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Griechenland
Wirtschaftswissenschaftler: Regierung muss Liberalisierung als Chance verkaufen

Ihm sei rätselhaft, wieso junge Griechen so massenhaft gegen die Reformen in Griechenland gestimmt hätten, sagte Bert van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik im DLF. Sollte die Unterstützung für diese Maßnahmen in der griechischen Bevölkerung nicht steigen, werde man "auf kurz oder lang nicht um einen Euro-Austritt Griechenlands vorbeikommen".

Bert van Roosebeke im Gespräch mit Dirk Müller | 22.07.2015
    Die Akzeptanz für die Reformen in Griechenland ist insbesondere bei jungen Menschen niedrig.
    Die Akzeptanz für die Reformen in Griechenland ist insbesondere bei jungen Menschen niedrig. (picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou)
    Müller: Griechenland im Reformstau, unser Thema jetzt mit Bert von Roosebeke vom Zentrum für Europäische Politik in Freiburg. Guten Tag!
    Bert van Roosebeke: Guten Tag, Herr Müller!
    Müller: Herr Roosebeke, Alexis Tsipras, trickst er wieder?
    van Roosebeke: So weit würde ich noch nicht gehen. Ich glaube, man übertreibt es vielleicht, wenn man sich die zwei konkreten Fälle einer angeblichen Verzögerung in Athen im Moment anschaut. Ich glaube, man kann das durchaus so sehen, dass letztlich die Frage der Steuererleichterung für Bauern und die Fragen bei den Renten – das sind noch keine Voraussetzungen, die so detailliert heute von den Geldgebern verlangt werden. Es geht im Moment einfach darum, sechs ganz konkrete Änderungen durchzuführen, und wenn das Parlament in Griechenland heute für die letzten zwei stimmt, dann hat Griechenland erst mal seine vorläufigen Verpflichtungen erfüllt.
    Müller: Aber wir haben jetzt aus Athen gehört, das gehört nicht zu diesen geforderten Sofortmaßnahmen. Auf der anderen Seite argumentieren die Geldgeber, die gehören doch dazu. Was stimmt denn nun?
    van Roosebeke: Sagen wir mal so, die vorläufigen Maßnahmen, diese "Prior Actions", die sind sehr allgemein gehalten. Da heißt es, Griechenland soll sofortige Maßnahmen zur Verbesserung der langfristigen Tragfähigkeit des Rentensystems einführen. Mehr als das steht nicht drin. Was man da jetzt genau drunter packt, das ist natürlich offen für Politik, für politische Spielchen. Letztlich ist die Frage aus meiner Sicht eine andere. Man hat erhofft, man hat Griechenland eine Chance gegeben, das verlorengegangene Vertrauen in diesen zwei, drei Wochen, die wir jetzt haben, zurückzugewinnen. Und da spielt Griechenland natürlich mit dem Feuer. Wenn in den Eurostaaten und bei den drei Institutionen der Eindruck erweckt wird, die Griechen sowohl im Parlament wie in der Bevölkerung wollen diese Reformmaßnahmen nicht, dann stehen uns natürlich ganz schwierige Verhandlungen über das eigentliche Hilfspaket, die ja ausstehen, die sollen ja am Freitag erst anfangen, diese Verhandlungen. Da stehen dann ganz große Schwierigkeiten bevor.
    Müller: Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Roosebeke, Sie sagen also auch auf meine Frage hin, Trickserei, das geht noch ein bisschen zu weit, Betrug sowieso im Moment keine Diskussion. Es geht um Vertrauen, und da riskiert er ganz viel, er spielt ein riskantes Spiel, der griechische Regierungschef, weil er schon wieder in bestimmten Reformschritten, ob das jetzt mit parlamentarischen Debatten und Abstimmungen zu tun hat oder wie auch immer, schon wieder verzögert, schon wieder auch die Tagesplanungen und die Agenda verändert.
    Diskussion um konkretes Paket steht an
    van Roosebeke: Gut, ja, es ist richtig. Die Verhandlungen über das eigentliche Hilfspaket, die gehen am Freitag los. Und die Geldgeber haben gesagt, wir verhandeln überhaupt erst mit euch, wenn ihr bis dahin diese sechs Maßnahmen, die relativ unscharf gehalten sind, wenn ihr diese Maßnahmen umsetzt. So. Und jetzt behaupten die Griechen, wir haben da das getan, was ihr von uns verlangt habt. Das kann man, meine ich, so sehen. Ich würde mich da auch nicht drin festbeißen. Eigentlich spannend wird es ab Freitag. Da wird man sehen, ob man sich auf ein sehr viel umfangreicheres und sehr viel konkreteres Paket mit den Griechen einigen kann.
