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Griechischer EU-Abgeordneter: Großparteien haben aus Krise gelernt

Ohne Unterstützung der oppositionellen und radikal-linken Syriza-Partei werde es schwer, Reformen umzusetzen, sagt der EU-Abgeordnete Dimitrios Droutsas (Pasok) über die voraussichtliche Regierung aus Pasok und Nea Dimokratia. Man brauche das Know-how Europas und eine Lockerung der Sparauflagen.

Das Gespräch führte Anne Raith | 18.06.2012
    Anne Raith: Die kommenden drei Tage werden entscheiden, ob das gelingt, was vor sechs Wochen missglückte, nämlich ob es gelingt, nach den Parlamentswahlen in Griechenland eine mehr oder weniger stabile Regierung zu bilden. Immerhin haben die konservative Nea Dimokratia und die sozialistische Pasok dieses Mal genügend Stimmen, um gemeinsam eine Regierung bilden zu können. Doch zwischen können und tatsächlich tun liegen noch ein paar Schritte.
    Nachdem ja für eine Weile das Schlimmste befürchtet wurde, ist nun auch in Europa zumindest ein Aufatmen zu spüren – darüber, dass bei der Parlamentswahl in Griechenland die konservative Nea Dimokratia als stärkste Kraft hervorgegangen ist und mit der sozialistischen Pasok zumindest eine Koalition wird bilden können. Doch wie kurz diese Atempause sein wird, das wird sich mit den beginnenden Koalitionsgesprächen zeigen, und offen ist auch noch, welchen Kurs die radikal-linke Syriza-Partei einschlagen wird, die immerhin ja als zweitstärkste Kraft aus den Wahlen hervorgegangen ist.
    Bei der Wahl in Griechenland wollen wir auch in den kommenden Minuten noch bleiben. Am Telefon begrüße ich nun Dimitrios Droutsas, er sitzt für die sozialistische Pasok-Partei im Europaparlament und war vorher Außenminister seines Landes. Guten Tag, Herr Droutsas.

    Dimitrios Droutsas: Guten Tag, Frau Raith.

    Raith: Sind Sie eigentlich auch so erleichtert darüber, dass jetzt Antonis Samaras von der Nea Dimokratia mit der Regierungsbildung beauftragt wird?

    Droutsas: Ich möchte realistischer sein. Natürlich: Eine gewisse Erleichterung ist in dem Sinne vorhanden, dass jetzt diese Schwarz-Weiß-Malerei endlich aufhört. Das Wahlergebnis ist knapp, es war erwartet, dass es knapp werden würde, aber es ist, glaube ich, dennoch eine klare Botschaft des griechischen Volkes, dass es in der Euro-Zone verbleiben möchte, und auch ein klares Mandat, wenn Sie möchten, an die neue Regierung, die gebildet wird, alles Nötige dafür zu tun.

    Raith: Und doch hat sich ja Ihr Parteichef, also Evangelos Venizelos, dafür ausgesprochen, die linksradikale Syriza zu beteiligen. Warum?

    Droutsas: Zunächst möchte ich klarstellen, dass sich die Pasok an der Regierung beteiligen wird. Ich gehe davon aus, ich wage, dies vorauszusagen. Die Koalitionsgespräche beginnen offiziell heute Nachmittag. Aber die Pasok wird sich sehr verantwortungsbewusst zeigen. Der Grund, warum wir gerne die Syriza mit beteiligt sehen würden in einer neuen griechischen Regierung, ist der folgende: Griechenland braucht dringend notwendig tiefgreifende Strukturreformen. Um diese Strukturreformen wirklich umsetzen zu können im Land, bedarf es der politischen Stützung möglichst vieler politischer Kräfte in Griechenland, inklusive Syriza. Ich kann das aus eigener bitterer, möchte ich sagen, Erfahrung sagen in meiner Regierungsbeteiligung unter Premierminister Giorgos Papandreou. Glauben Sie mir, Herr Papandreou war jener Premierminister Griechenlands, der mit dem absoluten Reformwillen ins Rennen gegangen ist. Wir mussten aber leider einsehen und feststellen, dass dies am großen Widerstand der Opposition gescheitert ist. Das möchten wir verhindern, denn wir sehen und wir wissen, dass Syriza als Oppositionspartei in der Opposition die gleiche aggressive Politik betreiben wird, und das könnte problematisch werden.

