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Griechische Politikerin fordert große Koalition für ihr Land

Dora Bakoyannis blickt nach der überstandenen Vertrauensfrage des griechischen Premiers Papandreou auf den nächsten wichtigen Termin: Ende Juni wird über den wirtschaftlichen Kurs der nächsten drei Jahre entschieden - man müsse jetzt gemeinsam aus den begangenen Fehlern lernen.

Dora Bakoyannis im Gespräch mit Anne Raith | 22.06.2011
    Anne Raith: Griechenland befindet sich an einem Scheideweg. Als der griechische Ministerpräsident Papandreou am vergangenen Sonntag im Parlament die Vertrauensfrage stellt, da wusste er, es geht nicht nur um sein politisches Überleben, es geht um die Rettung Griechenlands, denn ohne eine parlamentarische Mehrheit für seinen Sparkurs kein neues Geld und ohne neues Geld droht der Staatsbankrott. Und auch wenn Papandreou mit 155 von 300 Abgeordneten eine knappe Mehrheit in Aussicht stand, war nicht klar, ob diese ihm auch das Vertrauen aussprechen würde, denn in der vergangenen Woche hatte auch der Gegenwind in den eigenen Reihen zugenommen. Wenige Abweichler hätten das Land also in eine nie da gewesene Krise stürzen können. Hätten!
    Am Telefon begrüße ich jetzt die griechische Politikerin Dora Bakoyannis. Kurz zur Person: sie war bis 2009 Außenministerin, im gleichen Jahr bewarb sie sich nach der schweren Wahlniederlage ihrer Partei, der Nea Demokratia, um den Vorsitz, unterlag aber dem jetzigen Parteivorsitzenden Samaras. Weil sie vergangenes Jahr für das Sparpaket der Pasok-Regierung stimmte, wurde Dora Bakoyannis aus der Nea Demokratia ausgeschlossen und gründete eine eigene Partei, die Demokratische Allianz. Guten Morgen nach Athen!

    Dora Bakoyannis: Guten Morgen!

    Raith: Frau Bakoyannis, wie haben Sie die vergangenen Stunden, die vergangene Nacht erlebt?

    Bakoyannis: Schauen Sie, ich glaube, man konnte dieses Resultat erwarten. Herr Papandreou hat seine Partei zusammengehalten. Durch den Wechsel, den er in der Regierung gemacht hat, hat er praktisch wieder mal für eine Zeit Ruhe in der Partei. Die wichtige und die schwere Abstimmung wird die Abstimmung für das Programm der nächsten drei Jahre sein, und die kommt ja am 28. Juni im griechischen Parlament.

    Raith: Sie sagen es: Er hat Ruhe in der Partei. Aber die tiefe Spaltung, das tiefe Zerwürfnis zwischen Regierung und Opposition bleibt ja bestehen. Wir haben es eben gehört. Wie soll es da jetzt weitergehen?

    Bakoyannis: Es ist sehr schwer. Wissen Sie, ich habe mich schon seit sechs Monaten dafür ausgesprochen, dass wir in Griechenland praktisch eine große Koalition brauchen. Wir brauchen in Griechenland eine Koalition dieser politischen Kräfte, die proeuropäisch sind und die wirklich verstehen, was in Griechenland jetzt sich abspielt, wie schwer die Situation ist, und es ist wirklich ein sehr schwieriges Sparprogramm, das wir den Griechen vorstellen, und es ist sehr wichtig, dass die politischen Mächte da zusammenarbeiten. In so großen Krisen haben wir gesehen, in Portugal, aber auch früher in Schweden und in Finnland haben sich die politischen Kräfte einfach hingestellt und haben zusammengearbeitet. Das war leider in Griechenland nicht möglich.

    Raith: Warum gelingt das den Griechen nicht? Warum gelingt es den Portugiesen und auch den Iren, aber den Griechen nicht, sich zusammenzuraufen?

    Bakoyannis: Ja, wissen Sie, die Nea Demokratia, also die konservative Partei, hat sich schon voriges Jahr gegen dieses Paket gestellt, und das war natürlich ein sehr schwerer Entschluss. Damals war ich noch in der Partei, habe alles versucht, damit ich die dazu kriege, damit sie das nicht tun, aber leider Gottes hat das nicht geklappt. Und jetzt ist es wie immer sehr schwer, diese Meinung zu wechseln. Aber es ist irrsinnig wichtig und ich glaube, heute immer noch haben wir Zeit, diese ganze Situation noch mal sich anzusehen. Zum Beispiel meine Partei war gestern in Brüssel, wir haben Veränderungen in diesem Paket vorgeschlagen. Ich habe auch mit den Liberalen gesprochen, mit Olli Rehn gesprochen, damit wir bestimmte Änderungen machen, die für die griechische Wirtschaft unseres Erachtens besser sein werden. Aber dass wir ein Sparprogramm brauchen, dass wir die großen Reformen in Griechenland durchbringen müssen, dass wir die Privatisierungspolitik weitermachen müssen beziehungsweise anfangen, weil die hat nicht mal angefangen unter dieser Regierung, das ist klar.

