Erziehung von Mädchen im Iran

Erst Fakultät, dann Familie

21:43 Minuten
Ein kleines Mädchen in roter Jacke, mit dunkler Brille und schwarzem Käppi sitzt auf einem Stuhl.
Berufswunsch Astronautin: Parvoneh ist sieben Jahre alt und lebt in Teheran. © Dominika Nooripur
Von Dominika Nooripur · 29.07.2021
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In der islamischen Republik sind Frauen noch längst nicht gleichberechtigt. Doch während früher die größte Sorge der Eltern war, die Tochter gut zu verheiraten, ist es heute genauso wichtig, ihr eine gute Ausbildung zu gewährleisten.
"Du wirst ganz rot, du strampelst so, mein Herz. Er spitzt die Lippen, als ob er sagen wollte – ich habe Hunger, gib mir Milch."
"Ich geb sie ihm."
Mahbubeh ist zwölf Jahre alt und sie strotzt vor Glück. Heute darf sie das erste Mal ihr kleines Brüderchen halten. Setoreh, die 35-jährige Hausfrau aus Teheran und Mutter von Mahbubeh, hat erst vor ein paar Tagen einen gesunden Jungen geboren. Und zwar nach einer langen Pause.
Ein Säugling in einem Bett.
Endlich ein Geschwisterchen: Arsin, der kleine Bruder von Mahbubeh.© Dominika Nooripur
Und obwohl männliche Nachkommen in vielen iranischen Familien immer noch eine besondere Stellung haben, beteuert Setoreh: Das späte Baby hätte sie vor allem Mahbubeh zu Liebe zur Welt gebracht.
"Ich und mein Mann dachten: Ein Kind - das ist genug. Ein Baby, bedeutet viel Arbeit, die ganze Erziehung usw. Und auch mein Alter, ich bin ja 35 Jahre alt - ich dachte oh, das wird schwierig. Aber meine Tochter fühlte sich wirklich sehr einsam. Immer war sie alleine, immer wenn sie kleine Kinder auf der Straße gesehen hat. Sie liebt kleine Kinder sehr. Und wegen ihr haben wir diese Entscheidung getroffen."

Die Geburt des Sohnes wird gefeiert

"Soll ich die Götterspeise in den Kühlschrank tun?"
Heute sind Gäste eingeladen bei Setoreh und ihrem Mann Dariusch, in die Dreizimmerwohnung im Westen der iranischen Hauptstadt, im Bezirk Tehransar. Es gibt Ghorme-Sabsi, einen Lammfleisch-Eintopf mit frischen Kräutern und Safranreis.
Die Geburt des Sohnes muss gefeiert werden. Mahbubeh hilft manchmal in der Küche mit, aber nur wenn sie es selbst möchte. Vor allem soll sie lernen. Setoreh, setzt auf Bildung und berufliche Karriere ihrer Tochter, am Besten in irgendeinem technischen Beruf.
"Wir haben viele weibliche Ingenieure im Iran. Eine Freundin von mir ist bei einem petrochemischen Unternehmen beschäftigt, sie ist Ingenieurin für Elektrotechnik. Sie spricht sehr gut Englisch und wurde prompt eingestellt. Wenn die Ausbildung stimmt, finden Frauen sofort Arbeit und zwar mit einem guten Gehalt."
Zwei verhüllte Frauen mit Mundschutz sitzen in einem Zimmer auf einem rosa Bett.
Setoreh und ihre Tochter, die 12-jährige Mahbubeh in den traditionellen Tschadors, die man heutzutage kaum noch auf den Teheraner Straßen trägt.© Dominika Nooripur
Die iranische Gesellschaft ist im Wandel. Und so ändert sich auch die Einstellung der Familien zu ihren Töchtern. Früher war die größte Sorge der Eltern, die Tochter gut zu verheiraten, vorzugsweise innerhalb der Familien.

Ruhani unterschrieb noch die UNESCO-Bildungsagenda

Auch heute noch sind im Iran Ehen mit Cousin oder Cousine normal. Doch vor allem in den großen Städten ist es mittlerweile genauso wichtig, den Töchtern eine gute Ausbildung zu gewährleisten.
Die iranische Regierung schien das erkannt zu haben. Sie hatte 2015 unter Präsident Hassan Ruhani die UNESCO-Bildungsagenda 2030 unterschrieben. Darin verpflichten sich die Unterzeichner unter anderem, den Zugang zu Bildung für alle Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht und Religion zu garantieren. Doch seit 2017 wird die UNESCO-Bildungsagenda im Iran nicht mehr umgesetzt.
Kathy Zarnegin ist Philosophin, Buchautorin und Lyrikerin, sie lebt in der Schweiz. Den Iran verließ sie schon als Teenager - 1979, im Jahr der Islamischen Revolution.
"Man hat Angst, denke ich, dass mit der Übernahme der Agenda westliche Werte über Bildung im Iran implementiert werden. Und tatsächlich sind diese Punkte mit der Gesetzgebung der Islamischen Republik nicht vereinbar. Frauen haben vielleicht auf privater Ebene Rechte, aber sie sind Bürgerinnen zweiter Klasse."

