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Griechenlandhilfe: "Diskussion um die Kanzlermehrheit ist irrelevant"

Die Regierung werde, laut Florian Toncar (FDP), die Mehrheit in der heutigen Bundestagsabstimmung über das zweite Griechenland-Rettungspaket haben. Außerdem erwartet er, dass Hans-Peter Friedrich der aktuellen Griechenlandhilfe zustimmen wird.

Florian Toncar im Gespräch mit Peter Kapern | 27.02.2012
    Peter Kapern: Griechenland muss Euroland bleiben. So lautete von Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble quasi in Granit gemeißelt ein Grundsatz der Bundesregierung – bis zum Wochenende. Da sagte Bundesinnenminister Friedrich, Griechenland habe außerhalb der Eurozone größere Erholungschancen als innerhalb. Vor rund einer Stunde habe ich den stellvertretenden Fraktionschef der FDP, Florian Toncar, gefragt, ob er denn noch genau weiß, ob die Bundesregierung jetzt für den Verbleib Griechenlands im Eurosystem ist, oder dagegen.

    Florian Toncar: Also ich würde Wetten darauf abschließen, dass Herr Friedrich, der heute ja auch als Bundestagsabgeordneter über die aktuellen Hilfsmaßnahmen für Griechenland abstimmen muss, heute Nachmittag dafür stimmen wird, und man kann dazu im Übrigen auch nur sagen, niemand außer Griechenland selbst kann beschließen, dass das Land die Währungsunion verlässt. Was wir als Europäer tun können, auch als Deutsche tun können ist, dass wir darüber entscheiden, ob das Land insolvent geht oder nicht geht. Das ist das, was heute ansteht. Aber das ist nicht die Entscheidung darüber, ob sie in der Währungsunion bleiben oder nicht. Das können aus rechtlichen Gründen nur die Griechen selbst. Sie müssen aber auch, wenn sie drin bleiben wollen, das Programm umsetzen, sie müssen sich anstrengen, sie müssen das auch mehr tun, als bis heute geschehen. Darauf kommt es an. Aber das ist nicht das, was heute entschieden werden muss.

    Kapern: Aber, Herr Toncar, das ist doch ganz erheblich, wenn ein Kabinettsmitglied die Regierungslinie verlässt, die bisher immer lautete, Griechenland muss in der Eurozone bleiben.

    Toncar: Die Regierungslinie war, dass wir versuchen, die Bürger in Deutschland zu schützen vor den Auswirkungen dieser Krise. Darum geht es. Und das kann am besten gelingen, indem Griechenland im Euroraum bleibt, und zwar, weil die Folgekosten für uns in Deutschland dabei am niedrigsten sind. Und das sollten wir auch weiterhin im Auge haben, dass wir die für uns günstigste Lösung und für Europa insgesamt günstigste Lösung finden. Wenn ein Land die Währungsunion verlässt, hat das ganz erhebliche Folgen für die Währungsunion insgesamt. Das führt unter anderem dazu, dass Bankguthaben auch in anderen Ländern abgezogen werden. Es kommt also zu Ansteckungseffekten auch auf andere Länder, da könnte die ganze Währungsunion ins Wackeln geraten, und deswegen ist es falsch, darüber zu spekulieren, ob ein Land rausgeht. Es ist aber auch klar, das Griechenland-Programm kann nur Erfolg haben, wenn die Griechen selber die Maßnahmen umsetzen. Das heißt, ob sie es schaffen, sich in der Währungsunion zu halten, das hängt maßgeblich davon ab, ob die Politik in Griechenland und die Bürger in Griechenland bereit sind, das zu tun, was jetzt nötig ist, um tatsächlich auch umzukehren und wieder stabil zu werden.

    Kapern: Herr Toncar, wie interpretieren Sie denn das Motiv des Bundesinnenministers von der CSU, so kurz vor der wichtigen Abstimmung im Bundestag sich derart zu äußern? Will sich da möglicherweise jemand kurz vor einer so wichtigen Abstimmung seitwärts in die Büsche schlagen?

    Toncar: Es ist nicht meine Aufgabe, darüber zu spekulieren, was der Bundesinnenminister damit bezweckt hat. Er wird heute als Bundestagsabgeordneter mit abstimmen über das Paket, und zwar namentlich, sodass wir schon heute Nachmittag wissen werden, was er zu dem Paket selber sagt, und ich würde erwarten, dass er dem auch zustimmt, so wie das Kabinett ja auch die Linie vertreten hat. Insofern ist schon die Frage, was er damit bezweckt hat; das kann ich aber nicht beantworten.

