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Griechenland
"Schuldenschnitt wäre zutiefst unfair"

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, will in der Sparpolitik nicht auf die Forderungen der neuen griechischen Regierung eingehen. Ein Schuldenschnitt oder eine Lockerung der Sparpolitik wären ein falsches Signal an andere Krisenländer. "Es gibt Verträge, und die gelten", sagte er im DLF.

Herbert Reul im Gespräch mit Gerd Breker | 27.01.2015
    Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, kommt am 26.05.2014 in Berlin zur Sitzung des CDU Präsidiums am Konrad-Adenauer Haus an.
    Herbert Reul (CDU), Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie im EU-Parlament (dpa / Michael Kappeler)
    Friedbert Meurer: Der strahlende Sieger der Parlamentswahl in Griechenland heißt Alexis Tsipras und seit gestern wissen wir, er geht eine Koalition mit einer Partei ein, die eigentlich am ganz anderen Ende des politischen Spektrums liegt. Das Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras arbeitet künftig zusammen mit den Rechtspopulisten, mit den Unabhängigen Griechen. Ideologisch trennen diese beiden Parteien eigentlich tiefe Gräben, aber bei einigen Themen, Schuldenschnitt zum Beispiel, ist man sich einig. Den lehnt die Europäische Union allerdings ab. Das war der Tenor gestern. Ansonsten hieß es, jetzt warten wir erst einmal ab, so schlimm dürfte es wohl nicht werden.
    Es sind insbesondere im Europaparlament und in Brüssel die Konservativen, die auf ihre Forderung pochen, Griechenland soll sich an seine Spar- und Reformzusagen halten, dann wird Europa solidarisch zu dem Land stehen. Das bedeutet natürlich im Umkehrschluss: Wenn Athen jetzt vom vermeintlichen Pfad der Tugend, der Austerität abweicht, dann wird der Geldhahn zugedreht. Mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul, gesprochen.
    Gerd Breker: Der Wahlausgang und die neue Regierung in Athen, eine Enttäuschung für den überzeugten Europäer Herbert Reul?
    Herbert Reul: Ach, was soll jetzt Enttäuschung oder nicht Enttäuschung? Die Entscheidung ist die Entscheidung der griechischen Bürger und die hat man zu akzeptieren.
    Breker: Die neuen Koalitionäre in Athen aus Linken und Rechtspopulisten sind sich eigentlich nur in der Ablehnung des Sparkurses und der Forderung nach einem Schuldenschnitt einig. Muss Europa neu verhandeln?
    Reul: Das glaube ich nicht. Es gibt Verhandlungsergebnisse, es gibt Verträge, und die gelten. So ist das im Leben. Und es kann ja nicht jede Regierung, die neu dran kommt, dann alles infrage stellen. Vom Verfahren kann das schon nicht gehen. Außerdem finde ich eine Koalition zwischen Linksextremen und Rechtspolitikern, die rechts außen stehen, schon einen ganz interessanten Vorgang.
    "Es kann doch nicht nach dem Motto gehen, wer schreit am lautesten"
    Breker: Das ist es ohne Zweifel. Aber es geht ja um Europa, Herr Reul. Was kann Europa anbieten, gar nichts, einfach die Griechen auflaufen lassen?
    Reul: Was sollen wir denn machen? Sollen wir sagen, es war alles falsch bisher, und stellen alles infrage? Oder sollen wir sagen, ihr müsst nicht mehr sparen, ihr könnt schön fröhlich weiter Geld ausgeben? Was hat das denn für ein Signal? Das Signal an Italien und Frankreich, nur um ein Beispiel mal zu nennen? Dann kann doch keiner mehr ernsthaft den Franzosen und den Italienern sagen, sie sollen auch sparen. Und was ist eigentlich mit den Spaniern, den Portugiesen, den Iren, die kräftig gespart haben, die sich angestrengt haben? Das ist doch zutiefst unfair auch. Es kann doch nicht nach dem Motto gehen, wer schreit am lautesten.
    Breker: Die Griechenland-Wahl, der Ausgang dieser Wahl und auch die neue Regierung sind ein Signal für Südeuropa. Man wird in Portugal, in Italien, in Spanien, irgendwie vielleicht auch in Frankreich den Wahlausgang zum Anlass nehmen, neu nachzudenken.
