenn ich die aber durchführe, bricht die Wirtschaft ein und ich habe am Schluss ein noch größeres Defizit, wodurch ich eigentlich nichts anderes erreicht habe, als das notwendige Hilfspaket einfach ein wenig länger zu schieben. Das kommt aber offensichtlich in der unverantwortlichen CDU/CSU-Bundestagsfraktion besser an und deshalb wird jetzt mit diesem Vorschlag alles ein Stück weiter auf die Bank geschoben, statt die notwendigen Entscheidungen zu treffen, dass Griechenland nicht raus ist. Ich will mit einem nicht missverstanden werden: Die griechische Regierung kann man auch nicht verteidigen, denn die haben die letzten Monate die wirklich sinnvollen Reformen in Griechenland nicht gemacht, anders als sie es versprochen haben.
    "Namen von Steuersündern von über einer Million Euro veröffentlichen"
    Barenberg: Und insofern haben die auch recht, die sagen, ohne zumindest die ernste Absicht, notwendige Reformen in Angriff zu nehmen, kann es keine weitere Solidarität der Partner in Europa geben?
    Giegold: Ja, das sehe ich genauso. Der Punkt ist nur, welche Reformen dann verlangt werden, und die Troika hat wieder Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhung und diverse andere Korrekturen gefordert, während das, worauf es in Griechenland wirklich ankommt, nämlich die Verwaltung zu modernisieren, das Steuereintreiben wirklich mal professionell zu gestalten und insbesondere den zum Teil superreichen Steuersündern auf die Schliche zu kommen, all das hat die Troika nicht gefordert.
    Ich mache mal einen ganz einfachen Vorschlag, der weder in Griechenland, noch bei der Troika beliebt ist. Warum veröffentlicht man nicht die circa 3.000 Namen von Steuersündern von über einer Million Euro mit einer zeitlichen Ansage und Europa verpflichtet sich, den griechischen Steuerbehörden zu helfen, deren Auslandsvermögen aufzuspüren? Da reden wir insgesamt über Steuerschulden von 60 Milliarden Euro. Das ist eine ganz andere Größenordnung als die zwei Milliarden, über die derzeit so gerungen wird. Solche Vorschläge werden aber nicht gemacht. Ist das nicht erstaunlich?
    "Mit der Brechstange wird alles nur noch schlimmer und noch teurer"
    Barenberg: Das mag sein, Herr Giegold. Sie haben aber auch erwähnt, dass es darum gehen muss, ein solides Steuersystem aufzubauen, eine solide Verwaltung. Ist nicht auch ein wichtiger Punkt in dieser ganzen Diskussion, dass solche Maßnahmen sehr viel Zeit, Jahre, viele Jahre brauchen werden und dass wir jetzt kurzfristige Maßnahmen brauchen und dass darin ein gewisses Problem liegt und man da kaum eine Alternative hat, als staatliche Ausgaben einzuschränken?
    Giegold: Ja, ja, schon. Das Problem ist bloß: Wenn ich in einer Wirtschaft, die kurzfristig an der Null-Linie kratzt oder nur knapp drüber war, wenn ich dort weitere Kürzungen oder Steuererhöhungen durchführe, dann habe ich nur ein Ergebnis: Die Wirtschaft bricht weiter ein und ich habe nachher noch mehr Schulden. Ich sage ja nicht, dass es irgendwem in Deutschland Freude machen soll, Griechenland weiteres Geld zu leihen. Selbstverständlich nicht. Aber es ist auch wahr, dass es mit der Brechstange alles nur noch schlimmer und noch teurer wird.
    Und das Gefühl, was häufig vorherrscht - ich kenne die Umfragen ja auch; 70 bis 80 Prozent, die sagen, kein Geld mehr an die Griechen. Wenn wir aber Griechenland Pleite gehen lassen, ist das auch für uns die teuerste Methode, unser Geld abzuschreiben, und dann werden wir von den 70, 80 Milliarden, die da im Feuer stehen, wirklich nur noch einen kleinen Bruchteil sehen.
    "Für Herrn Tsipras wird es sehr ungemütlich"
    Barenberg: Wir haben heute beobachtet, wie Athen die viel beschworene letzte Chance nicht genutzt hat und jetzt eine allerletzte Chance noch eingeräumt bekommt, mit dem zeitlichen Ablauf, den wir gerade mit unserer Korrespondentin diskutiert haben. Steht für Sie fest, dass die politische Entscheidung längst gefallen ist, Griechenland um jeden Preis im Euro zu halten?
    Giegold: Ehrlich gesagt, da bin ich mir nicht sicher, denn es ist ja eins klar: Dieses jetzige Programm war von der neuen griechischen Regierung nicht gewollt. Sie ist dort hineingezwungen worden und sie macht das jetzt, weil sie ansonsten eine Katastrophe in ihrem eigenen Land erleben würde. Es ist ja Unsinn zu glauben, dass es Griechenland besser geht außerhalb des Euros, sondern es wäre mit Sicherheit ein riesiges Chaos und zudem würden damit keine grundlegenden Strukturprobleme der griechischen Wirtschaft gelöst. Nein! Ich glaube, die griechische Regierung will damit zeigen, sie kämpft bis zum Letzten. Aber ich bin mir über eins sicher: Die Vorschläge sind jetzt faktisch öffentlich und ab morgen wird das in Griechenland für Herrn Tsipras sehr ungemütlich.
    Barenberg: ..., sagt der Europaparlamentarier Sven Giegold. Danke für das Gespräch heute Abend, Herr Giegold.
    Giegold: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.