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Griechenlands "Schuldenloch ist immer noch gigantisch"

Wolf Klinz (FDP), Vorsitzender des Sonderausschusses zur Finanzkrise im EU-Parlament, warnt vor einer möglichen Zwangsbeteiligung der Gläubiger Griechenlands, die bislang einem Schuldenschnitt nicht zugestimmt haben. Irgendjemand werde möglicherweise versuchen, dagegen zu klagen. Das Land sei, so Klinz, "noch nicht über den Berg".

Das Gespräch führte Peter Kapern | 09.03.2012
    Peter Kapern: Christine Lagarde, die Chefin des Internationalen Währungsfonds, klang geradezu entrückt, als sie in der vergangenen Nacht in einer US-Fernsehsendung zu Gast war. "Frühling liegt in der Luft", säuselte die sonst so nüchterne Finanzexpertin. Da hatte sie gerade die ersten Meldungen über den Schuldenschnitt für Griechenland gehört, und die klangen gut. Und seit einer Stunde wissen wir, dass die Frühlingsgefühle Frau Lagarde nicht getrogen haben.
    Bei uns am Telefon ist jetzt Wolf Klinz, FDP-Europaabgeordneter und Vorsitzender des Sonderausschusses zur Finanzkrise im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Klinz.

    Wolf Klinz: Guten Morgen!

    Kapern: Ist der Schuldenschnitt gelungen?

    Klinz: Tja? Also ich glaube, eine wichtige Hürde ist genommen, aber er ist nicht so gelungen, wie man es gerne gehabt hätte. Es sind nämlich die 90 Prozent nicht erreicht worden und insofern ist Griechenland gezwungen, wenn es tatsächlich das ursprünglich anvisierte Ziel erreichen möchte, die restlichen Schuldner, die sich "nicht freiwillig" an der Aktion beteiligen, mithilfe des neuen Gesetzes zwangszuenteignen. Und wenn Griechenland das macht, dann stellt sich eben doch die Frage, ist es ein freiwilliger Schuldenschnitt, oder ist es mehr.

    Kapern: Was hängt von der Beantwortung dieser Frage ab?

    Klinz: Ja, wenn es schlussendlich nicht als eindeutig freiwilliger Schuldenschnitt bezeichnet werden kann, stellt sich die Frage, ob dann nicht doch die Kreditausfallversicherungen zum Tragen kommen, und dann haben wir eine ganz neue Situation.

    Kapern: Was würde das denn bedeuten, wenn die ausgezahlt werden?

    Klinz: Das würde bedeuten, dass diejenigen Anleger, zum Beispiel Hedgefonds, die darauf spekuliert haben, dass Griechenland tatsächlich eine Insolvenz hinlegt, und die sich dementsprechend versichert haben, dass die jetzt ungeschoren davon kommen, und dass wir eben eine sehr ungerechte, wenn ich so sagen darf, Situation haben, dass nämlich Kleinanleger, Lieschen Müller und Herr Schulze, die für ein paar Euro ihres Ersparten Anleihen gekauft haben, dass die dann halt leer ausgehen.

    Kapern: Ein Grund mehr, die Hedgefonds an die Kette zu legen?

    Klinz: Ja, wir versuchen das ja schon. Das Europäische Parlament hat ja schon vor einiger Zeit eine Richtlinie auf den Weg gebracht, um eben Hedgefonds und auch Finanzbeteiligungsgesellschaften zu regulieren. Insgesamt ist die Kommission auch entschlossen, den sogenannten Schattenbankensektor, der also bisher nicht reguliert wird, stärker einer Regulierung zuzuführen. Das Ganze geht leider nicht über Nacht. Es braucht Zeit, bis es dann in 27 Mitgliedsstaaten tatsächlich umgesetzt ist. Aber wir sind da auf gutem Wege.

    Kapern: Die griechische Regierung, wenn die nun dieses Gesetz zur Zwangsentschuldung in Anwendung bringt, dann kann sie das ja nicht in eigener Machtvollkommenheit tun. Da ist ja ein kompliziertes Verfahren der Schuldnerbeteiligung vorgesehen. Kann die ganze Sache auch noch scheitern?