    Müller: Aber er muss ja dafür überhaupt, damit das zustande kommt, jetzt etwas bringen. Er muss ja nun etwas zeigen, und er muss ganz viel Unpopuläres, ganz viel Unangenehmes ja durchsetzen im griechischen Parlament, wenn wir das richtig verstanden haben. Was hat er denn zu bieten?
    van Roosebeke: Er hat das gemacht. Er hat das Mehrwertsteuersystem geändert, also Stand diese Woche sind viele Produkte teurer geworden, weil die Mehrwertsteuer auf bestimmte Produkte angehoben wurde. Es wurden bestimmte Maßnahmen zur Änderung im Rentensystem durchgeführt. Die griechische statistische Behörde wurde unabhängig gemacht. Heute ist man dabei, Änderungen der Zivilprozessordnung durchzuführen. Das heißt ganz konkret, dass vor allem die Pfändung bei säumigen Kreditnehmern, die nicht in der Lage sind, ihren Hauskredit zum Beispiel abzubezahlen, dass diese Pfändung sehr viel einfacher wird, was sicher keine beliebte Maßnahme sein wird in Griechenland. Und es wird über die Bankenabwicklungsrichtlinie abgestimmt. Das klingt zwar sehr technisch, aber letztlich heißt das, dass die Kreditgeber der griechischen Banken sehr bald bluten werden müssen, weil die Banken abgewickelt werden.
    Müller: Nun haben wir ja gehört, dass dieses Problem bei den säumigen Zahlern, da geht es ja darum, dass säumige Zahler eventuell ihre Wohnungen, ihre Häuser da verlieren können, wenn sie nicht rechtzeitig tilgen. Der eigene Staat, die eigene Regierung darf dabei ja nicht offenbar Maßstab sein, an dem man sich orientieren kann. Sehr problematisch sicherlich für viele, das überhaupt zu verstehen, dass man so weit geht und so tief in diese Privatsphäre eingreift. Das geht erstaunlicherweise durch, das wird zumindest prognostiziert, das steht heute Abend ja in Athen zur Debatte. Dann diverse, Sie haben das gerade angesprochen, Herr van Roosebeke, diverse Änderungen im Justizsystem. Aber die Mehrwertsteuer, gut, die ist in vielen Bereichen, gerade im Lebensmittelbereich, in Supermärkten noch nicht ganz durchgesetzt. Ein riesiger Schritt, 13 auf 23 Prozent. Aber das war eingepreist, damit hat er versucht, die Kritiker schon zu beruhigen. Was kommt jetzt noch bis zu diesem Freitag, wenn er auf die höheren Steuern für Landwirte und auf weitere Einschnitte im Rentensystem verzichtet.
    van Roosebeke: Also bis zu diesem Freitag, sprich heute, kommen eigentlich nur die zwei Änderungen. Es kommt die Änderung der Zivilprozessordnung und die Umsetzung der Bankenabwicklungsrichtlinie. Dann hat Griechenland seine Vorabverpflichtungen erfüllt, und dann setzt man sich zusammen mit den Institutionen, da wird man ein sehr umfangreiches Programm aushandeln müssen, da geht es zum Beispiel um eine echt ehrgeizige Rentenreform, da geht es darum, Produktmärkte zu liberalisieren. Das sind die berüchtigten verkaufsoffenen Sonntage, aber da geht es auch ans Eingemachte bei Eigentumsrechten an Apotheken, bei den Fährbetrieben, die in Griechenland sehr wichtig sind. Da geht es darum, sehr detailliert letztlich die Arbeitsmärkte umzukrempeln, da geht es um Fragen der Tarifverhandlungen, wie die geführt werden, welche Arbeitskampfmaßnahmen überhaupt künftig noch erlaubt sein sollen, und wie man mit Massenentlassungen umgeht. Das sind sehr - da gibt es noch eine Latte anderer Maßnahmen, die Effizienz der Verwaltung soll gesteigert werden, aber da geht es überhaupt erst zur Sache, und da wird man wirklich noch sehen müssen, ob Herr Tsipras, mit welcher Regierung auch immer, in Zukunft eine Mehrheit für diese sehr viel tiefer einschneidenden Reformen findet.