65 Prozent Studentinnen an den Universitäten

2012 führte die Regierung Ahmadinedschad Quoten für Frauen an Universitäten von maximal 50 Prozent ein. Betroffen davon waren vor allem mathematische und naturwissenschaftliche Studienfächer .
Die Vereinten Nationen kritisierten diesen Schritt. Von der Regierung Ruhani wurden diese Bestimmungen wieder aufgehoben, was zu einer Quote von 65 Prozent Studentinnen an den iranischen Universitäten geführt hat.
"Tatsache ist, dass die Debatte über die Feminisierung der Hochschulbildung im Iran seit längerer Zeit geführt wird. Jedenfalls man hat sich geeinigt, das war Rafsandschani, meine ich, der mit dem Argument die anderen überzeugte, dass gut ausgebildete Frauen wirtschaftlich zwar eine Quantité négligeable sind, dafür aber sozial eine wichtige Rolle spielen. Weil eine gut ausgebildete Mutter, in der Regel dafür sorgt, dass die Kinder gut ausgebildet sind."
Ein Mädchen kniet auf einem Teppich vor einem niedrigen Holztisch auf dem Früchte stehen und der von Sofas umgeben ist.
Mahbubeh deckt den Teetisch. Sie hilft aber nur dann, wenn alle Hausaufgaben erledigt sind.© Dominika Nooripur
Mahbubeh erinnert heute an einen kleinen Hippie mit den roten Blumen im Haar, der schwarzen Schlaghose und der Bluse mit flattrigen Ärmeln. Das schlanke Mädchen, hat immer ein Buch in der Hand und will hoch hinaus: eine Ingenieurin werden, wie ihre Mutter es sich wünscht? Das wäre ihr zu gewöhnlich.
"Ich will Astronautin werden."
"Wow!"
"Sie liest die ganze Zeit darüber. Sie kennt die Namen aller berühmten Astronauten."
"Ich hoffe, das wird möglich sein. Was meinst denn du dazu, dass deine Tochter so fortschrittlich ist?"
"Ich hoffe, dass sie es schafft. Aber ich weiß nicht, ob eine Frau im Iran so etwas machen darf."
"Pilotinnen gibt es hier doch auch."
"Ja, Pilotinnen gibt es, einige davon, sie fliegen Linienflüge. Manchmal sind sowohl Pilot als auch Co-Pilot Frauen. Pilotin ist schon normaler, aber Astronautin, das wird schwierig."

Vor der Heirat wird unbedingt studiert

Ob Mahbubeh ihren ungewöhnlichen Traum verwirklichen kann, steht noch in den Sternen. Und obwohl Setoreh skeptisch ist, was die Berufswahl ihrer Tochter betrifft, soll Mahbubeh auf jeden Fall studieren, bevor sie heiratet. Darauf besteht ihre Mutter.
Die kleine, rundliche, aber sehr energische Frau mit breitem, rotwangigem Gesicht unterbricht kurz das Schnippeln der Möhren und wird ernst. Ihr selbst, der fünften Tochter eines Hafenarbeiters aus dem Süden des Iran, blieb ein Studium verwehrt.
"Ist es für dich wichtiger, dass sie an die Uni geht, als dass sie heiratet?"
"Ja. Zuerst die Universität."

"Das heißt, sie soll erst mit 35 heiraten?"
"Auf jeden Fall mit über 30, mit 35 wäre zu spät für eine Schwangerschaft."

"Ah, damit sie es noch mit dem Kind schafft. Mahbubeh, wenn du groß bist, willst du dann heiraten?"
"Ja. Es ist nötig, finde ich. Jeder sollte für die Fortbestand der Familie sorgen."
Mahbubeh ist mit ihren zwölf Jahren ein pflichtbewusster und bodenständiger Teenager. Worauf sie auf jeden Fall in ihrer zukünftigen Ehe bestehen würde, sind getrennte Kassen. Das weiß sie schon jetzt.
"Getrennt ist doch viel besser. Ich will doch unabhängig sein."

