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"Griechenland muss seine Hausaufgaben machen"

Jürgen Stark ist nicht gegen eine Beteiligung der Banken an der Rettung Griechenlands: Sie müsse jedoch freiwillig sein. Zudem müsse Griechenland seine Wirtschaft restrukturieren, um internationale Unterstützung zu bekommen.

Jürgen Stark im Gespräch mit Silvia Engels | 15.06.2011
    Silvia Engels: Nach ihrem Treffen in Brüssel äußerten sich gestern die Finanzminister der Euro-Gruppe nicht zu dem Thema, das derzeit Öffentlichkeit und Märkte bewegt: der Umgang mit der griechischen Schuldenkrise. Bis spätestens Mitte Juli braucht Athen frisches Geld, um die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Ein neues Hilfspaket der Europäer im Umfang von 90 bis 120 Milliarden Euro ist laut Medienberichten im Gespräch. Wie es sich zusammensetzt und ob auch private Gläubiger in Form von Forderungsverzicht oder Aufschub daran teilhaben, ist offen.
    Zugeschaltet ist uns Jürgen Stark, er ist Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, das ist das höchste Entscheidungsgremium bei der Europäischen Zentralbank. Guten Morgen, Herr Stark.

    Jürgen Stark: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Bundesfinanzminister Schäuble beharrt darauf, dass sich bei einer weiteren Hilfe für Griechenland auch die privaten Gläubiger, also die Banken, beteiligen. Die Europäische Zentralbank lehnt das ab, es sei denn, es geschehe vollkommen freiwillig. Warum?

    Stark: Richtig. Wir sind nicht gegen eine Einbeziehung der Banken, gegen eine Einbeziehung des Privatsektors in die Finanzierung Griechenlands, aber es muss völlig freiwillig sein, sonst hat dies negative Auswirkungen an den Finanzmärkten und negative Auswirkungen möglicherweise auch auf andere Länder. Dann geht es nicht mehr nur um Griechenland, sondern dann geht es auch um andere Länder, die im Augenblick ebenfalls unter einem EU- und IWF-Programm sind.

    Engels: Nun ist ja im Bundesfinanzministerium auch ein weiches Modell in der Diskussion, also eine Laufzeitverlängerung griechischer Staatsanleihen für sieben Jahre. Das könnte man so machen, dass die Banken sich verpflichten würden, auslaufende Staatspapiere durch neue griechische Papiere eben mit sieben Jahren Laufzeit zu ersetzen. Die Banken bekämen ihr Geld, aber sie bekämen es später. Was ist denn so schlimm daran?

    Stark: Also erstens geht es um die Freiwilligkeit und wir wissen mittlerweile von Marktreaktionen, dass jede Art von Zwang dazu führt, dass eine Neubewertung der griechischen Papiere vorgenommen wird und dass letztlich die Gefahr droht, dass eine partielle oder eine totale Zahlungsunfähigkeit Griechenlands drohen könnten. Man muss also über die nächsten beiden Schritte ganz klar im Bewusstsein haben, wenn es um dieses Instrument geht. Wie gesagt, wir sind nicht gegen eine Einbeziehung des Privatsektors als Europäische Zentralbank; es muss total freiwillig sein und es darf nicht dazu führen, dass es zu einer partiellen oder zu einer totalen Zahlungsunfähigkeit kommt.

    Engels: Aber, Herr Stark, was entgegnen Sie denn Bürgern, die einfordern, dass nun auch mal private Gläubiger für das Risiko ihrer Anlageentscheidung in Sachen Griechenland einstehen müssen?

    Stark: Ich habe für dieses Argument großes Verständnis, dass man eine Lastenteilung zwischen Steuerzahlern auf der einen Seite und dem Privatsektor auf der anderen Seite verlangt, aber noch einmal: Es geht um weiter reichende Wirkungen, die man im Blick haben muss, wenn man eine solche Idee lanciert und letztlich auch zu einer politischen Entscheidung führen will. Ganz klar ist, was auch der Bundesfinanzminister sagt: Es besteht zusätzlicher Handlungsbedarf. Dieser zusätzliche Handlungsbedarf besteht insbesondere auf griechischer Seite, denn dort müssen die Anpassungen stattfinden. Griechenland muss vieles mobilisieren, was es infolge eines überdehnten Staatssektors hat, heißt Privatisierung, Öffnung der Märkte, und über diese Spur, auf dieser Spur kann privates Kapital in das Land kommen.

    Engels: Herr Stark, dann schauen wir einmal auf die Rolle der Europäischen Zentralbank selbst. Im vergangenen Jahr hat ja die EZB durch den direkten Ankauf von Staatsanleihen Schulden und auch die Finanzierung gefährdeter Staaten teilweise mit übernommen. War das im Nachhinein betrachtet ein richtiger Schritt?

