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Immendorff-Werkschau in München
Notizen über den Malerfürsten auf 100 losen Zetteln

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu interpretiert die Werke des Malerfürsten Jörg Immendorff. Auf 100 Zetteln hat er seine Sicht auf die Arbeiten des verstorbenen Künstlers festgehalten. Kein Essay, eine lose Blattsammlung. Die Texte zur Kunst präsentierte er am Rande der Immendorff-Ausstellung.

Von Tobias Krone | 29.11.2018
    Das Bild "Selbstporträt nach dem letzten Selbstporträt" von Jörg Immendorff im Haus der Kunst München
    Das Bild "Selbstporträt nach dem letzten Selbstporträt" von Jörg Immendorff im Haus der Kunst München (dpa / Cordula Dieckmann)
    "Ich wollte Künstler werden II"
    In der Halle des Hauses der Kunst liest Feridun Zaimoglu. Mit "Ich" meint der Schriftsteller an diesem Abend den Maler Jörg Immendorff. Das Publikum ist meterhoch umgeben von dessen Großformaten.

    "Um nicht kalte Ravioli aus der Dose zu futtern. Um nicht herzubeten, Not lehrt den jungen Affen tanzen, springen, trommeln ..."

    Dem Kunstgiganten der alten BRD eine Stimme zu geben – das war der Auftrag an Feridun Zaimoglu. Der Sohn türkischer Gastarbeiter, der in der Münchner Vorstadt aufwuchs, fühlt sich Immendorff nahe. Vor allem wegen seiner Unabhängigkeit. Erzählt er im Interview.

    "Ich mag sowohl in der Malerei als auch in der Literatur Frauen und Männer, die jetzt mal Schluss machen mit dem links-intellektuellen Kunst- und Lebensverständnis. Da kommen wir einfach nicht weiter. Deswegen würde ich sagen: Da ist einer gewesen, der schon gekämpft hat im Leben, der schon auch ungemütlich wurde. Und diese Ungemütlichkeit dann auch auf die Bilder bannte."
    Wüste Tage, kurze Nächte
    Der Titel seine Projekts "Ich, Immendorff" – klingt vermessen. Das findet auch Feridun Zaimoglu selbst. Aber er beschreibt tatsächlich die Herangehensweise an das Leben des Künstlers, der 2007 an einer Nervenkrankheit verstarb.
    "Es ist ja so, dass ich immer bei meinen Büchern mich zum Verschwinden bringe. Mir ging es nicht so gut dabei, das ist immer dabei. Wenn ich es ernst meine, dann dringt es ein, dann ist der Stoff spitz, dann muss ich das aufgeben, dass ich gesund so sieben bis acht Stunden schlafe, aufstehe, dass die Tage geordnet sind, nix da. Es sind wüste Tage, es sind kurze Nächte."

    Weniger die Bilder nacherzählen, als vielmehr den Produktionsprozess nachvollziehen. Das will Zaimoglu. Wie er es dabei schafft, sein eigenes Subjekt auszublenden, will der scheidende Kurator Ulrich Wilmes in der Diskussion danach wissen. Zaimoglu entgegnet, es sei sein Handwerk, den eigenen Erinnerungsnippes auszuklammern. Tatsächlich geht er an die Werkphasen Immendorffs mit der großen Empathie eines Zeitgenossen. Etwa an die Dada-Babygesichter aus Immendorffs Anfangsjahren.

    "Natürlich kenne ich auch die Verdummung. Also der deutsche Staat – genauso wie jeder andere Staat verdummt natürlich die Bürger. Das darf man ja bloß nicht vergessen. Auch damals gab es so Komfortzonenfuzzis, die gesagt haben: Unser Staat ist ganz anders, wir haben gelernt. – Naja, naja."
    Romantischer Mystiker und zeitloser Apokalyptiker
    Der postmigrantische Blickwinkel Zaimoglus blitzt in den 100 fliegenden Blättern immer wieder deutlich auf, während das Werk Immendorffs noch sehr stark auf Nationalismuskritik aus der Sicht eines 68ers geprägt ist. Für Zaimoglu enthält das Werk aber mehr als nur verblichener Zeitgeist, für ihn ist Immendorff sowohl romantischer Mystiker als auch zeitloser Apokalyptiker.

    "Da bei Immendorff bin ich da eingestiegen, weil ich schon denke, dass der noch gefährlich ist, einige seiner Bilder sind gefährlich. Seine Waldbilder. Nicht der schöne, rauschende, deutsche Wald, sondern… das ist schon furchterregend."

    "Ich pfeif im dunklen Wald. Mir ist gar deutsch zumut. – hört mein deutsches Lied, das ich pfeif."

    Auf seinen meterlangen Wimmelpanoramen erschuf Immendorff symbolschwangere Gelage sowohl der europäischen Intelligenz als auch der deutschen politischen Gegenwart. War das nicht anmaßend? Vom Ende her betrachtet nicht, sagt Feridun Zaimoglu.
    "Da ist ein Riesenbild, und da ist eben dieser Maler Immendorff, der sich hinstellt und dann das Bild Café Deutschland nennt und sich dann im Grunde genommen auch als Deutschlands Lautsprecher oder als derjenige darstellt, der sie alle erfasst. Alle Bilder Deutschlands. Naja, er hat sie ja auch erfasst. Es ist ja nicht so, dass er daneben lag."
    Der Gigant und sein Sprachrohr aus dem Jenseits. Ein Abend mit großer Geste.