    Raith: Aber, Herr Droutsas, Syriza-Chef Zipras hat ja schon gesagt, ohne uns, lieber Opposition.

    Droutsas: Das hat Herr Zipras bereits angekündigt, sie wird in Opposition gehen oder bleiben wollen, und eben das ist die Befürchtung, dass Syriza die gewohnt aggressive Oppositionspolitik weiterführen wird. Daher nochmals, Frau Raith: Pasok wird sich, davon gehe ich aus, sehr verantwortungsbewusst zeigen und sich an einer Koalitionsregierung mit den Konservativen, mit Herrn Samaras beteiligen. Ich gehe davon aus.

    Raith: Die Pasok wird sich also beteiligen. Aber können Pasok und Nea Dimokratia gemeinsam gegen eine radikal-linke Partei regieren, die ja auch immerhin fast 30 Prozent der Stimmen erhalten hat und die mobilisieren kann auf den Straßen?

    Droutsas: Wie schon gesagt, Frau Raith, das ist auch der Grund, warum wir uns eigentlich eine Regierung der sogenannten nationalen Einheit gewünscht hätten, wo auch Syriza mit beteiligt wäre oder zumindest die Stützung ausgesprochen hätte. Denn nochmals: wir brauchen große, tiefgreifende Strukturreformen in Griechenland, und um diese umzusetzen, bedarf es der breiten Unterstützung aller politischen Kräfte in Griechenland und ohne Syriza wird dies ein bisschen schwieriger werden. Da möchte ich Realist sein, da gebe ich mich auch absolut keinen Illusionen hin. Die Aufgabe für die neue Regierung wird sehr schwierig sein. Die Reformvorhaben von sich aus sind bereits sehr, sehr groß und auch sehr schwierig umzusetzen. Und erlauben Sie mir, noch Folgendes hinzuzufügen, etwas, das man ein bisschen außer Acht lässt, aber auch das ist bittere Realität, mit der wir uns auseinandersetzen müssen in Griechenland: Der Staatsapparat in Griechenland funktioniert nicht so effektiv und effizient, so, dass politische Entscheidungen auch zu Reformen automatisch und effizient umgesetzt werden können. Das Erste also, das wir machen müssen, ist hier unseren Staatsapparat neu aufzubauen, und dazu bedarf es auch der Hilfe des Know-hows, wenn Sie wollen, seitens der Europäischen Union, unserer EU-Partner.

    Raith: Aber wenig effektiv und effizient war ja in der Vergangenheit auch die Zusammenarbeit zwischen Ihrer Partei, zwischen der Pasok und der Nea Dimokratia. Wenn wir sagen, die Zusammenarbeit war schwierig, ist das wahrscheinlich auch noch untertrieben. Wie wollen Sie denn die Gräben, die Ihre beiden Parteien ja in der Vergangenheit getrennt haben, nun überbrücken, um gemeinsam Politik zu machen?

    Droutsas: Auch hier offene Worte, Frau Raith. Ich glaube, an der Art und Weise, wie jetzt Politik betrieben wird in Griechenland, wie man zusammenarbeiten wird, davon werden alle beurteilt werden, auch vom griechischen Volk, vom griechischen Wähler in der Zukunft. Ich glaube, die Politiker nicht nur der Nea Dimokratia und der Pasok, aber insbesondere dieser beiden Parteien, sind jetzt angesprochen, Seriosität zu zeigen, Verantwortungsbewusstsein zu zeigen und hier wirklich harmonisch oder so harmonisch wie möglich zusammenzuarbeiten. Ich möchte hier selbst keine Schwarz-Weiß-Malerei betreiben; ich möchte hier optimistisch sein, dass beide Großparteien, Nea Dimokratia und Pasok, oder man muss vielleicht sagen, ehemalige Großparteien, dass wir jetzt die Lehren gezogen haben aus der Vergangenheit; der Wähler hat ja die Rechnung präsentiert, und dass jetzt mehr Seriosität auch in der Zusammenarbeit eingebracht wird.