    Klinz: Ja, also es könnte scheitern, dass Griechenland tatsächlich dieses Gesetz in Anspruch nimmt, und insofern ist noch nicht sicher, ob man über die 85,8 Prozent der Beteiligung hinauskommt. Aber die Sache an sich, also die 85,8 Prozent, die sind, glaube ich, in sicheren Tüchern, und das ist ja wohl die Hauptsache, denn damit gehen praktisch knapp 100 Milliarden Schulden sozusagen in Luft auf, also Griechenland ist um diesen Betrag entschuldet. Das ist die positive Nachricht. Ich persönlich würde es, wenn ich ehrlich bin, sogar begrüßen, wenn Griechenland darauf verzichtet, diese Collective action clauses, wie der Fachterminus ist, anzuwenden, weil ich eben der Meinung bin, dass es vor allem im Hinblick auf kleine Bürger, die sich beteiligt haben, ein ungerechtes Vorgehen wäre, und ich sage gleich in Klammern hinzu, ich selber habe keine einzige griechische Anleihe. Das wäre also der Vorteil.
    Auf der anderen Seite müssen wir eins sagen: Wenn es klappt, so wie jetzt vorgesehen, egal ob mit kompletter Zwangsbeteiligung der Gläubiger, oder auch nicht – Griechenland ist noch nicht über den Berg. Also wir sehen jetzt 100 Milliarden weniger, aber das Schuldenloch ist immer noch gigantisch.

    Kapern: Wenn die Regierung tatsächlich Ihrem Rat folgen und auf die Anwendung der Collective action clause verzichten würde, dann hieße das, dass nicht die 107 Milliarden an Entschuldung zusammenkommen, die die EU zur Voraussetzung für die Auszahlung des Rettungspakets gemacht hat. Dürfen die EU-Finanzminister eigentlich gar nicht zustimmen?

    Klinz: Ja gut, die Finanzminister werden sich ja heute noch mal zumindest telefonisch miteinander absprechen und sie werden am Montag zusammenkommen, physisch in Brüssel, um endgültige Beschlüsse zu fassen. Also ich kann mir nicht vorstellen, dass die europäischen Finanzminister die 130 Milliarden, also die zweite Tranche der Griechenland-Hilfe, jetzt nicht auszahlen, nur weil 4,2 Prozent fehlen. Denn ich glaube auch, dass die Finanzminister sehr wohl ein Interesse daran haben, dass eine Lösung gefunden wird, die eindeutig ist. Und wenn jetzt tatsächlich mithilfe dieser Zwangsklauseln die letzten%e zusammengesammelt werden, dann wirft das natürlich auch die Frage auf, ist das wirklich eindeutig rechtlich, oder wird es Möglichkeiten geben, dagegen vorzugehen. Irgendjemand wird möglicherweise versuchen zu klagen, und dann haben wir eine sehr viel kompliziertere Situation, als wenn wir einfach sagen, okay, 86 Prozent rund sind da, schade, 90 hätten wir lieber gehabt, aber wir machen es auch auf der Basis.

    Kapern: Dann müsste das Rettungspaket aber aufgestockt werden?

    Klinz: Also ich sage Ihnen ehrlich, es pfeifen ja schon die Spatzen von den Dächern inzwischen, dass möglicherweise diese 130 Milliarden nicht ausreichen. Schon vor zwei, drei Wochen hieß es, gedanklich werden schon weitere 50, 60 Milliarden durchgespielt. Also ich weiß es nicht, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass wir auch mit den 130 Milliarden nicht die letzte Tranche gesehen haben. Ich sagte es eben schon: Griechenland hat im Moment eine tiefe Rezession, es sind keine Wachstumsimpulse da und die Schuldenlast von Griechenland vor diesem Schuldenschnitt jetzt ist näher bei 170 Prozent vom Bruttosozialprodukt als bei 160. Insofern fürchte ich, dass uns das Thema Griechenland weiterhin beschäftigen wird. Wir haben eventuell eine kleine Zeitetappe gewonnen, aber mehr auch nicht.

    Kapern: Wolf Klinz, der FDP-Europaabgeordnete und Vorsitzende des Sonderausschusses zur Finanzkrise im Europaparlament. Herr Klinz, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Klinz: Ich danke Ihnen! Einen schönen Tag.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.