    Was man aber sagen muss, ist, dass die Argumente dafür, dass ein Land, das nicht wettbewerbsfähig ist, die Währungsunion verlässt, nicht ganz so eindeutig sind, wie es manchmal in der Diskussion dargestellt wird. Das ist auch für das Land selber eine schwierige Abwägung. Natürlich ist ein Land, das nicht wettbewerbsfähig ist, erst mal bei den Exporten wieder wettbewerbsfähiger, wenn es eine eigene Währung hat und abwerten kann. Andererseits werden Importe, Waren, die man im Ausland einkaufen muss, schlagartig teurer, wenn man eine eigene Währung einführt neben dem Euro, und das kann einem Land auch ganz schön wehtun. Insofern ist auch aus der griechischen Brille, aus der griechischen Sicht wirklich nicht sicher, ob das wirklich die bessere Lösung wäre. Die bisherige Linie der griechischen Regierung ist, es ist für das Land besser, im Euro zu bleiben. Rauszugehen wäre schmerzhafter, wäre schädlicher, und das ist was, was wir schon auch mal sehen sollten aus der deutschen Sicht. In Griechenland geht man offenkundig eben nicht davon aus, Stand heute, dass es für das Land leichter wäre, außerhalb des Euro zu gesunden, und dafür gibt es durchaus auch ökonomische Argumente. Das ist eine Diskussion, die wir in Deutschland führen müssen. Der Bundesinnenminister wird – damit würde ich heute rechnen – dem Paket zustimmen und wird selber erklären müssen, wie seine Äußerungen zu verstehen gewesen sind.

    Kapern: Wie viele Mitglieder Ihrer Fraktion, Herr Toncar, werden denn heute dem Griechenland-Rettungspaket nicht zustimmen?

    Toncar: Das müssten die Kollegen im Laufe des Tages auch anmelden. Wir haben die Regelung, dass das vorher gesagt werden muss. Ich rechne nach dem, was mir bisher bekannt ist, nicht damit, dass wir gänzlich andere Mehrheitsverhältnisse haben werden als am 30. September, als es um die Reform des europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus ging, also des sogenannten Rettungsschirms.

    Kapern: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass die Koalition eine Kanzlermehrheit zustande bekommt?

    Toncar: Die Diskussion um die Kanzlermehrheit ist irrelevant. Die Koalition wird handlungsfähig sein, ohne auf Stimmen der Opposition angewiesen zu sein. Sie hat eine eigene Mehrheit, das ist das Ziel, und ich würde auch erwarten, dass uns das heute gelingt.

    Kapern: Und was, wenn nicht?

    Toncar: Die Koalition wird diese Mehrheit haben. Jede Regierung muss handeln können, und zwar ohne, dass die Opposition beteiligt ist, und davon gehe ich auch aus. Ich habe jedenfalls keinerlei Hinweise dafür, dass die Zahl derjenigen, die nicht für dieses Paket stimmen wollen, aus der Koalition so groß wäre, dass wir uns ernsthaft darüber Gedanken machen müssten, was passieren würde, wenn das nicht so wäre. Damit rechne ich überhaupt nicht, sondern ich glaube, dass wir heute sehen werden, dass die Regierung auch beim Thema Europa, was ja nun wirklich schwierig ist, weiterhin handlungsfähig ist, und das muss sie auch sein, denn die Opposition ist da nicht so zuverlässig. Sie hat ja zum Teil auch sich enthalten bei entsprechenden Entscheidungen, hat das nicht immer mitgetragen. Also wir müssen das selber hinbekommen, und das werden wir auch tun.

    Kapern: Wolfgang Schäuble, der Bundesfinanzminister, hat ja bereits angekündigt, dass 2014 wahrscheinlich ein weiteres Hilfspaket für Griechenland fällig wird. Außerdem soll im März noch über die Aufstockung des ESM beraten werden auf europäischer Ebene. Wird die FDP dem jeweils auch zustimmen?

    Toncar: Wolfgang Schäuble hat einen Brief an die Bundestagsabgeordneten geschrieben und hat da reingeschrieben, der Erfolg dieses Pakets ist nicht garantiert und er kann nicht ausschließen, dass der Bundestag sich nochmals mit Finanzhilfen für Griechenland beschäftigen muss. Das ist eine Ankündigung, die so allgemein ist, dass man da vieles drunter verstehen kann. Ich glaube, es ist klug zu sagen, wenn man will, dass dieses Griechenland-II-Paket funktioniert, dann sollte man nicht darüber spekulieren, was passieren würde, wenn es nicht funktioniert. Es kann niemand voraussehen, wie die nächsten Jahre verlaufen, das ist eine hochgradig unsichere Zukunftsprognose, wie das ökonomisch in Griechenland weitergeht, das können wir alle nicht sagen. Aber wenn wir dieses Programm wollen und den Griechen auch klar vermitteln wollen, ihr müsst euch anstrengen, ansonsten ist es auch nicht richtig, dem Land zu helfen, wenn die Anstrengungen nicht erbracht werden, dann würde ich davon abraten, über weitere Pakete zu spekulieren. Ich habe den Brief des Finanzministers im Übrigen auch nicht so verstanden, dass er weitere Pakete angekündigt hat, sondern dass er darauf hingewiesen hat, dass es durchaus sein kann, dass der Bundestag auch weiterhin über das Thema Griechenland beraten muss, und das ist wahrscheinlich auch so zu erwarten.

    Kapern: Florian Toncar war das, der stellvertretende Fraktionschef der FDP im Bundestag. Herr Toncar, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Toncar: Vielen Dank, Herr Kapern. Auf Wiederhören.


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