Regensburger Domspatzen nehmen Mädchen auf

Nicht der Untergang des Abendlandes

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Der Knabenchor steht im Halbkreis auf einer Bühne um einen Flügel herum.
"Einmal Domspatz, immer Domspatz": Die Regensburger Domspatzen sind stolz auf ihr Zusammengehörigkeitsgefühl. © Imago / Manfred Segerer
Ein Kommentar von Ruth Jarre · 17.06.2021
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Die Regensburger Domspatzen nehmen zukünftig auch Mädchen auf. Das ist nicht der Untergang des Abendlands, sondern das richtige Signal für die Zukunft der Chormusik, meint unsere Kommentatorin.
Verwundert reibt man sich die Augen. Kommt diese Nachricht wirklich aus Regensburg? Aus diesem erzkonservativen Bistum, das durch die Verbindung zum ehemaligen langjährigen Domkapellmeister und Leiter der Regensburger Domspatzen, Georg Ratzinger, Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI., gefühlt ganz nah dran ist am Vatikan?

Musikalische Ausbildung auch für Mädchen

Und heißt das, dass ausgerechnet dieser Chor nun geöffnet wird für Mädchen? Dann müsste das Mädchen, das 2018 mit seiner Klage wegen geschlechtsspezifischer Benachteiligung um Aufnahme in einen renommierten Knabenchor für Aufmerksamkeit gesorgt hat, einfach nach Regensburg ziehen. Problem gelöst. Dem Untergang des Abendlandes wieder ein Stück näher gerückt.
Doch ganz so einfach ist es nicht. Die korrekte Überschrift der Meldung auf der Website der Domspatzen lautet: "Domspatzen-Gymnasium nimmt Mädchen auf". Unter der Rubrik "Aktuelles", gleich nach der offenbar noch aktuelleren Nachricht "Sieg beim Mathewettbewerb".
Damit, so heißt es dort, "soll künftig auch Mädchen die hochwertige musikalische Ausbildung dieser Institution zugänglich gemacht werden. Sie sollen mit ihren gesanglichen Fähigkeiten eine eigene neue Säule der Regensburger Dommusik bilden."

Es geht um Teilhabe

Ab dem Schuljahr 2022/23 soll es soweit sein. Der Knabenchor bleibt weiter bestehen, auch als Domchor der Kathedrale. Ein neuer Mädchen- und Frauenchor wird aufgebaut. Der Internatsbetrieb nimmt weiterhin nur Jungs auf, die Mädchen sind im Tagesbetrieb mit all seinen Fördermöglichkeiten willkommen. Und darum geht es: um Teilhabe und Chancengleichheit. Um das zu gewährleisten, muss kein Knabenchor zum gemischten Chor werden.
Und so sind die Nachrichten aus Regensburg gute Nachrichten, die man sogar erwarten durfte – konservatives Bistum hin oder her. Denn seit 2019 weht ein frischer Wind bei den Domspatzen. Der neue Chorleiter Christian Heiß und die ebenfalls neue Schulleiterin Christine Lohse haben vor gut anderthalb Jahren gemeinsam die Leitung der ehrwürdigen Institution übernommen.

Neue Akzente setzen

Schon damals konnten sich erstmals auch Frauen um die Leitung der Regensburger Domspatzen bewerben. Ein Umstand, den Georg Ratzinger, der im vergangenen Juli verstorben ist, nicht guthieß. Sein Kommentar damals: "Meine ganz persönliche, vielleicht altmodische Meinung ist die: Vor so viel Buben und jungen Männern ist es doch besser, wenn ein Mann dem Chor vorsteht".
Christian Heiß und Christine Lohse wollen die Regensburger Domspatzen in die Zukunft führen. "Es ist unsere Verantwortung, die Grundlagen für eine hervorragende Ausbildung der Kinder zu schaffen. Mit der Aufnahme von Mädchen können wir viele neue Akzente setzen", sagen sie.

Bitte nachmachen

Und damit haben sie erkannt, worum es wirklich geht. Denn heute, in Pandemiezeiten, in denen das Singen sogar verboten wurde – mit unabsehbaren gesellschaftlichen, kulturellen und soziologischen Folgen – ist nicht die Frage entscheidend, ob Mädchen in Knabenchören singen dürfen oder nicht, sondern ob das Singen, das Singen im Chor, überhaupt eine Zukunft hat.
Wer – wie die Regensburger Domspatzen – über große institutionelle, strukturelle und nicht zuletzt finanzielle Ressourcen verfügt, sollte die Pflicht haben, diese allen Kindern zukommen zu lassen. Also: Bitte nachmachen!
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