    Müller: Jetzt haben wir die Glaubwürdigkeit der griechischen Regierung auf der einen Seite, die notwendigen Reformen, so wird das ja jedenfalls von den Gläubigern tituliert, auf der anderen Seite, losgelöst. Für Sie als Ökonom, der auf die gesamte Problematik blickt, der auf Griechenland blickt und auf die griechische Bevölkerung - ist das zumutbar?
    van Roosebeke: Ich glaube schon, dass das zumutbar ist. Ich glaube, wir brauchen letztlich eine Stimmung in Griechenland und Politiker in Griechenland, die in der Lage sind, der Bevölkerung diese Maßnahmen als Chance zu verkaufen. Wir kommen nicht viel weiter in Griechenland...
    Müller: Indem man bettelarm wird, zunächst einmal?
    Griechische Wirtschaft müsse reformfähig werden
    van Roosebeke: Wissen Sie, die ganze Reformdebatte hat eigentlich zwei Seiten. Das eine ist die fiskalische Seite, was man als Austeritätspolitik bestempelt und was letztlich Sparen heißt. Und klar, da kann man jetzt noch einiges rausquetschen, aber ich glaube, da ist nicht mehr viel zu machen. Griechenland braucht dringend Reformmaßnahmen. Die griechische Wirtschaft muss wettbewerbsfähig werden, muss in der Lage sein, einen Job, eine Stelle anzubieten. Und mir ist doch rätselhaft, muss ich ehrlich sagen, wie man nicht in der Lage zu sein scheint, diese Änderungen, diese Liberalisierung bei den Produktmärkten, bei den Arbeitsmärkten als Chance für junge Leute zu verkaufen. Ich verstehe nicht, wieso junge Leute so massenhaft in dem Referendum gegen diese Maßnahmen gestimmt haben.
    Müller: Umgekehrt gefragt, vielleicht zu diesem Punkt. Kürzungen und Kürzungen und Kürzungen. Seit wann schafft dies Arbeitsplätze?
    van Roosebeke: Ja gut, Kürzungen können durchaus Arbeitsplätze schaffen. Wenn ein Staat sich so weit aus dem Fenster lehnt, dass seine eigene Fiskalpolitik nicht tragfähig ist, dann werden sie auch keine Investoren aus dem Ausland mehr gewinnen können. Es können sicher nicht nur Kürzungen sein. Und in der Wahrnehmung sowohl in Griechenland sehr offensichtlich als auch im Ausland stehen diese Kürzungen im Vordergrund.
    Müller: Ja, aber wo sind die Konjunkturimpulse? Sie sagen, es sind nicht nur Kürzungen. Wo ist da was absehbar, wo etwas sich zum Positiven, in Anführung, also in positiven Zahlen ausdrückt?
    van Roosebeke: Die sind nicht absehbar. Solange letztlich jeder Investor und jeder potenzielle Arbeitgeber aus dem Ausland der Meinung ist, dass die Leute in Griechenland, die Leute, nicht nur die Regierung, sondern auch die Bevölkerung in Griechenland letztlich an diese Reformmaßnahmen nicht glaubt.
    Müller: Und die Binnenkonjunktur können wir auch abschreiben.
    Alternative Euroaustritt schmerzhaft für Griechenland
    van Roosebeke: Die Binnenkonjunktur kann man, glaube ich – gut, da kann man jetzt vielleicht noch ein paar Impulse setzen, da sind ein paar Ideen jetzt gesammelt worden auf dem Gipfel, wo man ein paar Milliarden zusammenkratzt und glaubt, jetzt Wachstum herbeischaffen zu können. Aber es führt ja kein Weg dran vorbei, dass die griechische Wirtschaft letztlich wettbewerbsfähig werden muss, um Geld vom Ausland zu verdienen. Sonst werden die nie in der Lage sein, ihre Schulden, die sie im Ausland haben, zu erfüllen.
    Müller: Wenn die Politik das sagt, ist es immer umstritten. Die Kanzlerin sagt das häufig. Also für Sie auch, das, was verlangt wird, ist für Sie alternativlos.
    van Roosebeke: Es gibt Alternativen. Die Alternative ist der Ausstieg aus der Eurozone. Und die ist sicher für Griechenland nicht ohne sehr schmerzhafte Folgen. Und letztlich wird die Bevölkerung das entscheiden müssen. Wenn wir dauerhaft keine Unterstützung, kein Ownership, wie es so schön heißt, in der griechischen Bevölkerung für diese Reformmaßnahmen sehen, dann werden wir, glaube ich, auf kurz oder lang nicht um einen Euroaustritt Griechenlands vorbeikommen.
    Müller: Bei uns heute Mittag, live im Deutschlandfunk, Bert van Roosebeke vom Zentrum für Europäische Politik in Freiburg. Vielen Dank für das Gespräch und noch einen schönen Tag.
    van Roosebeke: Danke, Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.