Donnerstag, 28. März 2024

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Griechisches Referendum
"Ein deutliches Ja zu einem anderen Europa"

Für die Regierung in Athen hat das griechische Referendum die Tür zu neuen Verhandlungen geöffnet. Nun könne man den bisherigen Diskurs hinter sich lassen und eine gemeinsame Lösung finden, sagte der Syriza-Politiker Giorgos Chondros im DLF. Und er sei zuversichtlich, dass dies gelinge.

Giorgos Chondros im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.07.2015
    Giorgios Chondros, Mitglied des Zentralkomitee der Syriza-Partei, aufgenommen am 04.06.2015 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner"
    Giorgos Chondros, Mitglied im Syriza-Zentralkommittee: "Keine Regierung war reformfreudiger als die Syriza-Regierung." (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Das Referendum sei ein eindeutiges Nein zu der Sparpolitik, die zu einer humanitären Krise Griechenlands und einer Rezession der Wirtschaft des Landes geführt habe, so Chondros im Deutschlandfunk. Der Ausgang der Abstimmung stelle ein deutliches Ja zu einem anderem Europa dar.
    Die bisherigen Sparauflagen seien falsch gewesen, dies habe auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bestätigt. Anders als vom IWF ebenfalls festgestellt, habe die Regierung in Athen in den gut fünf Monaten ihrer Amtszeit Reformvorschläge gemacht - laut Chondros mehr als jede zuvor: "Es gab in Griechenland keine reformfreudigere Regierung und Partei wie Syriza." Nur seien die meisten Vorschläge bislang von den Gläubigern abgelehnt worden. Tiefgreifende Reformen etwa im Steuerrecht und bei der Finanzverwaltung seien aber nötig, räumte er ein.
    "Bislang nur Ultimaten und Erpressung"
    Griechenland wolle niemanden erpressen, aber auch nicht erpresst werden, sagte der Syriza-Politiker mit Blick auf den Rückenwind für neue Verhandlungen durch das Referendum. Es müsse darum gehen, einen Kompromiss zu suchen, "der für die griechische Wirtschaft gut ist".
    Bislang habe Griechenland "nur Ultimaten und Erpressung erlebt". Das Referendum biete nun die große Chance, "einmal zurückzugehen" und mit der deutschen Regierung den anderen europäischen Partnern, eine gemeinsame Lösung zu suchen "ohne den Diskurs, der bis jetzt gelaufen ist".

