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Griechenland
Nach dem Referendum ist vor den Verhandlungen

Das Ergebnis ist eindeutig: 61 Prozent der Griechen lehnen die Sparvorschläge der Gläubiger ab. Mit ihnen, den Geldgebern, will Ministerpräsident Alexis Tsipras nun schnell eine Einigung finden. Doch europäische Spitzenpolitiker zeigen sich besorgt - und verhandlungsbereit.

05.07.2015
    Alexis Tsipras bei einer Ansprache
    Alexis Tsipras bleibt auch nach dem Referendum griechischer Premierminister (picture alliance/dpa/ANA-MPA/PRIME MINISTER OF GREECE)
    "Dieses Ergebnis ist sehr bedauerlich für die Zukunft Griechenlands", erklärte der der Chef der Eurogruppe, Jeroen Dijsselbloem, noch am Sonntagabend. Für eine Erholung der griechischen Wirtschaft seien "schwierige Maßnahmen und Reformen unvermeidbar". "Wir werden jetzt die Initiativen der griechischen Behörden abwarten", fügte der niederländische Finanzminister hinzu.
    Dem griechischen Innenministerium zufolge stimmten am Sonntag mehr als 61 Prozent der griechischen Wähler mit Nein. Die Regierung in Athen hatte dafür geworben. Tausende Griechen feierten den Sieg in Athen.
    ureJunge Griechinnen feiern in Athen mit Flaggen des Landes in der Hand.
    In Griechenland feiern die Reformgegner den Ausgang des Referendums. (picture-alliance / dpa / Yannis Kolesidis)
    Alexis Tsipras sah sich durch das Ergebnis in seiner Forderung nach einem Schuldenschnitt gestärkt. "Jetzt wird die griechische Schuldenlast auf den Verhandlungstisch kommen", sagte er am Sonntagabend in einer Fernsehansprache. Zugleich betonte er, dass der Ausgang des Referendums keinen Bruch Griechenlands mit Europa bedeute. Über den Nachrichtendienst Twitter nannte er das Votum der Griechen "historisch und tapfer".
    Die griechische Regierung erklärte außerdem, schnellstmöglich eine neue Initiative zur Suche nach einer Lösung mit den Geldgebern starten zu werden.
    Am Montag kommen die Finanz-Staatssekretäre der Euroländer zu einer Krisensitzung zusammen, wie aus EU-Quellen verlautete. Für Dienstagabend setzte EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone an. Zur Vorbereitung des Gipfels treffen sich am Dienstag die Euro-Finanzminister, wie Dijsselbloems Sprecher Michel Reijins mitteilte.
    Zuvor hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatschef François Hollande für ein solches Treffen stark gemacht. Das teilte ein Regierungssprecher in Berlin am Sonntagabend nach einem Telefongespräch der beiden Politiker mit. Bei dem Telefonat seien Merkel und Hollande sich einig gewesen, "dass das Votum der griechischen Bürger zu respektieren ist".
    Der griechische Regierungschef Tsipras telefonierte nach Angaben aus seiner Regierung rund eine Stunde nach Veröffentlichung der Teilergebnisse mit Hollande. Inhalt des Gesprächs sei die Wiederbelebung der Gespräche Athens mit den Geldgebern gewesen.
    Zugleich sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dem "Tagesspiegel" vom Montag, Verhandlungen über ein neues Hilfsprogramm seien für ihn "kaum noch vorstellbar". Tsipras habe seinem Volk eingeredet, mit einem Nein werde Griechenlands Verhandlungsposition gestärkt. Tatsächlich habe der Regierungschef aber "letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten", sagte Gabriel.
    Eine Frau in einem Wahllokal in Athen
    Eine Frau in einem Wahllokal in Athen (AFP / ANGELOS TZORTZINIS)
    Michelbach (CSU): Griechen besser außerhalb des Euro aufgehoben
    In ersten Reaktionen auf die Teilergebnisse des Referendums hatte Linken-Chef Riexinger dieses als Sieg für die Demokratie in Europa bezeichnet. "Die Griechen hätten "Nein zu weiterer Austerität gesagt, Nein zu einer falschen Medizin, die immer nur kränker macht", so Riexinger. Das Votum legitimiere die Verhandlungsführung von Ministerpräsident Alexis Tsipras, dessen Syriza-Bündnis als Schwesterpartei der Linken in Deutschland gilt.
    Der Unionsfinanzpolitiker Hans Michelbach meinte dagegen, er fürchte, "dass wir nach dieser Abstimmung in Griechenland zu sehr schwierigen Lösungen kommen". Es sei an der Regierung in Athen zu sagen, "wie Staat und Regierung wirklich stehen", sagte der Obmann der Union im Finanzausschuss des Bundestages im Deutschlandfunk. Der CSU-Politiker nun keine Grundlage mehr für Notfallkredite der Europäischen Zentralbank. Michelbachs Fraktionskollege Michael Fuchs (CDU) äußerte sein "tiefes Bedauern" über das Abstimmungsergebnis.
    Schulz warnt am Sonntag im DLF vor "Nein"
    Die Opposition und die europäischen Gläubiger aus EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) hatten vor der Abstimmung gewarnt, ein "Nein" werde alles noch schwieriger machen. Es könne ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro und sogar aus der Europäischen Union nach sich ziehen. In der Volksabstimmung ging es um das letzte - inzwischen hinfällige - Angebot der Geldgeber. Es war am 30. Juni abgelaufen.
    Im Deutschlandfunk warf der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, der griechischen Regierung eine Mentalität des Alles-oder-Nichts vor. Er sei von dieser "ideologischen" Haltung überrascht worden, sagte er im Interview der Woche des DLF.
    Tsipras hatte die Volksabstimmung zur Verärgerung der Geldgeber überraschend angesetzt. Die Verhandlungen gerieten danach in eine Sackgasse. Noch zur Verfügung stehen Hilfsgelder in Milliardenhöhe für das von der Staatspleite bedrohte Land verfielen am Dienstag. Ohne neue Hilfskredite droht ein schneller Zusammenbruch der Banken und der Staatsfinanzen.
    (tön/bor/kr)