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Griechische Reaktionen auf Tsipras Berlin-Besuch
"Keine Alternative zur EU-Finanzierung"

Athen könne ohne ein drittes Hilfsprogramm nicht auskommen, betonte der griechische Journalist Tasos Telloglou im DLF im Anschluss an das Treffen von Ministerpräsident Tsipras mit der deutschen Bundeskanzlerin. Trotzdem sei die Zeit nun reif für Änderungen in Griechenland wie die Erhöhung des Rentenalters.

Tasos Telloglou im Gespräch mit Thielko Grieß | 24.03.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras.
    Merkel und Tsipras hätten bei ihrem Treffen versucht, eine Atmosphäre zu kreieren, in denen Gespräche über die unterschiedlichen Sichtweisen möglich sind, sagte der griechische Journalist Tasos Telloglou. (AFP / Tobias Schwarz)
    "Tsipras muss einige der Wahlversprechen brechen, damit das Land überlebt und finanzierbar bleibt", sagte Telloglou im Interview mit dem Deutschlandfunk. Ohne diese Änderungen werde Griechenland im Jahr 2017 oder 2018 bereits nicht mehr in der Lage sein, Renten zu bezahlen.
    Die bisherigen Anpassungsversuche Griechenlands würden Angela Merkel und Alexis Tsipras jedoch aus unterschiedlichen Blickwinkeln sehen, sagte der griechische Journalist nach dem Gespräch der beiden Regierungschefs in Berlin. Während Merkel das kleine Wirtschaftswachstum Griechenlands im Jahr 2014 betone, sehe Tsipras die Anpassungsversuche seines Landes bis jetzt als "reine Katastrophengeschichte", so Telloglou.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Der griechische Ministerpräsident, seit gestern zu Besuch in der deutschen Hauptstadt, gestern Abend bei der deutschen Kanzlerin, trifft heute Grüne und Linke, also die Opposition im Bundestag. Merkel und Tsipras haben, so heißt es von Seiten des deutschen Regierungssprechers, gestern freundlich und konstruktiv miteinander gesprochen. Die Reformliste, auf die so viele warten, gibt es weiter nicht, dafür aber das Versprechen, das deutsch-griechische Verhältnis nicht weiter zu ramponieren.
    Was ist dieser Besuch wert? Wie ist dieser Besuch in Griechenland empfunden worden, aufgefasst worden? Das werden wir jetzt erfahren von Tasos Telloglou, Journalist, aktuell aus Griechenland zugeschaltet, langjähriger TV und Printjournalist, auch in Deutschland lange tätig. Schönen guten Morgen, Herr Telloglou!
    Tasos Telloglou: Ich grüße Sie!
    Grieß: Welche Signale aus Berlin sind in Athen bei Ihnen angekommen?
    Telloglou: Nun, es geht um zwei Dinge. Das erste, vielleicht das wichtigste dieses Besuchs und dieser Gespräche, die lange, bis in die Nacht gedauert haben - ich sehe jetzt, dass das Essen zirka vier Stunden gedauert hat -, ist das Atmosphärische. Es gab Streit in den letzten Wochen. Es gab Worte, die gar nicht diplomatisch waren. Und es gab auch ein Vokabular, ein allgemeines Vokabular aus beiden Seiten, das nicht der Sache nützlich war. Das haben beide versucht, irgendwie bei Seite zu legen und eine Atmosphäre zu kreieren und Gespräche auch über die Unterschiede, die groß sind, zu kreieren, zu gestalten. Das ist die eine Sache.
    Die zweite Sache ist die Substanz. Merkel und Tsipras sehen die Anpassungsversuche der letzten Jahre in Griechenland von einem ganz unterschiedlichen Blickwinkel. Merkel glaubt, dass es teilweise mindestens eine Success Story gewesen ist, und sie beruft sich zurecht auf Zahlen des Jahres 2014, wonach die griechische Wirtschaft erstmals nach sechs Jahren aus der Rezession gestiegen ist, in ein kleines Wachstum, in ein Pflänzchen-Wachstum, wie wir hier sagen. Tsipras sagt, dass dieser Anpassungsversuch eine reine Katastrophengeschichte sei. Da fangen schon die Differenzen an.
    Tsipras hat aber angekündigt, dass er nicht alles über Bord werfen wird, was in den letzten sechs Jahren passiert ist, aber dass er auf einen anderen Policy Mix gerichtet ist. Das heißt im Vokabular der Linken mehr Einnahmen, mehr Steuern und weniger Wachstumsimpulse, so wie vielleicht eine Mitte-Rechts-Regierung in Griechenland sie avisiert hätte.
    "Die Rentenfrage ist die wichtigste soziale und wirtschaftliche Frage"
    Grieß: Nun ist seit gestern gerüchteweise die Rede davon, die griechische Regierung plane Steuererhöhungen und womöglich auch eine Rente mit 67. Das wären mindestens Wahlversprechen. Halten Sie das in Griechenland für durchsetzbar?
    Telloglou: Hier gibt es zwei Dinge. Das erste, das wichtigste, weil Griechenland zur Zeit dringend Geld braucht, ist das kurzfristige Programm der vier Monate bis Ende Juni. In diesem Programm müssen die Regierenden in Athen nicht so viel anbieten. Dann aber kommt der große Brocken, große Brocken für beide Seiten, für Berlin und für Athen, weil wahrscheinlich Athen ohne ein drittes Programm nicht auskommen kann, und zwar deswegen, weil Athen, wie Wolfgang Schäuble sagt, keinen Marktzugang hat. Also es gibt keine Alternative zu der Finanzierung von den EU-Staaten. In diesem Paket muss sehr viel reingepackt werden, primär die Rentenfrage, die bei uns zur Zeit die wichtigste soziale und wirtschaftliche Frage ist.
    "Das Land ist reif für Veränderungen"
    Grieß: Glauben Sie, dass die Links-Rechts-Koalition in Athen stabil genug ist für solche Schritte?
    Telloglou: Diese Koalition hat so viel versprochen und so viel Günstiges für die Ohren der Wähler versprochen, dass sie enorme Schwierigkeiten hat, Renten zu reduzieren und das Rentenalter zu erhöhen. Das ist auch nicht ganz unbekannt in Deutschland mit der Entwicklung der jetzigen Koalition und dem Rentenalter. Und die Konservativen werden da ein leichtes Spiel haben, weil die hatten im Laufe der Verhandlungen im letzten Herbst sich geweigert, sich dieser Problematik der Rente zu stellen. Ihre Klientel besteht hauptsächlich aus Leuten, die über 50 sind. Aber ich glaube, die Zeit ist schon reif, diese Änderungen im Land zu machen, aus dem ganz einfachen Grund, weil wenn wir diese Änderungen nicht machen, dann werden wir im Jahr 2017/2018 kaum die Möglichkeit haben, Renten an Rentner zu bezahlen.
    Grieß: Sie glauben, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung Alexis Tsipras es durchgehen lassen wird, sollte er Wahlversprechen brechen?
    Telloglou: Ich glaube, dass er eine Mehrheit in der Bevölkerung hat und dass er einige dieser Wahlversprechen brechen muss, damit das Land überlebt und finanzierbar bleibt.
    Grieß: Ich bedanke mich! - Tasos Telloglou, Journalist aus Griechenland, heute Morgen live im Deutschlandfunk. Einschätzungen aus Griechenland zum Besuch des griechischen Ministerpräsidenten in Berlin. Herr Telloglou, danke schön!