Der Drang, eine Ausbildung zu machen

Laut der iranischen Philosophin Kathy Zarnegin wissen die Frauen im Iran ganz genau, dass sie in einem Land leben in dem sie von den Männern abhängig sind. Deshalb ist ihr Drang, eine Ausbildung zu machen, besonders groß.
"Wenn sie einen Reisepass wollen, wenn sie ins Ausland reisen wollen, brauchen sie die schriftliche Erlaubnis eines Mannes. Wenn der Mann das Gefühl haben sollte, dass die berufliche Tätigkeit seiner Frau mit den Familienwerten nicht vereinbar ist, darf er ihr verbieten, ihren Beruf auszuüben."
Mehrere Frauen mit Mundschutz laufen eine Fußgängerzone entlang.
Die iranische Gesellschaft und das Selbstverständnis der Frauen im Iran wandelt sich - eine Einkaufsstraße im Osten Teherans.© Dominika Nooripur
Am liebsten würde Setoreh ihre Tochter zum Studium ins Ausland schicken. Auch wenn absehbar ist, dass sie wahrscheinlich nie in den Iran zurückkehren würde. Außerdem muß man sich so eine Reise auch leisten können. Dazu kommen bürokratische Hindernisse wie Visum und Einladung. Mahbubeh - mit ihrer erwachsenen Art - sieht das eher pragmatisch.
"Der Iran ist gut, aber es wäre auch toll, ins Ausland zu gehen. Dort gibt es mehr Möglichkeiten. Man ist ungezwungener. Hier gibt es Vorschriften, dort nicht."

Bessere Beziehungen zu anderen Ländern wären gut

"Die Regierungspolitik ist… Es wäre besser, wenn die Beziehungen zu anderen Ländern besser wären, so dass alle in andere Länder reisen könnten und alle zu uns kommen könnten. So würde sich das Land viel schneller entwickeln, die Arbeitslosigkeit wäre geringer. Vieles wäre besser", sagt ihre Mutter.
Doch irgendwo gibt es auch für die freidenkende, liberale Setoreh eine Grenze: Sie möchte nicht, dass Mahbubeh vor der Hochzeit mit einem Mann zusammenlebt. Das würde zu weit gehen und gegen iranische Moral und Sitte verstoßen, findet sie. Auch wenn es in ihrer eigenen Familie schon vorgekommen ist, stellt sie gleichzeitig besorgt fest, seufzt und gießt den kochenden, dampfenden Reis etwas zu eilig ab.
"Ich möchte nicht, dass meine Tochter das tut. Aber was sie letztendlich tut, das weiß ich nicht."

Corona macht gemischte Klassen möglich

Etwa 20 Kilometer weiter nördlich werden die Straßen breiter und die Luft wird klarer. In dem Villenviertel des reichen Bezirks Tadschrisch, lebt die siebenjährige Parvoneh mit ihren Eltern.
Das hübsche Mädchen mit den schwarzen Zöpfen ist außer sich vor Freude. Ihr Unterricht, der wegen Corona online abgehalten wird, fängt gleich an. Gäbe es nicht Covid-19 im Iran, würde sie jetzt in einer Schulklasse sitzen, ein obligatorisches Kopftuch auf dem Kopf, im Raum nur Mädchen und eine weibliche Lehrkraft.
Ein kleines Mädchen mit zwei dunklen Zöpfen liegt auf einem Teppich und zeichnet einen Vogel.
Parvoneh beim Zeichnen: Die Mutter gab für die Erziehung ihrer Tochter den Job auf.© Dominika Nooripur
Doch da Parvoneh in eine private Klasse geht, sind auch Jungs dabei. Corona macht es paradoxerweise möglich.
Im Präsenzunterricht wäre eine gemischte Klasse undenkbar. Mädchen und Jungen lernen im Iran streng getrennt. Später im Studium besuchen sie zwar die gleichen Vorlesungen, in den gleichen Vorlesungs- und Seminarräumen. Aber auch dort sitzen sie nicht nebeneinander. Erst danach auf dem Campus wuseln dann alle durcheinander.
Parvonehs Mutter, die 42-jährige Sarah, gepflegt und in einem knielangen, eleganten Designerkleid, ist Akademikerin und Übersetzerin. Mit der Geburt ihrer Tochter hat sie ihren Beruf an den Nagel gehängt um sich voll auf die Erziehung zu konzentrieren.
Parvoneh soll nicht nur exzellent Englisch sprechen können. Sie soll gleichzeitig lernen, dass auch sie eine berufliche Karriere anstreben kann. Alle Rechte, die den Männern zustehen, gelten auch für ihr Mädchen – so die Mutter. Heute liest sie vor. Es geht um berühmte Frauen in der Weltgeschichte: Schriftstellerinnen, Präsidentinnen, Freiheitskämpferinnen, und um eine kolumbianische Spionin.
"Die Spionin magst du also?"
"Ja, sie macht einen guten Job."