    Reul: Kann sein, kann auch nicht sein. Ich hoffe nicht, weil ich nicht weiß, wie das dann gelöst werden soll. Die Lösung kann ja nicht heißen, dass Länder, die ihre Haushaltsfragen nicht ordentlich geregelt haben, die zu viel Geld ausgegeben haben, auf Dauer - und zwar in Unmengen -, ohne dass sie irgendwas selber beisteuern müssen, einfach finanziell unterstützt werden, und deshalb gab es eine kluge Absprache. Die war ja Absprache. Das heißt, es haben ja alle zugestimmt, auch das griechische Parlament hat zugestimmt. Das heißt, es ist ja ein Vertrag zwischen mehreren Partnern. Da kann doch nicht einer einfach sagen, gilt nicht mehr.
    Breker: Nun hat der griechische Wähler neu entschieden, Herr Reul, und es stellt sich die Frage: Was nützt uns ein Europa, was nützt uns eine Euro-Zone, wenn die Menschen nicht wirklich mitgenommen werden. Und die Griechen haben gesagt, wir gehen nicht alles mit.
    Reul: Das ist eine berechtigte Frage. Wie kann man das, was richtig und vernünftig ist, auch so erklären, dass Leute mitgehen. Und da ist offensichtlich nicht alles bestens gelaufen, zumindest in Griechenland nicht. In Spanien und Portugal, schauen wir mal ab. In Irland hat es wunderbar funktioniert. Da bin ich einverstanden mit Ihnen. Ich bin auch einverstanden, dass in Griechenland hier Sachen gemacht worden sind, mit denen wir gar nichts zu tun haben. Dass man gespart hat und dass man insbesondere bei den unteren Bevölkerungsgruppen, bei den Schwächeren sehr extrem gespart hat und bestimmte, ich sage mal, Spitzenverdiener in der griechischen Gesellschaft unberührt zu lassen, das hat ja mit Europa nichts zu tun. Das war eine Entscheidung der griechischen Regierung. Das kann die neue Regierung ja fröhlich ändern, wenn sie möchte. Ich finde, da sind eine Menge Sachen, über die man noch reden kann: die Verkrustungen der Strukturen, auch, sage ich mal, im Grunde die Beziehungsgeflechte, die da zwischen den großen Parteien sind. Da mehr Lebendigkeit reinzubringen, das ist mit Sicherheit eine spannende Aufgabe. Aber die Verträge infrage zu stellen, halte ich für relativ schwierig. Ich wüsste auch nicht, wie man das auflösen kann.
    "Europa lernt aus diesen griechischen Vorgängen was"
    Breker: In der "Tageszeitung" des Vatikan, im "L'Osservatore Romano", wird der Wahlsieg des Bündnisses der Radikal-Linken in Griechenland als Chance für Europa gewertet. Morgen kann man lesen, der Wahlsieg in Griechenland könne zur Wiederentdeckung eines wirklichen Projekts Europa beitragen. Das sehen Sie anders?
    Reul: Ich bin gläubiger Katholik, aber auch die Vatikanzeitung hat nicht immer recht.
    Breker: Allerdings einigt diese Koalition, die sich da heute gebildet hat, eigentlich nur zwei Dinge: einmal die Ablehnung des Sparkurses und dann die Forderung nach einem Schuldenschnitt. Und darauf wird Europa nicht eingehen?
    Reul: Ich weiß nicht, wie man das machen soll. Das sehe ich im Moment nicht. Beim Einsparen - wir können doch nicht das zurücknehmen, was wir gemacht haben. Und beim Schuldenschnitt - das würde gar nicht viel bringen. Drei von den großen Finanzbeträgen, die da laufen, die sind bis 2020 ohne Tilgung. Das heißt, ein Schuldenschnitt bringt da gar nichts. Manchmal sind auch so Sachen im Vorschlag, die, wenn man sich die genauer anschaut, gar nicht effektiv sind oder wirkungsvoll sind. Aus jedem Problem lernt man was und Europa lernt mit Sicherheit auch aus diesen griechischen Vorgängen was. Das will ich hoffen. Aber es kann auch nicht sein, dass diejenigen, die einfach sagen, unsere Antwort ist, wir wollen weniger leisten, sparen, und wir wollen dafür aber das Geld auch in Zukunft bekommen. Das glaube ich nicht, dass das unter gleichwertigen Partnern funktioniert. Das nennt man übrigens unfair!
    Breker: Und Europa soll sich da nicht auf einen symbolischen Kompromiss einlassen?
    Reul: Symbolisch gibt es immer was. Das will ich auch nicht ausschließen. Aber Sie wollten doch mit mir nicht über Symbolik reden, sondern über das, was wirklich effektiv ist und wirksam ist.
    Meurer: Herbert Reul, der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, zum Wahlausgang in Griechenland. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.