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Großbritannien
Brexit: Zeitpunkt ungewiss

Obwohl der High Court das britische Parlament beim Brexit mitreden lassen will, hält die Regierung fürs Erste an ihrem Zeitplan fest. Doch selbst Neuwahlen werden schon ins Spiel gebracht. Und in der Presse sorgt das Urteil für viel Wirbel.

04.11.2016
    Die britische Premierministerin Theresa May.
    Wie Großbritanniens künftige Rolle in Europa aussehen wird, ist noch nicht absehbar. (AFP / STEPHANE DE SAKUTIN)
    Boris Johnson war um Beschwichtigung bemüht. Eine "Win-Win-Situation" könne der Brexit werden, erklärte der neue britische Außenminister beim Antrittsbesuch in Berlin - sowohl für Johnsons Heimatland, als auch für die EU. Und am hervorragenden Verhältnis Großbritanniens zu seinen Nachbarn auf dem Kontinent werde der Brexit ohnehin nichts ändern.
    Wann das Vereinigte Königreich aber überhaupt aus der Staatengemeinschaft austritt, erscheint nach dem Urteil des Londoner High Court wieder ungewiss. Demnach darf die Regierung den EU-Austritt nicht ohne Zustimmung des Parlaments beantragen. Zwar betonte neben Johnson auch Premierministerin Theresa May in Brüssel noch einmal nachdrücklich, dass der bisherige Zeitplan für den Brexit eingehalten werde - und es beim Antrag auf Austritt Ende März 2017 bleibe.
    Das bezweifeln jedoch selbst Parteikollegen Mays. Dominic Grieve, ehemaliger Generalstaatsanwalt für England und Wales, sagte dem TV-Sender Sky News, dass der Antrag mit großer Wahrscheinlichkeit später erfolgen werde. Patience Wheatcroft, Mitglied für die Tories im House of Lords, formulierte es in der BBC-Radiosendung "Today" noch deutlicher: "Ich denke, es ist richtig, die Abstimmung über den Antrag zu verschieben."
    Schmerzhafte Entscheidung für Theresa May
    Dass Theresa Mays Brexit-Zeitplan mit dem Urteil des High Court nichtig ist, glaubt auch der Politikwissenschaftler Anthony Glees. "Es ist vom Tisch. Natürlich", sagte Glees im DLF-Interview. Für May sei diese Entscheidung schmerzhaft, so Glees weiter. Da es im aktuellen Parlament keine Mehrheit für den Brexit gebe, würde sich eine Einigung über die Rahmenbedingungen des Austritts schwierig gestalten. Am Ende, so Glees, könnte dies zu Neuwahlen führen. Das wäre zwar gut für die Tories, die in Umfragen deutlich in Führung liegen. Theresa May könnte es jedoch den Job kosten.
    Aufgeheizte Stimmung
    Sorgen bereitet Glees die politische Stimmung in Großbritannien. Wenn der Brexit nicht so vorangehe, wie angekündigt, könnte dies "Gewalttätigkeiten besonders im Norden von Großbritannien" zur Folge haben. Wie aufgeheizt die Stimmung tatsächlich ist, illustrierte die Berichterstattung über das Urteil des High Court. Mehrere Zeitungen warfen den drei verantwortlichen Richtern in teils aggressiver Wortwahl vor, den Willen des britischen Volkes zu untergraben. Fotos der Richter zierten die Aufmacherblätter, verstärkt von Überschriften wie: "Die Richter gegen das Volk".
    Brendan Cox, Witwer der ermordeten europafreundlichen Labour-Politikerin Jo Cox, rief auf Twitter zu Besonnenheit auf: "Wir sollten jetzt alle mal halblang machen und nüchtern diskutieren. Hass zu schüren bleibt nicht ohne Konsequenzen."
    (ps/tzi)