Der Traum vom Auswandern wird weitergeträumt

Die Familie wollte eigentlich schon vor zwei Jahren auswandern. Sie erkundigten sich nach den Möglichkeiten in Europa, den USA und Kanada, wo Sarahs Cousine lebt. Der Ausbruch der Pandemie machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Doch der Traum vom Auswandern wird weitergeträumt.
Und Sarah arbeitet weiter an ihrem Ziel, Parvoneh eine vielfältige Ausbildung zu ermöglichen, damit sie auch in Europa oder Amerika bestehen könnte. Heute hat das Mädchen ein telefonisches Vorstellungsgespräch. Sie möchte in die Klasse eines angesagten Englischlehrers. Es steht viel auf dem Spiel – nur wenige Kinder werden aufgenommen. Man sieht Parvoneh an, dass sie Vorstellungsgespräche gewöhnt ist. Sie sitzt bequem auf dem Ehebett ihrer Eltern, die Beine übereinander geschlagen, selbstbewusst und ernst.
"Kannst du mir sagen, wo du lebst?"
"Ich lebe im Iran."
"Kannst du mir sagen, was dein Lieblingsspiel ist?"
"Mein Lieblingsspiel ist Mortal Kombat."
"Ok, wow, Mortal Kombat. Gut, wieso magst du Mortal Kombat spielen? Wieso nicht Fußball? Fußball ist sehr gut. Magst du Fußball nicht?"

"Nein, ich mag nur Mortal Kombat."
"Wieso magst du Englisch lernen?"
"Weil ich englische Freunde gefunden habe."
"In welchem Land würdest du gerne leben?"
"Deutschland!"
"Wieso Deutschland?"
"Ich liebe Deutschland!"

"Gut, super! Danke, kann ich mit deinen Eltern sprechen?"
Nach einem zehnminutigen Gespräch mit dem Lehrer strahlt Sarah über das ganze Gesicht. Ihre Tochter wird in die elitäre Englischklasse aufgenommen.
Und das, obwohl den Lehrer Parvonehs Leidenschaft für das Videospiel "Mortal Kombat" dann doch irritiert hat. Wegen seiner extremen Gewaltdarstellungen ist es eigentlich erst ab 18 Jahren zugelassen.

Parvoneh soll ihren Mann vor der Ehe kennenlernen

Für Sarah ist nicht nur der Mangel an beruflichen Aussichten ein Grund ausreisen zu wollen. Sie sorgt sich vor allem um Parvonehs gesellschaftliche Zukunft. Sie will, dass ihre Tochter in Zukunft jemanden heiratet, den sie liebt und den sie wirklich vor der Eheschließung kennenlernen darf.
Im Iran wäre das nur illegal möglich. Und eine wilde Ehe, also ein Zusammenleben ohne Heiratsurkunde, birgt Risiken in sich. Das würde Sarah ihrer Tochter gerne ersparen.
"Was auch immer passiert, man begibt sich in Gefahr. Wenn man mit jemandem lebt, der im Kern gut ist, wird auch alles gut werden. Aber man sagt: Who knows? Woher kann man wissen dass man 'Jemanden Guten' auserwählt hat?", fragt sie.
"Aber jetzt haben die jungen Menschen Mut gefasst, und sie sagen: 'Ich gehe alle diese Risiken ein.' Und viele dieser Menschen, die so mutig waren, und die ich sehr achte, habe ich verletzt und scheitern gesehen. Stell dir vor – eine Frau wird schwanger, keiner zeigt sich dafür verantwortlich, keiner ist bereit Unterhalt zu zahlen. Abtreiben kann sie auch nicht. Und eine Frau, die ein uneheliches Kind hat, bekommt im Iran keine feste Anstellung mehr."
Die 27-jährige Rosa, Psychologin aus Teheran liebt die modischen Café-Shops in den modernen, klimatisierten Einkaufszentren der Hauptstadt, nicht zuletzt wegen des leckeren Cappuccino, den man hier serviert.
Ein großer heller Raum. An einem Tisch sitzen verhüllte Frauen.
Treffpunkt auch für junge Frauen: ein Café-Shop im Westen Teherans.© Dominika Nooripur
Die hübsche junge Frau ist kaum geschminkt, schlicht aber geschmackvoll gekleidet, ihr obligatorisches Kopftuch rutscht ihr ab und zu nach hinten weg.

