Berliner Rede zur Poesie 2021

Ergebnis einer Isolation

56:33 Minuten
Porträt des Lyrikers und Schriftstellers Johannes Jansen an seinem Schreibtisch in Berlin.
Der 1966 in Ostberlin geborene Dichter ist kein Mann der Öffentlichkeit und daher vielen unbekannt. In den 80er-Jahren gehörte er zur aufsässigen Lyrik-Avantgarde der DDR. © imago / gezett
Von Johannes Jansen · 01.08.2021
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Keine Rede von Corona: Das C-Wort fällt in Johannes Jansens Berliner "Rede zur Poesie" nicht. Das "Ergebnis einer Isolation", so ihr Titel, kann beängstigend viele Gründe haben. Der Lyriker deutet sie in Prosagedichten an.
Johannes Jansen hielt die "Berliner Rede zur Poesie" auf dem Poesiefestival 2021 zurückhaltend, ohne große Gesten, über sein Manuskript gebeugt. Publikum war ohnehin nicht zugegen im Saal der Akademie der Künste. Doch wäre es trotz des Coronavirus zugelassen worden, Jansen hätte wohl nicht anders gesprochen.
Seine Rede bestand aus Prosagedichten, die ein vieldeutiges, schwebendes Netz zu spannen scheinen um existenzielle Erfahrungen – Erfahrungen, die nur auf diese Weise zur Sprache kommen können.

Aufsässige Lyrik-Avantgarde

Jansen war nach Oswald Egger, John Burnside, Elke Erb, Sergio Raimondi und Ann Carson der sechste Redner, der das sommerliche Poesiefestival eröffnete. Anders als seine Vorgänger ist der 1966 in Ost-Berlin geborene Dichter kein Mann der Öffentlichkeit und daher vielen unbekannt. In den 80er-Jahren gehörte er zur aufsässigen Lyrik-Avantgarde im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg, die von der Stasi unterwandert und ausspioniert wurde. Seine Gedichte erscheinen seit Jahren in kleinen und Kleinstverlagen, manchmal auch in der edition suhrkamp oder bei Kookbooks.

"So zieht man durch die verlassenen Dörfer seines Lebens."

In einer einfachen, zurückgenommenen Sprache spricht Jansen in der "Berliner Rede" über konkrete Dinge und metaphysische: über das leere Blatt, die Einsamkeit und die Depression, über Geldmangel und Wohnungsnot, das Heilige und die Krankheit, über Augenblicke des Glücks und die Liebe, dieses "Wagnis das hält".

"Die Depression ist profan. Die Geisterfinger im Saitenspiel machen den Wahn. Die sichtbar unbenennbare Liebe. Ein Wagnis das hält. Erstaunlich. Das Schweigen ist Schwelgen. Berührung besticht. So geht die Zeit ohne Druck, ohne Sucht. Nach dem flüchtigen Abschied die Sehnsucht die sich im Wiederbegegnen erfüllt. Die Jahre im Abseits haben nichts betrügen können. Einigkeit in der Unterscheidung die den Kontakt macht. Auf der Straße im Blitzlicht der Alltag, deutlich genug um zu taugen. Jedem sein Anteil. Der schöne Blick der Nachbarin der Treue beschwört. Treue zum endlich einigen Haushalt. Der kluge sich ordnende Organismus. Das Heilige gibt es wirklich. Es ist wirksam doch es bleibt anonym, denn es ist eben heilig. Wie ein Schleier liegt die banale Verzweiflung darüber. Sie ist dominant. Doch sie verschwindet auch wieder."

Das Heilige und ein Gläubiger

Ein mystisches Element klingt immer wieder an. Vom Heiligen ist die Rede, auch von einem Gläubigen in einer Welt, in der das Funktionieren gefragt ist. Der Gläubige gibt nicht auf, "weil er ja um die Ausweglosigkeit des Glaubens weiß. (…) Wer geht da weiter als bis zum nächsten Kühlregal (…)"? Johannes Jansen geht weiter, tastend und unnachgiebig, immer wieder.
(pla)

"Ergebnis einer Isolation. Auszüge" ist im Wallstein Verlag erschienen.

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