    Raith: Frau Bakoyannis, entschuldigen Sie. Auch die Nea Demokratia, dennoch blockiert sie ja im Moment. Welche Verantwortung trägt Oppositionsführer Samaras an diesem aktuellen Stillstand?

    Bakoyannis: Nein, nein! Die Nea Demokratia blockiert nicht die Privatisierung.

    Raith: Nein, das jetzige Sparpaket der Regierung blockiert sie.

    Bakoyannis: Ja, das Sparprogramm ja, aber die Privatisierung nicht. Der große Unterschied ist in der Steuerpolitik, und da haben wir gerade den Vorschlag gemacht, dass wir weniger Steuern haben und auf der anderen Seite mehr den Staat kleiner machen, sodass die Einkommen passen. – Welche Verantwortung Herr Samaras hat? Ja, er hat seine Verantwortung gegenüber Griechenland! Was soll ich Ihnen sagen? – Er hat eine Ansicht, die eben von meiner total anders ist. Und ich glaube, das hilft heute nicht. Ich verstehe, dass diese Regierung wirklich nicht die beste Regierung ist, also weit weg von der besten Regierung, weil sie konnte dieses eine Jahr viel mehr machen, viel mehr privatisieren, wirklich den Staat angreifen. Das kann eine sozialistische Regierung leider sehr, sehr schwer, und das ist das Problem der Pasok, weil sie muss sich gegen ihre eigenen Leute wenden. Das ist aber auch das Problem der Nea Demokratia. Die Nea Demokratia, die zweitgrößte Partei in Griechenland, waren sehr stark klientelistisch in dem Staat drin, und das ist das Problem Griechenlands heute. Sie können sich nicht gegen ihre eigenen Leute stellen, weil wenn sie einen kleineren Staat wollen, dann reagieren natürlich die Menschen, die in diesem Staat privilegiert waren.

    Raith: Erleben wir deswegen so wenig Einsicht, weil sie eben maßgeblich zur Misere beigetragen hat?

    Bakoyannis: Entschuldigen Sie, ich habe das nicht verstanden.

    Raith: Erleben wir deswegen bei der Nea Demokratia so wenig Einsicht, weil sie ja auch zur Regierungszeit maßgeblich zu dieser Misere, in der sich Griechenland befindet, beigetragen hat?

    Bakoyannis: Ja, ich glaube schon, natürlich! Das ist das Problem der großen Parteien Griechenlands, und deshalb werden Sie sehen, dass nach den Wahlen, wann auch die Wahlen stattfinden, die politische Geografie Griechenlands sich total ändert.

    Raith: Sie waren ja auch lange Teil dieser Nea Demokratia. Fühlen Sie sich mitverantwortlich?

    Bakoyannis: Natürlich! Es gibt niemanden, der keine Verantwortung hat, in Griechenland. Es gibt keinen Politiker, der nicht seine eigene Verantwortung hat. Ich war nie im Wirtschaftsministerium, aber ich hatte dennoch die Verantwortung, einen Teil der kollektiven Verantwortung. Und wissen Sie, da teilen sich auch die Politiker jetzt: die, die wirklich aus dieser Krise was gelernt haben, weil man muss ja lernen, wenn man ein Politiker ist, auch aus seinen eigenen Fehlern, und die, die einfach weitermachen, als wenn uns nichts passiert wäre. Das ist der Unterschied heute. Leider Gottes meine Ex-Partei, die wirklich die europäische Partei Griechenlands war, die Partei, die Karamanlis gegründet hatte, der alte Karamanlis, die wirklich Griechenland in Europa zu einem Teil Europas gemacht hat, diese Partei ist leider Gottes heute immer weiter weg von der europäischen Wirklichkeit.

    Raith: Konsequenz all dessen, was Sie schildern, Frau Bakoyannis, ist ja, dass das Vertrauen in die politische Klasse komplett verloren gegangen ist, egal bei welcher Partei. Das zeigen die Demonstrationen, die anhalten. Wie soll da der so dringende Neuanfang gelingen?

    Bakoyannis: Das ist ja genau das Problem. Die Griechen sind wütend, die Griechen verstehen nicht, was wirklich los ist, die Griechen sind gegen ihre ganze politische Klasse, und jetzt ist es irrsinnig wichtig, dass diese politische Klasse wenigstens zeigt, dass sie was gelernt hat, dass sie sich anders benimmt. Wenn sie das nicht macht heute, dann sind einfach alle weg am nächsten Tag. Aber in der Zwischenzeit braucht man ja in einer Demokratie Politiker. Das heißt, wir müssen jetzt wirklich an Griechenland denken und nicht an die Parteien, oder an uns selbst. Das ist bei vielen der Fall, muss ich ganz ehrlich sagen, also großparteilich, aber leider Gottes gibt es noch Politiker, die sind auf der alten Logik geblieben.

    Raith: Griechenland nach der Vertrauensabstimmung. Einschätzungen der ehemaligen Außenministerin Dora Bakoyannis, die nach ihrem Ausschluss aus der Partei Nea Demokratia die Demokratische Allianz gegründet hat. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Bakoyannis: Guten Morgen! Auf Wiederhören.

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    Papandreou übersteht Vertrauensfrage