Donnerstag, 25. April 2024

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„Personalia“ von Locate S, 1
Mit den Selbstzweifeln in der Disco

Eigentlich wollte Christina Schneider alias Locate S, 1 ihre Musikkarriere an den Nagel zu hängen. Aber ein Umzug von New York in die DIY-Pop-Szene von Athens hat alles verändert. Jetzt nutzt die Musikerin ihre Selbstzweifel lieber als Futter für Songs zwischen Pop-Glamour und LoFi-Disco.

Von Jessica Hughes | 18.04.2020
Christina Schneider verarbeitet auf ihrem Album "Personalia" das eigene Scheitern
Christina Schneider verarbeitet auf ihrem Album "Personalia" das eigene Scheitern (Captured Tracks / Ebru Yildiz)
Der Song "Personalia" von Locate S, 1 ist eine Kampfansage. Er erzählt vom oft mühseligen Dasein als Musikerin und all den miesen Erfahrungen, die das so mit sich bringt: Zum Beispiel ein Publikum, das gelangweilt aufs Handy starrt, während man selbst gekränkt auf der Bühne steht und nichts dagegen tun kann.
"Ich dachte, ich sollte einfach aufgeben. Ich war super deprimiert, bin in mein Zimmer gegangen und habe angefangen Musik zu spielen. Da fiel mir auf: Es ist einfach genau das, was mich glücklich macht. Warum sollte ich mir das nehmen lassen? Darum geht’s im Song 'Personalia'", erzählt Christina Schneider alias Locate S, 1. Jetzt erst Recht - so das Motto auf ihrem zweiten Album: Hier darf The Clash auf Abba treffen und Pop-Glamour auf Bedroom-Recording.
Süß verpackte Kapitalismuskritik
Angefangen hat Schneider in der experimentellen DIY-Szene New Yorks, um Bands wie Jib Kidder oder Panda Bear. Vor zwei Jahren begegnete sie dann ihrem neuen Lebensgefährten und musikalischen Partner: Kevin Barnes, besser bekannt als Of Montreal - ein Experte in Sachen Avantgarde und LoFi-Pop.
Schon das erste Album von Locate S, 1 hat Barnes mitproduziert. Ein Album voller musikalischer Anleihen, zwischen blumiger 60er-Jahre Psychedelia und Kammer-Pop-Nostalgie. Süßen Melodien scheint Schneider dauerhaft verfallen. Selbst Kapitalismus-Kritik riecht auf "Personalia" nach Zuckerwatte, zum Beispiel im Song "After The Final Rose".
"Hier geht’s um die Idee, dass der Feminismus sein Ziel erreicht haben könnte, wenn eine Frau Geschäftsführerin in einem Betrieb wie Coca Cola wird. Klar, diese Frau ist dann mächtig, weil sie reich ist, aber was bedeutet das für die Frauen, für die es unwahrscheinlich ist, jemals in eine solche Position zu kommen? Für People of Color zum Beispiel? Der Kapitalismus dient diesen Menschen nicht. Wir sollten Feminismus also anders gestalten."
Dance-Punk trifft Britney Spears trifft Kate Bush
"Wie funktioniert Feminismus?", fragt Schneider auch auf dem Track "Even The Good Boys Are Bad", der sich am Diskurs um Männlichkeit in Post-Me-too-Zeiten abarbeitet. Der Song betont besonders plakativ die sarkastische Ader, die durch Schneiders Texte fließt. Musikalisch inspiriert ist er von Britney Spears "Toxic".
Schneiders Sinn für Humor zeigt sich auf dem Album auch durch das selbstbewusste ad absurdum führen von Songstrukturen und Genrekonventionen. Stampfender 80er-Jahre Dance-Punk mit Four-to-the-Floor Rythmik mischt sich mit schrägen Pop-Momenten, die keine Referenz zum Eso-Pop einer Enya, der Mystik einer Kate Bush oder einem kitschigem Phil-Collins-Schlagzeug scheuen. "Anything goes" könnte hier die Regel lauten, Hauptsache man steht dazu! Im Track "Whisper 2000" etwa soll sich bitte verkrümeln, wer die Künstlerin nicht wertschätzt
"Es ist okay, zu scheitern"
"Es gibt diesen Malvina-Reynolds-Song 'I don’t mind failing in this world'. In dem Song geht es darum, dass die Welt zum Scheitern gemacht ist. Es hat nichts mit deinem Charakter zu tun oder wie gut du deine Aufgaben machst. Es ist okay zu scheitern, solange du dein Ding machst."
Der Angst vor dem Scheitern stellt sich Locate S, 1 mit ihrer neuen Platte erfolgreich, ohne eigene Zweifel zu vertuschen. Die schimmern immer wieder durch, etwa wenn es auf dem verträumten Schlusssong "Futureless Hives of Bel Air" um eine hoffnungslose Zukunft im Angesicht des Klimawandels geht.
"Personalia" ist ein Album, das gleichzeitig befriedet und auch fordert, mit traditionellen Pop-Elementen spielt, sie aber letztendlich einfach über Bord wirft. Niemals klang das wirre Ende des Spätkapitalismus schöner als auf dieser Platte.