Konzentration auf die Kinder

Eigentlich ist sie Familienpsychologin. Doch sie hat sich für eine Weiterbildung zur Kinderpsychologin entschlossen. Ein Beruf mit Zukunft im Iran, wie sie sagt.
"Bei den Kinderpsychologen gibt es noch nicht solch ein großes Angebot. Meine Beobachtung ist, dass viele Eltern sich mehr um den Nachwuchs kümmern als um sich selbst. Wenn eine Frau Probleme mit dem Ehemann hat, geht sie nicht zum Psychologen", sagt sie.
"Aber wenn das Kind nur ein etwas problematisches Verhalten zeigt, rennt sie gleich zur Beratungsstelle. Meine Freundin sagte zu mir: 'Meine Tochter ist schlecht in der Schule. Wenn sie gestresst ist, fasst sie sich immer wieder an die Haare. Ich will mit ihr zum Psychologen.' Ich meinte: 'Ist das alles?' Ich schildere das nur, um es begreiflich zu machen, wie viel Wert man hier auf die Kinder legt."

Das Denken über die Erziehung wird revolutioniert

Im Iran finden gerade gesellschaftliche Prozesse statt, die das konservative, autokratische Denken zum Thema Erziehung revolutionieren. Neugierig beobachtet man auch hier – vor allem in den progressiven Schichten der Metropolen - die aktuellen europäischen Bildungstrends und eifert ihnen nach.
"Schon mal von der Montessori-Schule gehört? Dort haben Kinder die freie Wahl, ohne den Einfluss der Erwachsenen, finden sie ihre Richtung und entwickeln sich. Man darf sie nicht unter Druck setzen – jetzt muss du gehen, und jetzt sprechen. Ein Kind muss sich selbst verwirklichen, frei sein. Es gibt die Überzeugung, dass es mit zwei Jahren laufen muss. Manche Kinder fangen etwas früher damit an, manche etwas später. Aber das Kind muss selbst herausfinden, wann."

Keine Familie unter diesen Umständen

Auch für Rosa bedeutet Bildung Unabhängigkeit. Eine große Rolle spielen dabei finanzielle Erwägungen - mit einem lukrativen Job könnte die Psychologin vielleicht ihr Elternhaus verlassen. Auch sie würde gerne einmal heiraten, Kinder bekommen. Doch nicht unter diesen Umständen und mit diesen Sitten, wie sie im Iran herrschen. Da spielt sie nicht mit und bleibt lieber alleine.
"Es wäre gut, wenn die Gesellschaft akzeptieren würde, dass man vor der Ehe ein oder zwei Jahre zusammenlebt. Aber das passiert nie, oder sehr selten. Sich trennen hingegen darf man, sich scheiden lassen auch, das gibt es. Aber wenn ich aufrichtig sein möchte und mit meinem Freund wohnen will, geht das nicht. Die Eltern akzeptieren den Freund oder die Freundin meist nicht, alles was sie dahinter sehen ist Sex. Aber darum geht es doch nicht."
Rosas Mutter Minou, die kaum älter als ihre Tochter aussieht und einen winzigen Laden mit Modeschmuck in dem Teheraner Bezirk Sarsabs im Osten Teherans betreibt, hätte nichts dagegen, wenn ihre Tochter vor der Hochzeit mit ihrem Freund unter einem Dach zusammenleben würde.
"Wenn ein Junge ein Mädchen kennenlernt, soll er erst mal herausfinden, ob sie ihm gefällt. Sie sollen aus Liebe heiraten. Soll die Mutter jemanden aussuchen, für das ganze Leben? Ich sage doch nicht zu meiner Tochter: 'Geh und nimm dir den da zum Ehemann!'"

"Ausbildung ist kein Hindernis für die Ehe"

Rosas Vater, ein Unternehmer, ist vehement dagegen. Und obwohl er derjenige ist, der die Ausbildung der Tochter finanziert und ihre Karriereabsichten unterstützt, würde er am liebsten selbst den Ehemann für sie aussuchen. So wie es die Tradition vorschreibt. Das hieße, vorzugsweise jemanden aus der eigenen Familie. Diese Tendenz sieht auch Kathy Zarnegin.
"Natürlich werden Frauen in den offenen Schichten in ihren Karriereabsichten unterstützt. Aber man darf nicht vergessen, dass die iranische Gesellschaft, trotzdem, das heißt jenseits der religiösen Vorschriften und Prägungen, eine traditionsbewusste Familienkultur pflegt. Das heißt, man sieht die Sache eher so, dass die Ausbildung kein Hindernis für eine Ehe darstellt. Es ist ein sowohl, als auch."

Die Namen aller handelnden Personen wurden aus Rücksicht auf ihre Sicherheit geändert.

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