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Alle beschwörenden Worte aus Brüssel und auch aus Berlin sind wirkungslos geblieben. Die Mehrheit der Griechen hat genug von den Reformzwängen. Mit 61 Prozent haben sie sich gegen die Spar- und Reformauflagen der Gläubiger ausgesprochen. Innenpolitisch ist Griechenlands Ministerpräsident damit zweifellos gestärkt. Doch gilt das auch für die europäische Bühne? Ein ums andere Mal hatte Athen die Partner in den Verhandlungen vor den Kopf gestoßen. Finanzminister Varoufakis beschimpfte die Partner als "Terroristen". Prekär bleibt die Lage ohnehin. Mögliche neue Verhandlungen in Brüssel sind das eine. Den Banken in Griechenland aber könnte schon morgen das Geld ausgehen. Am Telefon ist Giorgos Chondros, Mitglied im Zentralkomitee der Regierungspartei Syriza. Schönen guten Morgen, Herr Chondros.
    Giorgos Chondros: Schönen guten Morgen!
    Barenberg: Herr Chondros, wie anders sollen wir das Nein zu den Spar- und Reformauflagen verstehen als ein Nein auch zum Kompromiss mit den Geldgebern?
    Chondros: Nein, das interpretieren Sie nicht richtig. Mit diesem Vorschlag ist ein Nein. Es ist ein eindeutiges Nein zu dieser Sparpolitik, die die Menschen in den letzten fünf Jahren in Griechenland wirklich zu einer humanitären Krise geführt haben und auch gleichzeitig die griechische Wirtschaft zu einer tiefen Rezession und zu einer tiefen Krise geführt hat. Das ist ein eindeutiges Nein zur Sparpolitik in Griechenland, aber europaweit, und gleichzeitig ist es ein sehr deutliches Ja zu einem anderen Europa und nicht zu dem Europa, was wir in den letzten Jahren sehen.
    Barenberg: Auflagen und Bedingungen für Hilfen gehen ja Hand in Hand mit Geldzahlungen. Was ist mit diesem Prinzip nach dem Referendum jetzt in Athen?
    Chondros: Die große Frage war und bleibt immer noch: Waren diese Auflagen wirklich die richtigen, um ein Land und eine Wirtschaft aus der Krise zu führen? Und wie der Internationale Währungsfonds selber sagt in seiner letzten Studie vom letzten Donnerstag, diese Auflagen waren falsch. Das heißt, das Programm, was angewendet wurde, die Medizin, die verschrieben wurde für das wirklich schwache und kranke Griechenland, hat das Land nicht aus der Krise geführt, sondern noch tiefer hineingesetzt. Insofern dieselbe Medizin, dasselbe Programm, dieselben Ideen weiterzuführen, war und ist weder sozial gerecht noch wirtschaftlich sinnvoll. Ganz im Gegenteil. Die Vorschläge, die von der griechischen Regierung, von der griechischen Seite kommen, die bieten eine nachhaltige Lösung nicht nur für die Schuldenfrage, sondern auch wirklich eine Chance, wirtschaftliches Wachstum zu produzieren, über dieses Wachstum dann Teile der Schulden, dieser Gelder zurückzuzahlen und natürlich auch den Menschen entgegenzukommen.
    "Wir brauchen eine bessere Finanzverwaltung"
    Barenberg: Sie haben den IWF zitiert mit seiner Analyse kürzlich. Darin heißt es allerdings auch, dass die Verhältnisse sich verschlechtert haben, weil aus Athen nicht genug Reformen gekommen sind. Welche Reformen bietet Griechenland an, um das zu schaffen, von dem Sie gerade gesprochen haben, nämlich Wirtschaftswachstum zu generieren und dann mit den eigenen Steuern auch zurechtzukommen?
    Chondros: Wir müssen eines vor unsere Augen halten. Diese Regierung ist bloß fünf Monate am Ruder. Das heißt, sie kann nicht alles das, was in Griechenland wirklich jahrzehntelang falsch gelaufen ist, auf Anhieb ändern. Griechenland braucht wirklich tiefgreifende Reformen. Es braucht zum Beispiel ein neues Steuerrecht, das alle Griechen, vor allem die reichen Griechen gerecht zur Kasse bittet. Diese Regierung hat das schon in die Wege geleitet, trotz Widerstandes nicht nur in Griechenland selber von den Reichen und von den Eliten, sondern auch hier. Ich darf Sie erinnern: Eines, was in unserem Vorschlag drinstand, war, Gewinne zum Beispiel über 500.000 einmalig mit zwölf Prozent zu besteuern für die Gewinne von 2014 und ab 2015, statt mit 26 Prozent wie bisher mit 29, zu besteuern. Da haben die Institutionen Nein gesagt und als Gegenvorschlag geschrieben, noch mal die Mindestrenten zu kürzen.
    Wir brauchen eine bessere Finanzverwaltung. Das haben wir auch in Gang gesetzt und da haben wir auch Widerstand, weil es heißt als Auflage, der griechische Staat darf keinen einzigen neuen Beamten einstellen. Wir brauchen ein Katasterbuch zum Beispiel, das jahrzehntelang versäumt wurde, es zusammenzustellen. Es gab in Griechenland keine reformfreudigere Regierung und Partei wie Syriza, die jetzt an der Macht ist. Viel mehr aber ist die Diskussion, ob sie weitermachen darf oder nicht.
    Barenberg: Herr Chondros, Sie haben gesagt, dass das Referendum Tsipras den Rücken stärkt und dass es um einen neuen Kompromiss geht. Muss man nicht sagen oder würden Sie sagen, dass Griechenland jetzt die Bedingungen für die Hilfe diktieren kann, nach dieser Rückenstärkung?
    Chondros: Nein! Wir haben immer laut gesagt und wir sagen das jetzt auch, Griechenland will niemand erpressen, möchte aber auch von niemandem erpresst werden. Wir haben von Anfang an gesagt, wir suchen einen Kompromiss, der für beide Seiten, das heißt für die griechische Bevölkerung, für die griechische Wirtschaft gut ist, aber auch im Rahmen des Euro und auch im Interesse unserer Partner ist. Wir haben leider bis jetzt - statt Kompromisse oder tragfähige Vorschläge von unseren Partnern, von den Institutionen zu bekommen, haben wir nur Ultimatum und Erpressung erlebt. Ich glaube, dieses Referendum hat jetzt dazu beigetragen, dass auch unsere Partner hier in Deutschland, vor allem die Bundeskanzlerin, Frau Merkel, jetzt die große Chance hat, einmal zurückzugehen und offen und ehrlich zusammen mit den anderen europäischen Partnern - deswegen ist es schon angesagt, dass es vielleicht morgen ein Gipfeltreffen geben wird, schon wieder ein Zusammentreffen der Eurogruppe -, dass wir jetzt ohne den Diskurs, der bis jetzt so gelaufen ist, wo wirklich jeder seine Position total extrem zu sich gezogen hat, vor allem hier, dass man wirklich eine gemeinsame Lösung findet, und ich bin zuversichtlich, dass wir es schaffen.
    "Eine Chance nicht nur für Griechenland, ist eine Chance auch für Europa"
    Barenberg: Herr Chondros, jetzt reden Sie wieder von Erpressung. Varoufakis, Ihr Finanzminister, hat die Partner ja als Terroristen bezeichnet. Glauben Sie, dass das eine Grundlage sein kann für neue Verhandlungen? Der SPD-Wirtschaftsminister in Berlin, Sigmar Gabriel, sagt, Griechenland hat damit einseitig die Brücken abgerissen.
    Chondros: Ich habe gehört, was der Herr Gabriel gesagt hat. Ich verfolge alle Meldungen, nicht nur von den deutschen Politikern, sondern auch von allen Europäern. Und ich habe wie Sie auch Meldungen in den letzten Tagen und Wochen gehört, die gesagt haben, mit dieser Regierung verhandeln wir nicht, es muss eine neue Regierung her, es muss ein neuer Regierungschef her und es muss ein neuer Finanzminister her und so weiter. Ich glaube, wir lassen alles bei Seite, weil solch eine Einmischung in die Angelegenheiten eines Landes, wie es dieses Mal in Griechenland gegeben hat, war noch nie da in Europa. Das heißt, es sind ganz neue Traditionen jetzt eingebracht worden, vor denen wir uns wirklich fürchten müssen. Deswegen betone ich es noch mal: Dieser mutige Entscheid der griechischen Bevölkerung ist eine Chance nicht nur für Griechenland, ist eine Chance auch für Europa, vielleicht einen anderen Weg einzuschlagen mit Offenheit. Und ich glaube dieses Mal, die Regierungschefs werden es schaffen.
    Barenberg: Wir werden es abwarten müssen. Giorgos Chondros, Mitglied im Zentralkomitee der Regierungspartei Syriza. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.