    Stark: Also zunächst einmal, wir finanzieren nicht die Mitgliedsstaaten des Währungsgebietes und es gibt keine Finanzierung öffentlicher Haushalte durch die EZB.

    Engels: Na aber indirekt schon über den Ankauf von Staatsanleihen.

    Stark: Wir würden damit gegen die Regeln des Maastricht-Vertrages verstoßen. Wir dürfen, auf dem sogenannten Sekundärmarkt, können wir Staatspapiere kaufen. Das hat aber nichts mit der Finanzierung von Staaten zu tun, sondern die Motivation ist rein geldpolitisch im Rahmen unseres Mandats begründet gewesen.

    Engels: War das richtig?

    Stark: Jetzt haben wir allerdings seit drei Monaten keine Käufe mehr getätigt und daraus können Sie selbst Ihre Schlussfolgerungen ziehen.

    Engels: Der Chef der Bundesbank, Jens Weidmann, hat gestern der EZB geraten, auch künftig keine weiteren Risiken durch Staatspapiere zu übernehmen. Das heißt, Sie sagen, die letzten drei Monate ist das nicht mehr geschehen; das gilt dann auch für die Zukunft?

    Stark: Das wird man sehen. Das Instrument ist nach wie vor verfügbar, aber wir haben keinen Anlass gesehen, in den letzten drei Monaten zu intervenieren. Und das, was Jens Weidmann gesagt hat, ich finde dies ist in Ordnung und ich bin in dieser Sache voll auf seiner Linie.

    Engels: Die EZB ist aber durch diesen direkten Anleihenankauf in der aktuellen Schuldenkrise ein direkt betroffener Akteur geworden. Haben Sie schon ausgerechnet, wie viel die EZB selbst verlieren würde, wenn es eine Staatsinsolvenz Griechenlands gäbe?

    Stark: Also zunächst einmal, wir sind nicht Partei, obwohl dies gelegentlich suggeriert wird. Wir haben ein klares Mandat, wir haben einen klaren Auftrag als Europäische Zentralbank, nämlich Preisstabilität zu sichern mittelfristig. Genau darauf konzentrieren wir uns und zusätzliche Maßnahmen, die wir ergriffen haben, sind alle im Rahmen dieses Mandats.
    Noch einmal: Wir sind nicht Partei in der gegenwärtigen Krise, und die Papiere, die wir nun gekauft haben, halten sich in einem sehr engen Rahmen. Wir haben diese Staatspapiere zu Marktpreisen gekauft. Zusätzlich haben wir diese Papiere mit Abschlägen in die Bilanz genommen. Wir betreiben ein sehr konservatives Risikomanagement. Und man darf eine Zentralbank nicht mit einer Geschäftsbank vergleichen, die bewusst hohe Risiken eingegangen ist. Unsere Risiken sind wirklich beherrschbar.

    Engels: Das heißt, selbst wenn es Zahlungsausfälle aus Griechenland gäbe, müssten Sie nicht die Länder, die sie tragen, wieder um neue Gelder bitten für die EZB?

    Stark: Also zunächst einmal, das ist ein Szenario, das wir nicht als das wahrscheinliche Szenario sehen, dass es zu Zahlungsausfällen kommt. Im Übrigen geht es nicht alleine um die EZB, es geht um das Euro-System, es geht um die EZB und die nationalen Zentralbanken des Euro-Gebietes. Der Blick wird verengt auf die EZB alleine, aber die Risiken sind entsprechend des Kapitalschlüssels, der bei der EZB die Risiken verteilt, innerhalb des gesamten Systems. Also wir müssen die aggregierte Bilanz der EZB oder des Euro-Systems in den Blick nehmen und nicht alleine auf die EZB fokussieren.

    Engels: Herr Stark, dann nehmen wir den Gesamtblick. Aber da warnen ja auch viele Ökonomen davor, dass (auch durch den Ankauf von möglicherweise nicht ganz so stabilen Anleihen durch die EZB) die Schuldenkrise in den Südländern langsam zu einer Schuldenkrise aller Euro-Länder werden könnte. Was halten Sie dem entgegen?

    Stark: Nun, wir haben es hier mit Fehlern der Vergangenheit zu tun, Fehler, dass die öffentlichen Haushalte nicht solide gefahren worden sind. Viele Länder haben über ihre Verhältnisse gelebt, das muss jetzt korrigiert werden. In der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise haben sich auch andere Länder sehr stark verschuldet, auch hier bedarf es jetzt der Korrektur. Es geht nicht allein um Griechenland, Irland oder Portugal, sondern es gilt insgesamt für alle fortgeschrittenen Volkswirtschaften und es betrifft nicht nur Europa, es betrifft auch die Vereinigten Staaten und andere fortgeschrittene Volkswirtschaften. Es bedarf dringend der Haushaltskonsolidierung, und insoweit ist das Problem Griechenland oder Irland oder Portugal nur ein kleiner Teil des Gesamtproblems.

