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Griechenland
Streik gegen die anhaltende Sparpolitik

Es ist der erste große Streik, seit in Griechenland die Syriza-Regierung wiedergewählt worden ist. Aus Protest gegen Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen sollen Arbeiter und Angestellte heute landesweit ihre Arbeit niederlegen. Nach sechs Krisenjahren sind viele Griechen frustriert - und rechnen nicht damit, dass mit dem dritten Sparpaket die Wende gelingt.

Von Wolfgang Landmesser | 12.11.2015
    Zwei Nonnen gehen vor einem Gebäude entlang, im Vordergrund hängt an einem Pfeiler an einem Plakat mit einem Aufruf zum Streik.
    Auf Plakaten wurde zum 24-Stunden-Streik aufgerufen (dpa/picture alliance/Yannis Kolesidis)
    Das Kafenio von Loukas Anastasiou ist ein wichtiger Treffpunkt in Pangrati, einem bürgerlichen Viertel in der Nähe der Athener Innenstadt. Abends bei Fußballspielen ist der Laden voll, tagsüber sitzen vor allem ältere Männer zusammen und trinken ihren Elliniko, ihren griechischen Kaffee. Seine Gäste seien frustriert von der Politik, sagt der Wirt, während er auf dem Gaskocher einen Kaffee zubereitet:
    "Alle sind enttäuscht. Sie haben was anderes erwartet - und dann ist es so gekommen. Von einer linken Regierung haben sie solche Dinge nicht erwartet. Sie wollen nicht mehr wählen gehen oder die Rechtsradikalen unterstützen, weil sie keinem mehr vertrauen. Eine Trotzreaktion."
    Die beiden älteren Herren am Tisch vor der Theke sehen nicht wie Wähler der "Goldenen Morgenröte" aus, der extrem rechten Partei, die bei den Wahlen im September sieben Prozent der Stimmen gewann. Im Gegenteil, sie seien überzeugte Europäer, sagen Dimitris und Sokratis. Aber die Einschnitte seien einfach zu stark, gerade bei den Renten, meint Dimitris:
    "Sie haben mir meine ganze Rente genommen, wir kommen nicht über die Runden. Die Regierung kann doch nicht ständig die Steuern erhöhen und unsere Gehälter und Renten senken, nur weil es die Deutschen so wollen."
    Vom dritten Rettungsprogramm für Griechenland erwartet auch Dimitris' Freund Sokratis wenig. Das seien doch nur wieder neue Kredite, die sein Land nicht zurückzahlen könne. Und im Gegenzug müsse die Regierung den Griechen wieder sehr harte Entscheidungen zumuten. Keine Chance für den linken Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, meint der 80-Jährige:
    "Tsipras ist selber ein Opfer. Er hat ein Reformprogramm vorgefunden, wollte Premier werden, hatte Ambitionen, das ist ja auch in Ordnung. Aber er ist ein junger Bursche. Er kann nichts unternehmen. Deutschland trifft die Entscheidungen. Er verspricht Sachen, aber durch Versprechungen alleine ändert sich nichts."
    Nach zwei Reformprogrammen, die den Griechen schon einiges zugemutet haben, sei für viele die Belastungsgrenze erreicht, sagt Panagiotis Petrakis, Wirtschaftsprofessor an der Universität Athen. Und das dritte Programm ziehe die Schraube noch einmal an:
    "Die Lasten sind noch schwerer als vorher. Nicht weil das Programm an sich härter ist, sondern weil es noch obendrauf kommt. Das bedeutet immer mehr Belastungen auf den Schultern der Steuerzahler."
    Einkommen dramatisch gesunken
    Das eigentliche Problem sei, dass die Einkommen in den vergangenen Jahren dramatisch gesunken sind. Kein Wunder, dass sich die Griechen übermäßig belastet fühlten, meint der Wirtschaftsprofessor. Dabei gebe es die Chance, den griechischen Staat von Grund auf zu reformieren. Immerhin sei in den vergangenen Jahren einiges angestoßen worden, aber eben noch nicht zu Ende gebracht - eine kritische Phase für den Reformprozess.
    "Es kann gut sein, dass sich nach diesen fünf Jahren des wirtschaftlichen Umbruchs die politische Kultur in Griechenland zu ändern beginnt. Weil die Leute nicht mehr erwarten, dass es so weiter geht wie bisher. Deswegen haben sie begonnen, sich zu verändern. Leider sind gleichzeitig die Einkommen sehr stark gesunken. Und die Leute haben das Gefühl, den Staat zu brauchen."
    So lange aber die griechische Wirtschaft nicht in Schwung kommt, wird der Staat kaum Geld haben für soziale Wohltaten. Ein Dilemma. Vor vier Wochen demonstrierten einige Hundert Menschen vor dem griechischen Parlament. In der Nacht sollten die Abgeordneten ein Paket mit neuen Reformgesetzen verabschieden. "Nein" zu den alten und zum neuen Reformprogramm stand auf einem der Transparente
    Streik gegen das Reformprogramm
    "Nein" haben sie schon beim Referendum im Sommer gesagt, als Ministerpräsident Tsipras über das Reformprogramm abstimmen ließ, das er so nicht unterschreiben wollte. Trotz des "Nein" gab es am Ende doch einen neuen Deal mit den Gläubigern. Eine große Enttäuschung für Alexandra, die im Januar noch die linke Syriza gewählt hatte:
    "Wir sind hier, um 'Nein' zu rufen, weil das erste 'Nein' von niemandem gehört wurde. Wir müssen weiter kämpfen, es gibt keinen anderen Weg."
    Auch Stephanos ist gegen die neuen Reformen. Unter den Einschnitten der Memorandisten hätten noch die kommenden Generationen zu leiden, sagt er. Memorandisten, so heißen in Griechenland diejenigen, die für das sogenannte Memorandum sind, also das Reformprogramm.
    "Im Parlament gibt es keine Opposition. Die sind alle Memorandisten. Die Opposition ist jetzt auf der Straße. Und das sind die normalen Leute."
    Aber die meisten normalen Leute bleiben eher zu Hause als zu demonstrieren. Gegen den Regierungskurs geht vor allem die kommunistische Gewerkschaft Pame auf die Straße. Ernüchtert sind viele, weil selbst die linke Syriza die von ihr lange bekämpften Reformen jetzt durchzieht. Ernüchtert und resigniert.
    Aufbruchstimmung herrscht nicht gerade in Griechenland.