    Raith: Aber ist es seriös, ist es verantwortungsbewusst, Nachverhandlungen zu versprechen im Wahlkampf, die man eventuell gar nicht halten kann, weil sich eben die europäischen Partner sperren?

    Droutsas: Ich möchte auch hier ganz offen und ehrlich sein, Frau Raith, und ich habe das auch während des Wahlkampfes hier in Griechenland öffentlich gesagt. Ich habe ein gewisses Maß von Seriosität im Wahlkampf in Griechenland vermisst. Ja, das ist Realität, das ist die Wahrheit. Wir haben wieder einen klassischen traditionellen griechischen Wahlkampf erlebt, mit viel Populismus, mit vielen halben Wahrheiten, ja mit vielen Versprechungen, von denen man von vornherein wusste, sie werden nicht eingehalten werden können. Ich möchte in die Zukunft schauen. Der Wahlkampf ist vorbei, wir haben das Wahlergebnis, ich hoffe, wir werden sehr bald, hoffentlich vielleicht heute schon, heute Nachmittag, heute Abend, über eine Koalitionsregierung verfügen in Griechenland, und dann muss wirklich seriös gearbeitet werden, auch zusammen mit unseren EU-Partnern, denn ich glaube, auch unsere EU-Partner müssen nun einsehen, eingestehen, dass erstens einmal Griechenland nicht alleine das Problem ist in Europa und in der Euro-Zone, und zweitens, dass das Programm, das Griechenland auferlegt wurde, sich als falsch erwiesen hat, denn zu viel ist von Griechenland verlangt worden in zu kurzer Zeit. Ich glaube, da muss man die Lehren ziehen. Hier muss man dieses Maßnahmenpaket ein bisschen auflockern, insbesondere mehr Zeit zur Umsetzung geben und insbesondere, damit dieser große, große Druck auf die sozial schwachen Schichten, Bevölkerungsschichten in Griechenland, die wirklich leiden, dass dies ein bisschen aufgelockert wird.

    Raith: Sie sagen, Sie möchten mehr Zeit. Aber wie wollen Sie denn auf der anderen Seite Ihre Partner in Europa davon überzeugen, dass die Zeit der Unseriosität, der Halbwahrheiten, die eben den Wahlkampf beherrscht hat, wie Sie gesagt haben, dass diese Zeit vorbei ist und man sich jetzt wirklich auf die neue Koalition verlassen kann?

    Droutsas: Frau Raith, das wird uns die Zeit zeigen, die unmittelbar folgenden Tage und Wochen. Ich möchte seriös sein, ich kann Ihnen darauf keine wirklich überzeugende Antwort geben, denn leider ja, wir haben in der Vergangenheit zu oft unsere Glaubwürdigkeit durch falsches Handeln aufs Spiel gesetzt. Ich glaube, wir müssen jetzt einmal aufhören damit, nur in die Vergangenheit zu blicken. Ich weiß, dass es nicht einfach ist, insbesondere wenn man sich auch an die öffentliche Meinung in unseren EU-Partnern wenden muss, auch in Deutschland. Ich weiß, dass hier ein sehr negatives Bild über Griechenland, und vor allem die griechische Politik, herrscht. Meine Aufforderung, meine Bitte ist, nicht mehr so sehr in die Vergangenheit schauen. Wir müssen jetzt auf die Zukunft blicken und ja, die griechische, die neue griechische Regierung, Griechenland wird jetzt anhand der zu setzenden Taten gemessen werden.

    Raith: ... , sagt Dimitrios Droutsas, er sitzt für die sozialistische Pasok-Partei im Europaparlament und war zuvor Außenminister seines Landes. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch.

    Droutsas: Herzlichen Dank auch an Sie, Frau Raith.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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