    Engels: Droht denn im Fall, dass diese Länder (sei es auch nur infolge von Umschuldungen) nicht mehr den vollen Bereich ihrer Verpflichtungen erfüllen könnten, tatsächlich eine grundsätzliche Gefahr für den Euro, ein Auseinanderbrechen der Währungszone?

    Stark: Nun, Griechenland zum Beispiel trägt zur Wertschöpfung des gesamten Euro-Währungsgebietes in einer Größenordnung von 2,5 Prozent bei. Wenn ich Portugal und Irland dazu nehme, kommen wir auf sechs Prozent. Das heißt, es geht hier um sehr kleine Volkswirtschaften und hier besteht keine Gefahr, dass nun der Euro in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Das Schicksal der Wirtschafts- und Währungsunion, das Schicksal des Euro hängt nicht von diesen Ländern ab. Der Euro ist eine starke, ist eine stabile und solide und international anerkannte Währung.

    Engels: Wäre es denn anders herum betrachtet vielleicht ein sinnvollerer Weg für die von Ihnen angesprochenen betroffenen Länder Griechenland, Portugal, einen Ausstieg aus der Währungsunion zu erwägen? Nicht wenige Ökonomen raten das ja.

    Stark: Ja gut, wir sind in der Verantwortung als Europäische Zentralbank. Außenstehende, die sehr interessante Modelle diskutieren, können nicht die Verantwortung auch für die Konsequenzen der Diskussionen haben. Wir sind hier solide, haben eine klare Ausrichtung, wir haben die Stabilität des Währungsgebietes insgesamt gemeinsam mit den Regierungen zu sichern, und daran arbeiten wir.

    Engels: Einer, der Verantwortung trägt, ist auch der Bundesbankchef, und Jens Weidmann schrieb in der Süddeutschen Zeitung gestern: "Wenn sich ein Land entscheiden würde, die mit der Hilfe verbundenen Auflagen nicht zu erfüllen, entfiele die Basis für die Hilfe." Könnte sich die EZB im Fall Griechenland irgendwann dazu entscheiden, die Hilfen einzustellen, die Staatsinsolvenz Athens in Kauf zu nehmen?

    Stark: Nun, Griechenland muss seine Hausaufgaben machen. Deshalb, wie ich schon vorhin gesagt habe: Handlungsbedarf besteht auf der griechischen Seite, zusätzlich den Haushalt zu konsolidieren, die Privatisierung öffentlicher Unternehmen voranzutreiben und damit auch einen Beitrag zur Reduzierung der Schuldenlast zu leisten. Griechenland hat ein Programm. Wir reden im Augenblick darüber, wie und wann die nächste Tranche in diesem Programm ausgezahlt wird. Sie haben vorhin darauf hingewiesen, dass dies Anfang Juli stattfinden soll. Griechenland muss die Bedingungen erfüllen. Es geht ja nicht darum, dass nun fortgesetzt mittel-, langfristig ständig öffentliche Unterstützung für Griechenland gewährt wird. Griechenland muss wieder an die Märkte zurückkommen, dafür muss es die Bedingungen schaffen, das heißt seine Wirtschaft reformieren, seine Wirtschaftspolitik total umorientieren. Und nur solange wie Griechenland wirklich die Bedingungen erfüllt, seine Wirtschaft restrukturiert, seinen Haushalt konsolidiert, solange kann es auf Unterstützung durch die europäischen Partner und die internationale Gemeinschaft hoffen.

    Engels: Jürgen Stark, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank. Das ist das höchste Entscheidungsgremium bei der EZB. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Stark: Ich bedanke mich.


    Hintergrundinformationen:

    Am Dienstag hatte sich die EU nicht auf ein neues Rettungspaket für Griechenland einigen können - insbesondere eine Beteiligung privater Gläubiger entzweite die Finanzminister bei ihrem Sondertreffen. Griechenland steht mit über 300 Milliarden Euro Staatsdefizit am Rande des Bankrotts und muss einen rigiden Sparkurs fahren. Ein erstes Hilfspaket der EU zeigte nicht die erhoffte Wirkung.

    Vorausgegangen war am Dienstag eine Abstufung Griechenlands auf ein "CCC"-Rating durch die Ratingagentur Standard & Poor's. Es ist die zweitschlechteste Einstufung der Kreditwürdigkeit eines Landes. Schuldner in dieser Gruppe sind aus Sicht der Agentur in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten und können Zins- und Tilgungszahlungen nicht zuverlässig gewährleisten.